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Kultur - 23.10.2018

Kommentar: Frankfurter Buchmesse – Entspannt sein geht nicht in diesem Jahr

Nach den Fachbesuchern steht die weltgrößte Buchmesse in Frankfurt nun allen Lesern offen. Sie stoßen auf ein spannendes Gastland und eine politisch aufgeladene Atmosphäre, meint Sabine Peschel.

Jede Frankfurter Buchmesse hat ihre spezifischen Themen und ihre eigene Atmosphäre. Dass die Meinungsfreiheit und die Freiheit des Publizierens immer zu diesen Themen gehören, versteht sich von selbst. Sie sind Voraussetzung für das, worum es in erster Linie geht: Buchlizenzen zu verkaufen, Aufmerksamkeit zu schaffen für Autorinnen und Autoren sowie das Kulturgut Buch, neue Publikationen zu verabreden.

2015 war die Messe aufgeregt. Sie stand ganz im Zeichen der Flüchtlingssolidarität. Schriftsteller und Verlagsmenschen engagierten sich und erzählten davon – wir schaffen das, und zwar mit Begeisterung. Die Buchmesse 2016 war von Empörung über die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in der Türkei gekennzeichnet; in den Diskussionen wurde danach gefragt, wie es ist, in der Diktatur und im Exil zu lesen und zu schreiben. 2017 war laut und impulsreich. Erinnern Sie sich noch an Macron und seine mitreißende Europa-Rede, als er gemeinsam mit Merkel die Messe eröffnete? Und die schrillen Töne um rechte Verlage, als es beim Protest fast zu einer Schlägerei kam?

Schriftsteller unter Druck

Und 2018? Es war Sommer in Frankfurt während der Messetage für Fachbesucher. Sonnenlicht leuchtete in die Hallen hinein. Man ging ein bisschen langsamer, plauderte hier und lauschte dort. Man hätte entspannt sein können. Aber man war es nicht – ganz im Gegenteil. Eigentlich hätten die Veranstalter zufrieden sein können. Mehr Aussteller als im letzten Jahr, der Branchenumsatz ist einigermaßen stabil, mit einem guten Weihnachtsgeschäft könnte man sogar noch auf eine schwarze Null kommen.

Sabine Peschel ist Redakteurin für Literatur

Und trotzdem: Über der diesjährigen Frankfurter Buchmesse liegt eine düstere Atmosphäre. Es gab keine heftigen Auseinandersetzungen, die rechten Verlage hatte man – bis auf einen – hinter die Kunstbücher in eine abgelegene Ecke von Halle 4 verbannt. Zu spüren ist eine geradezu grimmige Entschlossenheit: Die Menschenrechte und die Meinungsfreiheit zu verteidigen, das sind längst keine Lippenbekenntnisse mehr. Wenn, wie eine PEN-Studie ergab, die Mehrheit der Schriftsteller sich von Hassmails und Schmähungen in den Sozialen Medien angegriffen fühlen und viele dadurch vorsichtiger in ihre öffentlichen Äußerungen werden, dann ist das eine gefährliche Einschränkung der Meinungsfreiheit.

Was verlegt wird, ist eine Frage der Meinungsfreiheit

Wenn es darum geht, welche Bücher in Polen oder Ungarn verlegt, welche Übersetzungsprojekte gefördert werden, dann wird die Frage nach der Meinungsfreiheit sehr konkret. Und der Kampf für die Menschenrechte wird zur ganz konkreten Aufgabe, wenn es darum geht, sich für die weit über 100 inhaftierten Schriftsteller und Journalisten in der Türkei einzusetzen. Die Kollegen der etwa 150 geschlossenen Medien zu unterstützen. Asli Erdogan und Deniz Yücel haben auf der Messe noch viel zu sagen.

Auch das Thema Europa ist weiterhin zentral. Aber es ist bezeichnend, wie klar und kühl die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini darlegte, dass Europa zur Identität jedes Individuums in Europa gehört, wie seine lokale, nationale und seine Gender- Identität. Keine Macron’sche Europa-Euphorie, sondern ein nüchterner Schlusspunkt unter eine blödsinnige Identitätsdebatte – wenn sie nur durchdränge.

Zahl der Buchkäufer geht zurück

Für das Kerngeschäft der Buchbranche sieht es längst nicht so gut aus wie auf den ersten Blick: Die Umsätze werden zwar noch gehalten, aber mit weniger Käufern. Schlicht gesagt kaufen weniger Menschen mehr Bücher, was auch ein Phänomen des demographischen Wandels ist. Die Branche hat das Problem erkannt und sucht nach Wegen, das Buch und die Literatur nicht zu einem Nischen-Phänomen für Eliten verkommen zu lassen.

Einen Lichtblick gibt es auf der diesjährigen 70. Buchmesse: Das Gastland Georgien ist durch die vielen Lesungen ihrer schon lange vor der Messe durch die Lande gereisten Schriftsteller und einen fantastischen Messe-Auftritt plötzlich ganz nahe gerückt. Das georgische Zwitterwesen mit seiner schweren sowjetischen Vergangenheit, der andauernden russischen Okkupation großer Landesteile, aber auch der südlichen Lebensschönheit gehört zu Europa – dieses Gefühl bleibt definitiv zurück.

Die Buchmesse 2018 ist noch politischer geworden, und das ist gut.

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