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Kultur - 10.02.2019

Die Berlinale und das deutsche Kino

Fatih Akin ist einer der heimischen Regiestars, sein neuer Film „Der goldene Handschuh“ wurde daher mit großer Spannung erwartet. Die Schau wurde dem Regisseur allerdings von einer Debütantin gestohlen.

Die Berlinale ist jedes Jahr auch ein großes Schaulaufen des deutschen Kinos. Wer schafft es zum Festival, wer darf in den Wettbewerb? Dieter Kosslick verschafft dem deutschen Kino bei seiner letzten Berlinale noch einmal einen großen Auftritt, gleich drei deutsche Produktionen sind diesmal mit dabei im Rennen um den Goldenen Bären – und zwei davon laufen direkt zu Beginn.

Mit Spannung erwartet: Fatih Akins Literaturverfilmung

Fatih Akin hat schon einen Goldenen Bären, 2004 gewann er ihn verdientermaßen für sein emotionales Drama „Gegen die Wand“. Außerdem errangen seine Filme Auszeichnungen in Cannes sowie beim Europäischen und beim Deutschen Filmpreis. Akin gehört zur Crème de la Crème des deutschen Kinos. Klar, dass sein neuer Film im Wettbewerb der Berlinale zu einem Ereignis wird.

Fritz Honka (Jonas Dassler) findet seine Opfer (hier: Margarethe Tiesel) in den Kneipen und holt sie sich nach Hause

Und ein Ereignis hat Fatih Akin dann auch geliefert. Allerdings dürfte der Film nicht allen gut bekommen sein. Der gebürtige Hamburger mit türkischen Wurzeln erzählt in „Der goldene Handschuh“ (nach dem gleichnamigen Roman von Heinz Strunk) eine Trinker- und Mordgeschichte voller Drastik und Brutalität aus seiner Heimatstadt, die sich so tatsächlich in den 1970er Jahren abgespielt hat. 

Der goldene Handschuh – Geschichte eines Serienmörders

Fritz Honka, der ein starker Trinker war und vor allem in dem Hamburger Lokal „Zum goldenen Handschuh“ verkehrte, ermordete damals vier Frauen aus dem Prostituiertenmilieu. Er zerstückelte die Leichen und versteckte Teile davon in seiner Wohnung. Weil er bei seinen Taten überaus bestialisch vorging, entwickelte sich der Fall Honka, der nur durch Zufall gelöst wurde, zu einem der spektakulärsten Kriminalfälle in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte.

Fatih Akin (Mitte) zwischen Schauspieler Jonas Dassler und Heinz Strunk (links)

„Honka ist für mich nicht einfach irgendein Serienmörder wie Hannibal Lecter aus ‚Das Schweigen der Lämmer'“, sagt Fatih Akin. Honka sei ein realer Mensch aus seiner Nachbarschaft gewesen, der diese auch sozialisiert habe. Als er in der Grundschule war, so der Regisseur, sei Honka eine „Angstfigur seiner Kindheit“ gewesen. „Pass auf, der Honka kommt“, war damals in Hamburg ein gebräuchlicher Droh- und Schreckensruf auf Schulhöfen und auf der Strasse.

Honka war ein physisch und psychisch deformierter Mensch

Fatih Akin hat den Fall und Heinz Strunks Roman, der vor drei Jahren erschien, überaus drastisch in Szene gesetzt. Honka, 1935 in Leipzig als Sohn eines Kommunisten, der im Konzentrationslager saß, geboren, war Hilfsarbeiter, Alkoholiker, körperlich und seelisch deformiert. Sexualität konnte er nur ausleben, indem er Frauen Leid zufügte.

Die Heilsarmee zu Gast im „Goldenen Handschuh“

Mit vollem Magen ist der Film kaum zu ertragen. Honkas Bluttaten, das Leben im Alkoholexzess, all das wird von Fatih Akin bis über die Grenzen des Erträglichen hinaus als apokalyptischer Bilderreigen inszeniert. Der Hamburger Kiez, seine Bars und Frittenbuden, Honkas Wohnung und vor allem der Hauptschauplatz des Geschehens, die Kneipe „Zum goldenen Handschuh“, wird zur filmischen Höllenfahrt.

„Der goldene Handschuh“: eine blutige Horrorgroteske 

Der Film sei kein Sozialdrama, sagt Akin, „der Begriff hat mir einen zu belehrenden und vorverurteilenden Beigeschmack. Für mich ist ein Film eher etwas Philosophisches. Mein Film ist das Porträt eines Geisteskranken, dessen Morde man nicht mit sozialen Umständen erklären kann.“

Jonas Dassler als Serienmörder Fritz Honka

Auf der anderen Seite hat Akin bei seiner Verfilmung aber doch nach ebensolchen Spuren gesellschaftlich schlüssiger Erklärungen gesucht: „Die Leute sterben in Mietskasernen und Sozialbauwohnungen und stinken erst einmal wochenlang vor sich hin. Erst am Gestank merken die Leute, dass da überhaupt jemand gestorben ist. Diesen Verwesungsgeruch gab es hier auch. Man versucht natürlich, in so einem Film historisch korrekt zu sein. Aber man will die Vergangenheit auch nicht nur alt und staubig aussehen lassen. Wer so etwas macht, hat einige aktuelle Entwicklungen im Kino nicht mitbekommen. Mein Film spielt zwar gestern, es könnte sich aber alles genauso gut heute ereignen.“

Akin malt das Ekel-Tableau der St. Pauli-Szenerie in vollen Tönen aus

Doch durch die Drastik der Bilder, der Figuren und Geschehnisse, dürfte den meisten Zuschauern das Nachdenken über das Gesehene schwer fallen. Zu schrill, zu grauselig und zu abstoßend ist das, was sich auf der Leinwand auftut. Wo Heinz Strunk zwar auch in aller Deutlichkeit die Taten beschrieb, überließ er es dem Leser, sich ein eigenes Bild der Ereignisse zu verschaffen. Überdeutliche Kino-Bilder können Phantasie und damit produktives Erleben auch abtöten – so das Fazit nach dem Kinobesuch.

Überragend in der Rolle des jungen Mädchens, das in kein System passt: Helena Zengel

Eher die Herzen der Zuschauer erreichte dagegen überraschenderweise der Film „Systemsprenger“ der deutschen Debütantin Nora Fingscheid. Ihr im Berlinale-Wettbewerb gezeigtes Porträt eines neunjährigen Mädchens, das zwischen einer überforderten Mutter, Heimen und anderen sozialen Einrichtungen hin- und hergeschoben wird, ging unter die Haut. Das Mädchen, das immer wieder von wütenden Attacken gegen Erzieher und Lehrer heimgesucht wird, lässt sich nicht eingliedern – es sprengt alle Systeme.

Fatih Akin: „Dem Zuschauer Angst machen.“

Fingscheid hat zweifellos das berührendere Sozialdrama gedreht. Fatih Akin sagte kurz vor der Premiere seines Films in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur, er habe bei seinem neuen Film ein klares Ziel vor Augen gehabt. Er habe einen Horrorfilm machen wollen und die Absicht gehabt, die Zuschauer zu erschrecken: „Das wollte ich: Dem Zuschauer Angst machen. Und das auf eine Weise, dass es mir Angst macht.“

Regisseurin Nora Fingscheidt (in Rot) mit Darstellern Albrecht Schuch, Helena Zengel und Lisa Hagmeister

Das ist ihm zweifellos gelungen. Doch der Ekel überwiegt, die Angst des Zuschauers speist sich hier aus einem oberflächlichen Nervenkitzel. Bei Nora Fingscheidt ist das anders. Sie präsentiert in „Systemsprenger“ einen ganz realen psychischen und gesellschaftlich grundierten Horror. Doch der berührt den Zuschauer an einem tieferen Punkt. Es ist der Horror menschlicher Verzweiflung und erscheint ganz real.

So zeigt sich das deutsche Kino mit zwei ganz unterschiedlichen Seiten. Mit einem Horror, der auf einer wahren Geschichte beruht, der dann aber zur Genre-Fantasy-Geschichte wird. Und mit einem Horror ganz subtiler Art, der menschlich berührt und noch lange nachwirkt.

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