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Kultur - 25.03.2019

Peter Demetz: „Hitler hat sich im Kino auch selbst gesucht“

Diktatoren in Ost und West erkannten früh die Macht des Kinos. Der Literaturwissenschaftler Peter Demetz erklärt im DW-Interview, wie unterschiedlich Hitler, Stalin oder auch Mussolini mit dem Medium Film umgingen.

Peter Demetz, 1922 in Prag geboren, lebt heute in den USA

„Diktatoren im Kino: Lenin – Mussolini – Hitler – Goebbels – Stalin“ heißt das neue Buch des amerikanischen Germanisten Peter Demetz. 1922 in Prag geboren, hat Demetz deutsche, tschechische und jüdische Wurzeln. Bekannt wurde er vor allem mit seinen literaturwissenschaftlichen Arbeiten. Eine weniger bekannte Liebe von ihm ist das Kino. Wir erreichen den inzwischen 96-jährigen Demetz per Telefon an seinem Wohnort in New Brunswick in New Jersey/USA.

Deutsche Welle: Im Nachwort Ihres Buches schreiben Sie, dass Ihre Frau Sie an Ihrem 95. Geburtstag aufgefordert habe, dieses Alter als Herausforderung zu betrachten. Das haben Sie getan und noch einmal ein Buch geschrieben. Was hat Sie an dem Thema „Diktatoren und Kino“ so sehr fasziniert?

Peter Demetz: Die Frage hat mich immer interessiert – seit meiner Jugend. Das war eben die Zeit, in der ich (in Brünn, Stadt in Tschechien, zwischen 1939 und 1945 von den Nationalsozialisten besetzt, Anm. d. Red.) immer ins Kino gegangen bin. Die Erwachsenen, die Eltern, haben immer von den Diktatoren geredet. Ich war dann neugierig, was die Diktatoren unternahmen, wie sie über das Kino dachten, was sie vom Film hielten.

Sie schreiben über das Verhältnis von fünf Diktatoren zum Film und zum Kino. Schauen wir zunächst mal auf Adolf Hitler: Der war ja anfangs alles andere als ein Kinofan!

Hitler fand erst spät zum Kino, hier als Ehrengast bei einer Filmvorführung

Ja, er war gar kein Kinofan. Und es dauerte eine Weile, bevor er im Kino zu finden war. Das ist ganz sicher. Er hatte damals erst einmal einen Schock. Er ging als 16- oder 17-Jähriger in ein Kino am Linzer Bahnhof, in einen sogenannten „Aufklärungsfilm“. Dort wurde er mit Syphilis, mit Prostitution konfrontiert. Das war ein Schock für ihn, den er noch später erwähnte. Auch noch bei einem Tischgespräch, mitten im Krieg, im Jahre 1943.

In den Jahren 1933 bis 1939 sah Hitler dann aber geradezu manisch Filme, zum Teil mehrere am Tag. Warum hat er seine Meinung über das Kino irgendwann geändert?

Das war natürlich auch die Wirkung von Joseph Goebbels. Aber auch seine eigene Umkehr in dieser Frage. Er ging ja mit seinen Assistenten, mit seinen Kraftfahrern, mit denen er damals in München in den 1920er Jahren immer in der Gruppe zusammen war, auch ins Kino. Nicht nur „auf ein Bier“ oder ins Kabarett. Dann tauchte auch Eva Braun auf, die war bei Heinrich Hoffmann beschäftigt (als Fotolaborantin, Hoffmann wurde später zu Hitlers Fotograf, Anm. d. Red.).

Hoffmann hat Eva Braun immer dazu aufgefordert, sich im Kino neben Hitler zu setzen. Seither war Hitler auch am Kino interessiert. Allerdings nur bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Von da an beschränkte er sich nur noch auf die Wochenschauen und seine eigene Rolle in den Wochenschauen. Sein Hauptinteresse galt dem Film also in den Jahren zwischen 1933 bis 1939. Das sind die intensivsten Filmjahre für ihn.

Goebbels hatte ja einen ganz anderen Zugang, bereits 1933 hat er in Deutschland die ganze Filmwirtschaft umgestaltet. Hat Goebbels die Propagandamacht des Kinos früher und bewusster erkannt?

Goebbels nutzte das Medium schon früh als Propagandainstrument, hier bei einem Kinobesuch 1936

Aber auch Goebbels ist verhältnismäßig spät zum Kino gekommen. Seine erste Filmbemerkung im Tagebuch fällt ins Jahr 1924. Da schreibt er über skandinavische Stummfilme, er beobachtet die Gestik der Schauspieler, die anders ist als in deutschen Filmen. Er war damals 27 Jahre alt. Goebbels ist aber dem Interesse am Film treu geblieben. Auch deshalb, weil ihm immer mehr die Rolle eines Filmzensors und Filmministers zugefallen ist. 1933 ist er Minister für Kultur und Volksaufklärung geworden, in diesem Amt hat er dann die deutsche Filmproduktion im nationalsozialistischen Sinne zu lenken und zu organisieren begonnen.

Sowohl Goebbels als auch Hitler haben sich vor allem auch für britische und amerikanische Filme begeistert,  für Hollywood-Filme. Das ist vielfach beschrieben und belegt. Eigentlich ein Widerspruch zu den deutschen Propagandafilmen. Wie ist das zu erklären?

Dafür gab es verschiedene Gründe. Bei Goebbels war es oft der Wunsch, die amerikanischen Erfolge nachzuahmen. Ihm schwebte auch vor, Kriegsfilme zu machen, die eher „zivil“ waren. Sein großes Beispiel war der Hollywood-Film „Mrs. Miniver“ aus dem Jahre 1943. Das heißt, er wollte Kriegsfilme sehen, bei denen alles in der Familie auf zivile Weise abläuft – nicht pathetisch, sondern im familiären Sinne. Er hatte immer das Gefühl, er müsste die Produzenten anhalten „Mrs. Miniver“ nachzuahmen. Es ist ist ihm nie gelungen. Die deutschen Kriegsfilme waren immer pathetisch – und nicht so „zivil“ wie die amerikanischen oder auch englischen.

Goebbels schätzte insbesondere den Hollywood-Film „Mrs. Miniver“ von William Wyler

Bei Hitler kommt noch etwas anders hinzu. Hitler hat sich im Kino auch selbst gesucht. Bei Hitler war ein starker Drang nach biografischer „Selbsterkenntnis“. Einer seiner Lieblingsfilme war zum Beispiel der Hollywood-Film „Viva Villa“, ein Film über den mexikanischen Revolutionär Pancho Villa. Hitler sah sich selbst als Volksrevolutionär. Goebbels wollte den Film allerdings nicht in den deutschen Kinos zeigen, weil dieser ihm als zu revolutionär und zu gefährlich erschien.

Bei anderen Filmen suchte Hitler „Vater-Sohn-Konflikte“, weil er an seine eigene Familie dachte. Die Familienverhältnisse bei Hitler waren sehr kompliziert. Er war das vierte Kind aus seines Vaters dritter Ehe. Er dachte auch an den preußischen Konflikt zwischen dem alten König und dem jungen König, dem jungen Friedrich. Er hat solche Konflikte und Konstellationen auch in britischen Filmen über das Leben von Kolonialoffizieren gefunden. Zu britischen Kolonialfilmen fühlte er sich hingezogen, weil dort Konflikte zwischen einem konservativen Vater und einem weniger konservativen Sohn behandelt wurden.

Einer von Hitlers Lieblingsfilmen: „Viva Villa!“ von Jack Conway und Howard Hawks aus dem Jahre 1934

Unterschiedlich sind die fünf von Ihnen beschriebenen Diktatoren umgegangen mit dem Bild, das die eigene Person in Filmen anbetrifft. Manche wollten sich ganz direkt und heroisch auf der Leinwand sehen…

Da gab es große Unterschiede. In Italien wurden unter Benito Mussolini keine Spielfilme gedreht, in denen Mussolini als Mussolini auftrat (nicht so in den Wochenschauen, in denen der Duce in Schwimmhosen zu sehen war, am Strande von Riccione). Es waren vielmehr Filme, die das Bild des Diktators sozusagen ikonisch vorausnahmen – als das des Scipio Africanus, aber Mussolini selbst kam nie vor.

Es gab in Italien auch eine ganze Serie von Filmen über einen „hilfreichen Riesen“, der den guten Menschen immer half. Das waren die sogenannten „Maciste“-Filme (eine vom italienischen Schriftsteller Gabriele D’Annunzio erfundene Heldengestalt mit herkulischen Kräften aus Karthago; zwischen 1914 und 1926 entstanden 25 Filme, Anm. d. Red.). Das waren Filme, in denen jeder annahm, wenn er hinging, dass Maciste ein Bild von Mussolini ist. Er wurde aber nie beim Namen genannt.

Er spielte immer wieder Stalin im Film: der Schauspieler Mikheil Gelovani, hier in „Pokhod Voroshilova“ 1942

In der Sowjetunion pflegte man einen anderen Ansatz?

Lenin hatte es ursprünglich verboten, dass er selbst als Figur auftrat. Er verbat sich eine biografische Darstellung. Aber das half ihm nichts. Sobald er das Zeitliche gesegnet hatte, bemächtigten sich die Filmleute seiner Gestalt und machten ihn zu einer biografischen Filmfigur: Er wurde einfach auf die Filmbühne gestellt. Hauptsächlich auf Wunsch Stalins, der dann gern als „Vollender“ von Lenins Werk auftrat.

Stalin selbst ließ sich in Filmen ganz direkt inszenieren, zum Beispiel in dem klassischen Berlin-Film „Der Fall Berlins“: Stalin kommt da mit dem Flugzeug (das er selbst persönlich mied, er kam eher mit dem Zug) als Befreier Berlins. Und zwar als Stalin und nicht als eine anders genannte Figur. Das ist eine sowjetische Spezialität, die sonst nicht in den Diktaturen-Filmen vorkommt – nur in der Sowjetunion.

Das Gespräch mit Peter Demetz führte Jochen Kürten.

Peter Demetz: Diktatoren im Kino: Lenin – Mussolini – Hitler – Goebbels – Stalin; Zsolnay Verlag; 256 Seiten; ISBN 978 3 552 05928 3.

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