Home Kultur Jan-Ole Gerster als bester Nachwuchsregisseur ausgezeichnet
Kultur - 06.07.2019

Jan-Ole Gerster als bester Nachwuchsregisseur ausgezeichnet

Beim Filmfest München bekam Newcomer Jan-Ole Gerster den Preis als bester Nachwuchsregisseur – für seinen zweiten Film „Lara“. Im DW-Interview erzählt er vom Erwartungsdruck nach seinem Debüt.

„Lara“: Mutter und Sohn beim nur scheinbar entspannten Gespräch: Corinna Harfouch und Tom Schilling

Es hat in den letzten Jahren kaum ein anderes deutsches Debüt gegeben, das auf einen solchen Siegeszug bei Publikum und Kritik zurückblicken kann wie „Oh Boy“. Als der 1978 in Hagen geborene Regisseur Jan-Ole Gerster vor sieben Jahren in München seinen Hochschul-Abschlussfilm beim Festival präsentierte, ahnte niemand, was da noch kommen sollte. Auch Gerster selbst nicht. Auf dem Filmfest München 2019 wurde er jetzt mit dem Förderpreis Neues Deutsches Kino als bester Nachwuchsregisseur ausgezeichnet. Der Preis ist mit 30.000 Euro dotiert.

„Oh Boy“ wurde zu einem weltweiten Arthaus-Hit

Wie ein Märchen sei das gewesen, erinnert sich Gerster ein paar Stunden vor der Premiere seines zweiten Films „Lara“ im Gespräch mit der Deutschen Welle: „Man darf nicht vergessen, das war ein Low-Budget-Abschlussfilm, der lange Zeit keinen Verleih hatte.

Um ein Haar hätte er niemals das Licht der Leinwand erblickt und wäre irgendwann nach Mitternacht im Fernsehen versendet worden.“ Noch immer ist der Regisseur verblüfft, wenn er an „Oh Boy“ zurückdenkt: „Die Dinge haben sich wirklich auf den letzten Metern ganz anders entwickelt.“ 

Nachdenklich: Tom Schilling in „Oh Boy“

Der Film fand einen Verleih, wurde weltweit von Festivals eingeladen, sammelte dutzendfach Preise und kam in rund 40 Ländern in die Kinos, auch in den USA, Kanada, Japan, Russland, Australien. Zur Krönung gab’s den „Europäischen Filmpreis für das beste Debüt“. „Ich bin sehr dankbar, dass ich einmal diese tolle Erfahrung machen konnte und gehe jetzt nicht davon aus, dass sich das jetzt mit jedem Film wiederholen lässt.“

Internationale Premiere von „Lara“ in Karlovy Vary

Doch die Erwartungen waren groß bei Publikum und Presse. Beim Festival in Karlovy Vary 2019 in Tschechien feierte „Lara“ Weltpremiere, zwei Tage später folgte die deutsche Premiere beim Filmfest München.

Wie hat Gerster die Uraufführung in Karoly Vary erlebt, wo schon „Oh Boy“ zum ersten Mal vor Publikum gezeigt wurde? „Ich muss gestehen, dass ich nicht in der Premiere drin gewesen, sondern draußen nervös hin- und hergelaufen bin“, erzählt Gerster. Die ersten Reaktionen seien aber gut gewesen: „Ich bin zufrieden und glücklich.“

Weltpremiere auf dem Roten Teppich in Karlovy Vary: Gerster (5 von l.) und sein Team

Wie ist er überhaupt mit den enormen Erwartungen nach dem Riesenerfolg von „Oh Boy“ umgegangen? „Es wäre gelogen, wenn ich nicht ein bisschen Druck empfunden hätte nach dem Debütfilm“, gesteht Gerster ein: „Es gibt natürlich Erwartungen: die, die man selber hat, aber vor allem Erwartungen von außen. Die abzuschütteln, zu ignorieren und wegzuschieben, das ist schon eine Aufgabe.“

„Oh Boy“ erinnerte an große französische Filmvorbilder

Jan-Ole Gerster hat sie gemeistert, soviel sei verraten. „Lara“ ist ein ganz anderer Film geworden als „Oh Boy“, der den jungen Tom Schilling als melancholisch-verträumten Drifter zeigte. Der hatte sein Studium abgebrochen und ließ sich dann treiben. Ein kleiner in Schwarz-Weiß gedrehter Film mit einem coolen Jazz-Soundtrack und ungeheuer viel Atmosphäre. Ein Film, dessen Handlung an einem Tag spielt und der an frühe Werke der französischen Nouvelle Vague erinnerte.

Eine Frau verfolgt das Talent ihres Sohns: Corinna Harfouch beim Konzert in „Lara“

Auch „Lara“ spielt an einem Tag, das zumindest verbindet beide Filme. „Lara“ allerdings ist in Farbe gedreht und erzählt die Geschichte einer Frau im fortgeschrittenen Alter. Die deutsche Theater- und Filmschauspielerin Corinna Harfouch (unser Bild oben) spielt diese Lara ungeheuer eindringlich.

In der ersten Szene sieht man sie am Morgen ihres 60. Geburtstags am offenen Fenster ihrer Wohnung. Sie steigt auf einen Stuhl und ist offenbar im Begriff, sich hinabzustürzen. Doch dann klingelt es an der Tür, Lara öffnet und die Dinge nehmen einen anderen Verlauf.

Corinna Harfouch drückt „Lara“ den schauspielerischen Stempel auf

Lara hat einen Sohn, einen jungen, begabten Pianisten (Tom Schilling), und der gibt am Abend sein erstes großes Konzert, bei der er auch eine eigene Komposition zur Aufführung bringen will. Also entschließt sich Lara, am Abend das Konzert zu besuchen, kauft vorher noch alle Restkarten auf und verteilt sie an Freunde und Bekannte.

Freude nach der Weltpremiere: Corinna Harfouch mit Regisseur Gerster (r.) und Darsteller Volkmar Kleinert

Was hat Gerster an dem Stoff gereizt, der nach einem Drehbuch seines slowenischen Freundes, des Autors und Regisseurs Blaž Kutin, entstand? „Ich war neugierig auf das Buch von Kutin, habe es gelesen und war gleich auf eine merkwürdig, sonderbare Art begeistert, fasziniert und berührt von dieser Frau und der Geschichte dieser Frau.“

Jan-Ole Gerster: „Lara hat auch irgendetwas mit mir zu tun“

Nach dem ersten Lesen habe er eigentlich gar nicht gewusst, was ihn so fasziniert habe, so Gerster. Er sei sich aber sicher gewesen, das gerade dass „ein gutes Indiz war, dass mich das so aufwühlt hat: Weil es bedeutet, dass es irgendetwas mit mir zu tun hat.“ Ihn faszinierten Menschen mit einer großen Leidenschaft: „Die finde ich per se sehr interessant.“ Lara hat die Bemühungen ihres Sohnes, eine Musikerlaufbahn einzuschlagen, stets misstrauisch verfolgt – das wird schnell deutlich.

Im Laufe der Handlung schält sich das Porträt einer Frau heraus, die selbst einmal davon geträumt hat, Klaviervirtuosin zu werden, sich aber schnell von Lehrern und ihrer Umwelt verunsichern ließ. Schicht um Schicht legt Gerster dieses Psychogramm einer sensiblen Frau frei: Statt ein Leben mit der Musik zu führen, hat sich Lara viele Jahre in einem Büro-Job aufgerieben: Bürokratie statt Noten, Akten statt Musik. Lara hat ihren großen Traum nie gelebt. Die eigenen Ängste überträgt sie nun auf ihren Sohn.

„Lara“ ist ein Film über Kunst, Träume und Erwartungen

Ein wenig spiegelt „Lara“ auch die Verarbeitung der eigenen Geschichte wider, die Gerster bis zu seinem Debüt vor sieben Jahren zurückgelegt hat: „Ich bin froh, dass ich das ganz anders gehandhabt und gewagt habe, einen ersten Film zu drehen.“ Lara stehe für „einen Konflikt und eine Angst, die mir nicht fremd sind – weil ich als Filmstudent auch schon mal so in einer Situation war, die mich fast erschlagen hat, dass ich gedacht habe: Wenn ich jetzt scheitere, wird das für immer eine schlechte Erfahrung bleiben.“

Jan-Ole Gerster beim DW-Gespräch in München

Ihm „tue es unendlich Leid, dass Lara erkennen muss, dass es nicht die richtige Entscheidung war“, fügt Gerster hinzu: Darin liege für ihn „eine große Tragik, aber auch eine große Zuneigung, die ich der Figur gegenüber empfunden habe.“ Ihn habe interessiert in diese Figur hineinzugucken: „Wie das oft so ist mit Menschen, die so handeln, liegt dem meistens ein großer Schmerz und eine Enttäuschung zugrunde.“ 

Wartet auf den Regisseur ein zweites Filmwunder?

Nun darf man gespannt sein, auf welche Reise Jan-Ole Gerster nach der Weltpremiere in Karlovy Vary und der deutschen Premiere in München mit „Lara“ geht. Erste Einladungen zu anderen Festivals wurden bereits ausgesprochen, der Verleiher des Films kümmert sich um den weltweiten Vertrieb. Wartet ein zweites Filmwunder auf Jan-Ole Gerster?

In Deutschland startet „Lara“ am 7. November 2019 in den Kinos.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Check Also

Jens Spahn reist in den Kosovo, um Pflegekräfte anzuwerben

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU): Im Kosovo und in Albanien sei die Pflegeausbildung b…