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Kultur - 09.02.2019

Berlinale: Brecht, das Theater & die Frauen

Premiere bei der Berlinale: Das Doku-Drama „Brecht“ von Regisseur Heinrich Breloer wurde in Berlin auf großer Leinwand gezeigt. In Zeiten, in denen heftig über Netflix & Co. gestritten wird, keine Selbstverständlichkeit.

„Ich glaube, dass wir alle verschiedene Bilder von Brecht mit uns herumtragen“, sagt Regisseur Heinrich Breloer – dem ist sicher kaum zu widersprechen. Bei der Berlinale hat der Regisseur jetzt seinen Blick auf Brecht vorgestellt. Im Kino – schon das allein ist eine Nachricht wert. Breloers zweiteiliger Film ist nämlich eigentlich eine Fernsehproduktion, die erst Ende März auf der kleinen Mattscheibe ausgestrahlt wird.

Auf den Festivals tobt der „Netflix“-Streit

Gut sechs Wochen vorher nun also die Weltpremiere im festlichen Rahmen bei Deutschlands größtem Filmfestival im „Haus der Berliner Festspiele“. Seit ein paar Jahren lassen es sich viele Festivals nicht mehr nehmen, große Fernsehfilme oder auch Serien vor ihrer ersten TV-Ausstrahlung im Kino zu präsentieren.

Meister des Doku-Dramas: Heinrich Breloer

Warum das erwähnenswert ist? Weil gerade eine erbitterte Diskussion darüber ausgebrochen ist, welche Filme Festivals zeigen sollten und welche nicht. Auslöser dieser Debatte sind die Produktionen von Netflix und Co. Die US-Streaminganbieter bestücken inzwischen auch Filmfestivals. Venedig und Berlin (wo die Netflix-Produktion „Elisa & Marcela“ im Wettbewerb laufen wird) machen mit, Cannes hingegen nicht.

Die Franzosen weigern sich, Netflix-Produktionen zu zeigen, weil diese im Anschluss an die Festivalpremiere (im Normalfall) gar nicht im Kino laufen. Für Cannes ist das nicht akzeptabel. Dass TV-Produktionen – also Filme wie Serien, die nichts mit Netflix & Co. zu tun haben – allerdings auch keinen Kino-Start haben und trotzdem die populäre Festivalbühne als Plattform nutzen, darüber regt sich in der Branche erstaunlicherweise niemand auf.

Der junge Brecht wird von Tom Schilling gespielt, hier an der Seite von Leonie Benesch

Zurück zu „Brecht“. Regisseur Heinrich Breloer gilt (zusammen mit seinem 2013 verstorbenen Kollegen Horst Königstein) als Erfinder des sogenannten Doku-Dramas, einer inzwischen etablierten Mischform aus Spiel- und Dokumentarfilm. Breloer hat es in diesem Genre zu einiger Meisterschaft gebracht und vielfach gefeierte und ausgezeichnete Filme gedreht, über politische, historische und kulturelle Persönlichkeiten und Geschehnisse.

Brechts Theater der Desillusionierung als Doku-Drama

Das Doku-Drama wird von Fachleuten – wenn es denn gelungen ist – gerade wegen seiner „offenen Form“ gelobt. Zeigen diese Filme doch die „Wirklichkeit“ hinter der Fiktion, oder – anders ausgedrückt – bereichern das Filmdokument durch eine zusätzliche spielerische Ebene. Da lag es nahe, dass sich Heinrich Breloer des deutschen Dichters Bertolt Brecht annahm.

Im zweiten Teil mimt Burkhart Klaußner den älteren Brecht

Auch Brecht galt als Verfechter einer „offenen“ künstlerischen und gestalteten Bühnenkultur: Die Zuschauer sollten sich nicht in der Sicherheit einer Illusion wiegen: „So, wie Brecht die Schauspieler an die Rampe treten lässt, um über ihre Rollen zu sprechen, und damit die Illusion bricht, so gibt es diese Distanzierung auch, wenn ich das Spiel mit der Dokumentation breche“, sagt der Regisseur über Inhalt und Form seines neuen Films.

Der junge Brecht als engagierter Theater-Erneuerer

Der Zuschauer erlebt Brecht im ersten Teil des Doku-Dramas während der Weimarer-Republik, in der er zum Star des deutschen Theaters aufsteigt: zunächst noch als jungen Burschen, der am Gymnasium unpatriotische Aufsätze zum Besten gibt, dann als wildes, junges Dichter-Genie, das mit dem Stück „Baal“ sich selbst und das Theater als Emotionsmaschine feiert. Und schließlich als Verfasser der Bühnenstücke „Trommeln in der Nacht“ und „Die Dreigroschenoper“. Letzteres wird zum größten Theatererfolg der Weimarer Republik. Am Ende des ersten Teils von „Brecht“ steht das Datum 1933, der Machtantritt der Nationalsozialisten. Brecht ist auf dem Weg in sein erstes Exil nach Prag.

Adele Neuhauser glänzt als Helene Weigel – hier als Mutter Courage in Breloers Film

Der zweite Teil zeigt den Dichter dann im frühen Nachkriegs-Deutschland: In der DDR wird er von den einen als großer Innovator gefeiert, von den anderen mit skeptischem Blick beäugt. Dass Brecht dabei auf beiden Seiten Freunde und Feinde hat – bei seinen Verehrern und dem Publikum auf der einen sowie den DDR-Oberen und Hütern des sozialistischen Einheitsdenkens auf der anderen Seite – arbeitet Heinrich Breloer fein heraus. Ein Mann, auf den sich alle einigen können, ist Brecht Zeit seines Lebens nicht, zu keiner Zeit und an keinem Ort. Denn auch in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit gab es sowohl Förderer als auch eine starke Front gegen den Dichter, der sich stets als „Kommunist“ betrachtete. 

Brecht und die Frauen – ein Lebensthema

Was Heinrich Breloers Zweiteiler hinaushebt über eine brave filmische Nacherzählung, ist die private Seite des Lyrikers, Stückeschreibers und politischen Aktivisten. Wie eine Perlenkette zieht sich das Thema „Brecht und die Frauen“ durch die 180 Filmminuten. Das Dichtergenie wird dabei von Breloer durchaus kritisch durchleuchtet – nicht als Frauenverachter, sondern als Frauenfreund, der sich um Moral und Mitgefühl wenig schert.  

Wie würde Brecht auf Breloers Film schauen?

„Freunde und Mitarbeiter, die den Film schon gesehen haben, meinen“, so Heinrich Breloer, „dass man dabei immer wieder an #MeToo denken müsse. Das sei fast unvermeidlich.“ Dem kann man getrost zustimmen. Elisabeth Hauptmann, Ruth Berlau, Marianne Zoff, Paula Banhölzer, Regine Lutz und natürlich die Schauspielerin Helene Weigel – sie alle begleiteten den Dichter für Jahre seines Lebens. Oft lebten sie auch nebeneinanderher mit ihm zusammen. Und sie alle litten wohl auch unter Brecht.

Breloer: „Verschiedene Brecht-Bilder“

Dass Breloer den Blick nicht abwendet, sondern stattdessen sogar beides elegant miteinander verknüpft – Leben und Werk, Liebe und dichterische Finesse – ist eine der großen Stärken des Films. Trotzdem dürfte es nicht jedem gefallen. Manch einem wird der Blick ins Private vielleicht zu intim, zu persönlich erscheinen – so viele Jahre nach dem Tod des Dichters. Anderen dürfte es dagegen gerade recht sein, dass Brecht damit ein wenig „von seinem Sockel geholt“ wird. Wie sagte der Regisseur? „Ich glaube, dass wir alle verschiedene Bilder von Brecht mit uns herumtragen.“

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