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Kultur - 17.01.2019

„Eines Tages werden wir Frieden haben“: Treffen mit der israelischen Autorin Lea Fleischmann

Vor 40 Jahren verließ die Jüdin Lea Fleischmann die Bundesrepublik. Seither versucht sie, Deutschen das Judentum zu erklären. Dafür hat sie Anfang des Jahres das Bundesverdienstkreuz bekommen. Ein Treffen in Jerusalem.

„Sie müssen zum Hauseingang Dalet“, sagt Lea Fleischmann. „Warten Sie dort, ich komme raus.“ Und schon steht sie auf der Straße vor einem Jerusalemer Mietshauskomplex. Der Himmel über Jerusalem ist wolkenlos. Und Lea Fleischmann strahlt. Gerade erst hat sie ihr Gespräch mit einem Lehrer aus Deutschland beendet. Wieder jemand, der Interesse am Judentum zeigt und dies auch seinen Schülern vermitteln möchte. Fleischmann freut sich darüber. Ganz gleich, wie viele Bücher sie geschrieben habe, so stellt die 72-Jährige klar: „In der Tiefe meiner Seele bin ich Lehrerin geblieben.“

Sie bittet mich, ihr gegenüber, am Schreibtisch ihres Sohnes Arie, Platz zu nehmen. Gemeinsam mit ihm betreibt Lea Fleischmann den Verein „Kulturelle Begegnungen“, empfängt deutsche Reisegruppen, die nach Israel kommen, erzählt ihnen vom Judentum. Und entwickelt Projekte für Schulen, damit deutsche Jugendliche – wie sie es formuliert – etwas „Authentisches“ über das Judentum erfahren.

Vor wenigen Tagen hat Lea Fleischmann in Tel Aviv das Bundesverdienstkreuz erhalten, für „ihren unermüdlichen Einsatz für die deutsch-jüdischen, jüdisch-christlichen und die deutsch-israelischen Beziehungen“. So drückte es die deutsche Botschafterin in Israel bei der Ordensverleihung aus. Seit mehr als 40 Jahren versucht Fleischmann den Deutschen zu erklären, was es bedeutet, das Judentum zu leben. „Schabbat“, lautet einer ihrer Buchtitel. Ein anderer „Heiliges Essen“. Der Untertitel in beiden Fällen: „Das Judentum für Nichtjuden verständlich gemacht.“ 

Aufgewachsen im Camp für „Displaced Persons“

Dabei war sie selbst zunächst kaum religiös. Geboren 1947 in einem sogenannten DP Camp in Ulm, einem Lager für Überlebende des Holocaust, wuchs sie die ersten Jahre in einer rein jüdischen Gemeinschaft auf. Doch um Religion ging es selten. „Für meine Eltern waren die Deutschen Nazis, Mörder und Verbrecher. So haben sie die Deutschen kennengelernt und so blieb es auch für sie.“

Über die Vergangenheit wurde geschwiegen. Und doch war sie immer da. Die Krankheiten der Eltern – zurückzuführen auf die Zwangsarbeit. Die Gespräche mit Freunden, die das Kind heimlich mithörte. Und die immergleichen Ermahnungen beim Essen. „Wenn man etwas nicht essen wollte, hieß es gleich: Im KZ wären wir froh gewesen, wenn wir eine Kartoffel gehabt hätten. Der Holocaust war immer präsent.“

Deutsche Vorschriften, die an die NS-Zeit erinnerten

Als sie zehn Jahre alt war, wurde das Camp geschlossen, und die Familie zog nach Frankfurt. Zum ersten Mal, so erzählt Lea Fleischmann, hatte sie Kontakt mit einer nicht-jüdischen Umwelt. „Auch ich war damals davon überzeugt, die Deutschen seien Nazis, Mörder und Verbrecher.“ Doch was sie dann in Frankfurt erlebte, passte nicht zu den Erzählungen ihrer Eltern. „Meine Lehrer waren sehr nett. Meine Mitschüler auch. Und die Verkäufer in Geschäften waren ebenfalls freundlich. Ich habe keine Mörder und Verbrecher kennengelernt, sondern normale Menschen.“ Und doch gehörte beides zur Realität. Diese Diskrepanz empfand sie selbst als Kind. „Es war wie ein Loch in der Geschichte, für das es keine Erklärung gab.“

Felsendom in Israel

Erst als Lea Fleischmann Lehrerin wurde und als Beamtin im deutschen Staatsdienst arbeitete, fand sie eine Erklärung. „Für alles gab es eine Vorschrift oder eine Anweisung.“ Sie sah Parallelen zu dem, was sie über den Nationalsozialismus gelesen hatte. Nämlich, dass es auch damals für jeden Schritt einen Erlass gegeben hat. „Letztendlich waren es korrekte, anständige Beamte, die den Holocaust durchgeführt haben“, sagt Fleischmann noch heute. „Natürlich, mit den Nazis kam eine Gruppe an die Macht, die furchtbare Ideen hatte. Aber umgesetzt hat diese ein Heer von korrekten Beamten.“ Als 1972 der sogenannte „Radikalenerlass“ vor allem Kommunisten aus dem Staatsdienst fernhalten sollte, erlebte die junge Lehrerin, wie nicht nur Lebensläufe überprüft wurden, sondern auch beobachtet wurde, welche Kneipen man besuchte und welche Gedichte im Unterricht gelesen wurden. Da habe sie gedacht: „Was wird in Deutschland passieren, wenn wieder eine radikale Partei an die Macht kommt?  Und neue Gesetze erlassen werden? Die Beamten werden diese ausführen, so wie sie es schon einmal getan haben.“

„Dies ist nicht mein Land. Eine Jüdin verlässt die Bundesrepublik“

Lea Fleischmann ging nach Jerusalem, wurde israelische Staatsbürgerin und gab ihre deutsche Staatsbürgerschaft zurück. „Ich wollte mit Deutschland damals nichts mehr zu tun haben“, sagt sie. Wie ihre Zukunft in Israel aussehen würde, wusste sie allerdings nicht. Hebräisch sprach sie keins. Als Lehrerin arbeiten konnte sie nicht. Also begann sie, sich in der Ferne mit ihrem Geburtsland auseinanderzusetzen. Und schrieb ein Buch.   

Der Titel: „Dies ist nicht mein Land. Eine Jüdin verlässt die Bundesrepublik“. Als es 1979 in Deutschland erschien, löste es dort eine große Debatte aus. Denn Lea Fleischmann attestierte den Deutschen nicht nur Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Fleiß, sondern charakterisierte sie zugleich als ängstlich und autoritätsgläubig. Im Krisenfall, schrieb sie, würden die Deutschen wieder nach dem starken Mann rufen.

„Hall of Names“ in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem

Im Auftrag des Bundesbeauftragten gegen Antisemitismus entwickelten Lea Fleischmann und ihr Sohn ein Schulprojekt: „Sabbat – Sonntag – Ruhetag“. Hier lernen die Schüler nicht nur die Bedeutung des jüdischen Sabbat kennen, sondern auch die Gemeinsamkeiten mit dem christlichen Sonntag. Mehr als 200 Schulen in verschiedenen Bundesländern haben inzwischen teilgenommen. Sie, die vor 40 Jahren den Schuldienst verlassen hat, ist somit zurückgekehrt in die deutschen Klassenzimmer. Auch wenn sie nicht physisch anwesend ist. „Ich habe glücklicherweise nur mit Menschen Kontakt, die etwas lernen wollen. Denen bringe ich etwas bei. Was das auf die Dauer bewirken wird, das weiß ich nicht. Wer kann das wissen?“ 

Gegenüber liegt Yad Vashem: Israels Gedenkstätte an die Opfer des Holocaust

Lea Fleischmann schreibt über das Judentum nicht wie eine Kulturwissenschaftlerin, sondern aus der Perspektive einer Frau, die glaubt und die diese Religion im Alltag lebt. Zugleich hat sie aber erst mit Anfang 30 selbst gelernt, was es in religiöser Hinsicht heißt, eine Jüdin zu sein. Sie weiß also, sich dem Thema aus der Perspektive des Neulings zu nähern.

 Alle ihre Bücher werden in Deutschland verlegt, nicht in Israel. Schließlich müsse man – so sagt Lea Fleischmann selbst – in Israel ja niemandem erklären, was der Sabbat sei.In Deutschland aber kennen die wenigsten Juden und wissen nicht, was es bedeutet, die Religion zu praktizieren. Das Problem, sagt Lea Fleischmann, sei, dass Juden nur beim Thema Holocaust Erwähnung fänden. „Judentum bedeutet nicht Verfolgung und nicht Leiden. Das Judentum ist eine faszinierende Religion, die das ganze Abendland beeinflusst hat.“ Sie wolle die Gemeinsamkeiten aller Religionen zeigen – von Judentum, Christentum und Islam. Von Jerusalem, so ist sie überzeugt, gehen positive Gedanken aus. Nicht die von Hass und Krieg, wie man aus den Nachrichten meinen könnte. Sie glaubt fest daran: „Eines Tages werden wir Frieden haben.“ Sie selbst wolle weiterhin einen kleinen Beitrag dazu leisten. Jeden Tag.

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