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Kultur - 06.04.2019

Deutsches Historisches Museum: Was macht eine Demokratie aus?

Angegriffen und angeschlagen: Demokratische Staatsformen sind keine Selbstverständlichkeit. Doch es lohnt sich, für sie zu kämpfen. Das zeigt die Ausstellung „Weimar: Vom Wesen und Wert der Demokratie“ in Berlin.

„Ich weiß es, ich weiß es, ich weiß es!“ Mehrere Zeigefinger ragen in die Höhe. Eine Gruppe Grundschüler hat sich im „Demokratie-Labor“ rund um einen Schaukasten versammelt. Darin befindet sich ein Ausstellungsobjekt, das die Fünftklässler sofort erkannt haben: ein Fan-Trikot von Mesut Özil. „Aber ich habe doch noch gar keine Frage gestellt“, lacht Patrick Helber, Kurator des Labors. „Na dann schießt mal trotzdem los.“ Aufgeregt erklärt eine Schülerin den damaligen Konflikt rund um den deutschen Nationalspieler, der sich mit dem umstrittenen türkischen Staatschef Erdoğan abbilden ließ. „Der ist Türke, hat aber für Deutschland mitgemacht. Dann ist er zu Erdoğan gegangen, das fanden die Deutschen nicht gut“, sagt die Fünftklässlerin.

„Streitobjekt“: Fan-Trikot von Mesut Özil

Patrick Helber nickt und erklärt kurz und verständlich, was eine Staatsbürgerschaft ist, das manche Menschen auch zwei besitzen und dass es in Deutschland viele Nationalitäten gibt. „Pluralismus gehört zur Demokratie. Wisst Ihr, was das ist?“ „Wenn nicht alle gleich sind“, sagt ein Schüler. Ein weiterer ergänzt: „Ja, sonst wäre es langweilig.“ Historiker Helber erlebt es bei Schülerführungen immer wieder, wie überzeugt sie von einer Demokratie sind. „Ungerechtigkeiten fallen den Schülern sofort auf, und sie sprechen sie direkt an. Sie argumentieren sehr ethisch und moralisch.“

Um Demokratie streiten

„Unsere Ausstellung ist gerade jetzt sehr wichtig“, findet Patrick Helber. „Das politische Klima in Deutschland hat sich sehr verschärft. Autoritäre und menschenfeindliche Einstellungen sind durch offen rassistische Parteien in den gesamtgesellschaftlichen Kontext eingedrungen.“ Deswegen haben er und seine Kollegen sich entschieden, „den Spieß umzudrehen“: Nicht mahnen und antidemokratische Tendenzen aufzeigen und diesen damit eine Plattform geben, sondern vielmehr zu betonen, was eigentlich das Wesen einer Demokratie ausmacht.

Grundrechte zum Drehen: „Demokratie-Labor“ – eine interaktive Ausstellung

Das Trikot von Mesut Özil ist eines von sieben sogenannten Streitobjekten im „Demokratie-Labor“, einer ergänzenden interaktiven Fläche im Rahmen der Ausstellung „Weimar: Vom Wesen und Wer der Demokratie“ im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Zum Streiten laden außerdem noch eine Tasche Pfandflaschen, ein DDR-Wahlzettel oder zwei Krawatten, die ein homosexuelles Paar zur ersten gleichgeschlechtlichen Eheschließung in Deutschland getragen hat, ein. Ergänzt wird jedes Objekt durch Videos, interaktive Spiele oder Zeitungsausschnitte, die die Besucher intuitiv und spielerisch Kernpunkte einer Demokratie erleben lassen wie Grundrechte, Minderheitenschutz, Recht auf Teilhabe und auf freie Meinungsäußerung.

Weimarer Republik neu entdecken

Diese Themen finden sich auch eine Etage höher, im 1. Stockwerk des Pei-Baus, wieder – diesmal im historischen Kontext der Weimarer Republik (1919 – 1933). Auch hier steht nicht das Scheitern im Vordergrund, sondern die Streitthemen, Kompromisse und letztlich Errungenschaften. Nirgends findet sich die „Von Weimar lernen“-Moralkeule, die man bereits als Schüler oft im Geschichtsunterricht hört: Ein zersplittertes, chaotisches Vielparteiensystem, das den Aufstieg der nationalsozialistischen Partei und Adolf Hitlers zur Folge hatte. „Wir wollten Weimar nicht vom Ende her denken“, erklärt Kuratorin Simone Erpel. So liegt der Fokus jetzt auf den vielen fortschrittlichen Reformen im Wahlrecht, im Umgang mit Sexualität oder im Sozialstaat, die größtenteils den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg überdauerten und bis heute die deutsche Gesellschaft bestimmen.

Die Demokratie, eine Baustelle?

Zunächst empfängt den Besucher aber eine Baustelle. Anfangs befürchtet man, die Ausstellungsmacher wären nicht fertig geworden. Schnell wird klar, dass die Baugerüste, an denen die 2500 Exponate und Texte befestigt sind, die Ausstellungsthese unterstreichen: Demokratie ist ein ständiger Kampf, ein Ringen um Kompromisse, eine ewige Baustelle. Es gibt keinen Endpunkt, das Zusammenleben muss stets neu verhandelt werden.

Gesellschaftliches Tauziehen

Einer dieser Fortschritte war beispielsweise die Einführung einer Arbeitslosenversicherung 1927, ein lang umkämpftes Reformprojekt, auf das sich schließlich doch alle Parteien einigen konnten. Hart umringt war auch die Gestaltung der Nationalfahne der ersten parlamentarischen Demokratie Deutschlands. Das Schwarz-Weiß-Rot der Monarchie sollte durch ein Schwarz-Rot-Gold ersetzt werden. Darüber entbrach sich ein jahrelanger Flaggenstreit, der zu Straßenkämpfen führte und letztlich durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten beendet wurde. Die Ausstellung zeigt eine schwarz-rot-goldene Flagge aus der Weimarer Republik, die ein Bürger nach der Machtergreifung in seinem Gartenhäuschen versteckt hatte.

Wahlplakate 1919: Erstmals dürfen auch Frauen wählen

An aktuelle Debatten erinnern unter anderem Ausstellungsobjekte zum Thema Pressefreiheit. Gezeigt werden beispielsweise Ausschnitte des Antikriegsfilms „Im Westen nichts Neues“ (1930) und auch die starken Prostete dagegen aus dem rechten Lager. Wie frei und liberal die Weimarer Republik war, davon zeugen Original-Plakate und -Fotos zur Sexualaufklärung („Geh nicht blind in die Ehe! Lass Dich beraten“).

Lässt sich dann doch „Von Weimar lernen“? Die stete Unterstreichung der Kompromissfindung zeigt: Ohne gesellschaftliches Tauziehen geht es nicht. Das ist anstrengend, manchmal auch schmerzhaft – und doch lohnenswert, wie beispielsweise die Einführung des Frauenwahlrechts 1919 zeigt. 

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