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Kultur - 09.05.2019

Stolpersteine: Eine Verneigung vor den Verfolgten

In dieser Woche wird der Künstler Gunter Demnig Stolpersteine in einigen Berliner Bezirken verlegen. Über 70.000 dieser Steine erinnern heute an die Menschen, die von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurden.

Der erste Stolperstein ist eine Gedenktafel, Gunter Demnig verlegte sie am 16. Dezember 1992 in Köln. Vor dem Historischen Rathaus ließ der Künstler einen ersten mit einer Messingplatte versehenen und beschrifteten Stein in das Pflaster ein. Das Datum war bewusst gewählt: 50 Jahre zuvor hatte SS-Chef Heinrich Himmler die Deportation von „Zigeunern“ in das Konzentrationslager Auschwitz befohlen. Auf dem Stein sind die Anfangszeilen des Erlasses zu lesen, im Hohlkörper der gesamte Text zur Verfolgung der Minderheit der Sinti und Roma.

Demnig, der sich damit in die Diskussion um das Bleiberecht der aus Jugoslawen geflohenen Roma beteiligen will, entwickelte daraus in den Folgejahren das Projekt der Stolpersteine. Drei Jahre später, am 4. Januar 1995, verlegte der Künstler ohne Genehmigung der Behörden die ersten Steine in Köln, im Mai 1996 weitere 51 Steine – ebenfalls illegal – in Berlin-Kreuzberg.

In Salzburg folgten am 19. Juli 1997 zwei Steine mit amtlicher Genehmigung, in Deutschland war es zuerst in Köln im Jahr 2000 soweit, dass auch die Behörden das Projekt unterstützen. Die Stolpersteine entwickeln sich in knapp 20 Jahren zum weltweit größten dezentralen Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus.

„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“

Auf den Betonquadern mit Messingtafel und einer Kantenlänge von zehn Zentimetern stehen seitdem Name, Adresse sowie Geburts- und Todesdatum und das Schicksal des jeweiligen Opfers. Die Steine werden in der Regel in den Gehweg vor dem letzten frei gewählten Wohnort von Verfolgten des Nationalsozialismus eingelassen.

Die Stolpersteine sind das Lebenswerk des heute 71-jährigen Künstlers Gunter Demnig

Das Ziel des Projekts: Den NS-Opfern, die in Konzentrationslagern zu Nummern degradiert wurden, ihre Namen zurückzugeben und sie zurück an die Orte ihres Lebens zu bringen. „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, zitiert Gunter Demnig den jüdischen Talmud. Das Bücken der Passanten, um die Texte auf den Stolpersteinen zu lesen, soll außerdem eine symbolische Verbeugung vor den Opfern sein.

Erinnerung an alle Opfer des Nationalsozialismus

Die Stolpersteine erinnern nicht nur an Juden, Sinti und Roma, sondern auch an Menschen aus dem politischen oder religiös motivierten Widerstand, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Opfer der Euthanasie-Morde und an Menschen, die als vermeintlich „Asoziale“ verfolgt wurden.

Entgegen der allgemeinen Annahme erinnern die Stolpersteine nicht nur an Ermordete sondern an alle Opfer des Nationalsozialismus. Also an die, die in Auschwitz und anderen Lagern ermordet wurden, aber auch an die, welche die Lager überlebten oder die entkamen, weil sie nach Palästina, in die USA oder andere Länder geflohen waren.

Stolpersteine in Berlin, Buenos Aires und Straßburg

Heute gibt es allein in der deutschen Hauptstadt 7000 Steine, und über 70.000 in 24 Ländern in Europa. 2017 fand eine Verlegung zum ersten Mal außerhalb Europas statt. Am Eingang der Pestalozzi-Schule in Buenos Aires wurde eine Stolperschwelle verlegt. Die 1934 gegründete deutsche Auslandsschule galt als Zufluchtsstätte für die Verfolgten des Nationalsozialismus.

Stolperschwelle außerhalb von Europa an der Pestalozzi-Schule in Buenos Aires

Als erste Großstadt in Frankreich verlegte Straßburg in der vergangenen Woche 20 Stolpersteine zum Gedenken an die Opfer der Nazis, die im Holocaust getötet wurden. Bis zum Herbst ist die Verlegung von weiteren 30 Steinen geplant.

Patenschaft für Stolpersteine kostet 120 Euro

Die Stolpersteine bleiben in all den Jahren ein Graswurzel-Projekt, an der Verwandte von Holocaust-Opfern, Freiwillige, Studenten und Schulkinder auf der ganzen Welt beteiligt sind. Letztere recherchieren zum Beispiel die Biografien von im Nationalsozialismus verfolgten Menschen.

Anfangs fertigt Demnig selbst, seit 2005 stellt der Berliner Bildhauer Michael Friedrichs-Friedländer jeden Stolperstein in seinem Atelier per Hand her. Dies soll den Gegensatz zur Anonymisierung und massenhaften Ermordung von Menschen in den Konzentrationslagern verdeutlichen. Finanziert werden die Stolpersteine durch private Spenden, für 120 Euro kann jeder eine Patenschaft für die Herstellung und Verlegung eines Stolpersteins übernehmen.

Das Projekt Stolpersteine hat auch Kritiker

Doch nicht alle sind mit dem Konzept der Stolpersteine einverstanden. Für Charlotte Knobloch, frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, ist es „unerträglich“, die Namen ermordeter Juden auf Tafeln zu lesen, die in den Boden eingelassen sind, auf denen mit Füßen „herumgetreten“ werde. Ihre Nachfolger Dieter Graumann und der aktuelle Zentralratspräsident Josef Schuster unterstützen hingegen das Projekt.

Der erste Stolperstein Demnigs zur Erinnerung an die deportierten Sinti und Roma vor dem Kölner Rathaus ist übrigens nicht mehr das Original: 2010 wurde er von Unbekannten herausgebrochen und entwendet. Gunter Demnig verlegte ihn drei Jahre später, am 21. März 2013, neu.

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