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Kultur - 31.10.2018

Weimar international – Stummfilm ohne Grenzen

Zum hundertsten Jubiläum der Weimarer Republik startet im Deutschen Historischen Museum in Berlin eine Retrospektive zum Kino der Zeit. Kurator Philipp Stiasny im DW-Gespräch über die Modernität des damaligen Films.

Selten gezeigtes Fundstück des Weimarer Kinos und Drama und Komödie zugleich: „Seine Frau, die Unbekannte“

Deutsche Welle: Die Weimarer Republik ist derzeit in aller Munde, auch weil man politische Parallelen zum Heute zu ziehen versucht. War das auch der Grund dafür, die große Retrospektive zum Weimarer Kino jetzt zu starten?

Philipp Stiasny: Nein, es ist nicht unsere Intention gewesen, einen ausdrücklich politischen Kommentar abzugeben. Zur Frage: warum Jetzt? Zum einen, weil die Weimarer Republik im November 100 Jahre alt wird. Zum anderen, weil man mit dem Weimarer Kino nicht nur in Fachkreisen die ganz große Zeit des deutschen Kinos verbindet. Kurz nach dem 1. Weltkrieg explodierte hier das kreative Potential, und aus vielen Ländern und Branchen kamen alle möglichen Leute nach Deutschland. Es strömten Millionen Menschen allabendlich in die Kinopaläste.

Trotzdem denken wir beim Weimarer Kino normalerweise nicht an das ganz populäre Vergnügen – sondern eher an Alptraumfiguren wie Nosferatu und Dystopien wie den Film „Metropolis“. Diese Klassiker sind bekannt, aus dem Fernsehen oder auch aus einzelnen Kinovorstellungen – „Metropolis“ ist ja Teil des Weltkulturerbes.

Daneben bestand das Weimarer Kino aber aus „bread and butter“-Kino, also sehr viel mehr dem Leben zugewandten Filmen: Genrefilme, Krimis, Abenteuerfilme, viele, viele Komödien. Also genau wie heute: Das Publikum geht ins Kino, um sich zu amüsieren und vor allem auch um zu lachen. Diese Filme möchten wir in unserer Reihe gleichberechtigt neben die Klassiker stellen.

Murnaus „Nosferatu“-Film gehört zu den Klassikern des Weimarer Kinos

Waren daran auch die großen, berühmten Regisseure beteiligt?

Bei den bekannten Regisseuren wie Fritz Lang, Ernst Lubitsch, Georg Wilhelm Pabst vergessen wir manchmal, dass diese Namen ja nicht nur als Vorläufer der berühmten Autorenfilmer der 1960er und 1970er Jahre wahrgenommen werden sollten. Also Autorenfilmer, die die komplette kreative Kontrolle über ihr Produkt hatten, sich dort auch austoben konnten.

Lang, Lubitsch und die anderen haben auch in einer Industrie gearbeitet – der Filmindustrie. Fritz Lang zum Beispiel war dem Genrekino gegenüber überhaupt nicht kritisch eingestellt. Wir zeigen in der Retrospektive einen seiner frühesten überlieferten Filme, den Zweiteiler „Die Spinnen“ von 1919/20.

Wir haben den Film im Programmheft angekündigt als „Indiana Jones avant la lettre“. Zwischen einem Fritz Lang Ende der 1910er Jahre und einem Steven Spielberg der 70er Jahre ist zwar eine Menge Wasser den Rhein runtergeflossen, aber bestimmte Formen haben sich gar nicht so sehr verändert. Natürlich hat sich der Aufwand beim Filmemachen geändert, die technischen Möglichkeiten, aber die Grammatik des Films ist gleichgeblieben

Das Werk von Fritz Lang ist zu großen Teilen restauriert und auf DVD zu haben

Und so wie ein Fritz Lang dem Genrekino in sehr unterhaltenen und unterhaltsamen Mustern verhaftet ist, gilt das auch für viele andere Filmschaffende, die heute vergessen sind, die damals aber sehr bekannt waren. Das sind Star-Filme, vor allem mit weiblichen Stars, das sind Komödien, Krimis, Thriller, also Genres, die uns heute auch noch sehr geläufig sind.

Warum hat das Weimarer Kino damals eine solche Strahlkraft entwickelt?

Eine endgültige Erklärung, warum das gerade in Deutschland war, ist schwierig zu beantworten. Ein Grund aber ist: Deutschland war damals ein der Unterhaltungsbranche und dem Technischen sehr aufgeschlossenes Land. Das kann man zwar nicht verallgemeinern, das gilt sicher nicht für die deutsche Provinz, aber es gilt für Berlin und Brandenburg. Die Studios in Babelsberg waren das Zentrum des deutschen Films. Die Leute sind aus dem Ausland nach Babelsberg und Berlin gekommen.

Wie ist das noch zu erklären?

Wir haben die Reihe mit einem Untertitel versehen: „Stummfilme ohne Grenzen aus Berlin und Babelsberg“. Natürlich gab es die nationalen Grenzen zu dieser Zeit. Aber es gab nicht die Sprachbarriere. Im Stummfilm musste man keine langen Dialoge halten. Wer in diese Branche rein wollte und etwas vom Filmemachen verstand, der ist nicht daran gescheitert, dass er zum Beispiel Deutsch mit einem ungarischen Akzent gesprochen hat oder Polnisch. Das war ein sehr internationales Gewerbe hier in Berlin. Die Filmbranche war Leuten offen gegenüber, die etwas konnten und Ideen mitbrachten. 

Kann man das mit heutigen Zuständen in der Filmszene vergleichen?

Das war etwas vollkommen anderes als heute. Natürlich gibt es heute in Deutschland und Europa viele Filmemacher, die herumreisen und die mehrsprachig sind. Ein deutscher Film, der zum Beispiel bei der Berlinale gezeigt wird, stammt nicht unbedingt von einem in Deutschland geborenen Filmemacher.

Das Weimarer Kino setzte auch auf große Unterhaltung: der Piratenfilm „Pietro der Korsar“

Damals war das aber in einem ganz anderen Ausmaß der Fall. Ein erheblicher Anteil der Filmschaffenden, die in Babelsberg Filme machten, stammte nicht aus Berlin. Die sind damals nach Berlin gekommen, haben vielleicht keine neue Heimat gefunden, aber sind in dem Filmgewerbe heimisch geworden. Also: Der Dazugekommene, der Außenseiter, der hat seine Chance genutzt.

Können Sie da Beispiele nennen?

Auch Ernst Lubitsch ist ein Beispiel. Lubitsch ist in Deutschland geboren, aber sein Vater kam aus Weißrussland, er hat immer mit einem Akzent gesprochen. Es ist ihm gelungen, in Deutschland zu einem Top-Regisseur zu werden. Das galt auch für viele andere. Alexander Korda, der in den 1930er Jahren die britische Filmindustrie quasi im Alleingang beherrschte, hat im Weimarer Kino Filme gemacht, nachdem er zuvor in Ungarn und in Wien war und dort wegen seiner sozialistischen Sympathien rausgeworfen worden war. In Deutschland hat Korda große Filme gemacht, bevor er nach England ging.

Deutschland ist nicht nur ein Durchlauferhitzer für viele internationale Karrieren gewesen. Viele sind auch hier geblieben, weil sie festgestellt haben, dass es hier eine große Neugier gab, dass es hier Leute gab, mit denen man etwas machen konnte. Und es gab die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

War in Deutschland wie in Hollywood gleichermaßen erfolgreich: Ernst Lubitsch

Das Weimarer Kino hatte dann eine große internationale Ausstrahlung, vor allem nach Hollywood. Und: dieser Prozess hat ja lange vor 1933 eingesetzt….

Ernst Lubitsch ist Anfang der 1920er Jahre von Hollywood abgeworben worden. Keiner, der zu dieser Zeit nach Hollywood gegangen ist, hat das damals als Schritt empfunden, der irreversibel ist. Lubitsch hat einen Vertrag von Twentieth Century Fox bekommen und vermutlich gedacht, in drei bis vier Jahren ist er wieder in Deutschland.

Dass das dann nicht so war, hatte natürlich etwas mit den politischen Entwicklungen zu tun, 1933 kamen die Nationalsozialisten an die Macht. Es hatte aber auch damit zu tun, dass Hollywood damals mit Tempo und mit Abstand die Marktdominanz in Sachen Kino in der ganzen Welt übernahm. Deutschland war der einzige starke Wettbewerber im Bereich Kino.

Was haben die Filmschaffenden des Weimarer Kinos in Hollywood eingebracht?

Die haben ihre Kreativität nach Hollywood mitgebracht. Beispiel Friedrich Wilhelm Murnau: Er stand mit Filmen wie „Nosferatu“ und „Der letzte Mann“ absolut an der Spitze der Kreativen und auch technikaffinen Filmschaffenden.

Murnau kannte alle Finessen der Filmtechnik und wandte sie an, wie hier in „Der letzte Mann“

Murnau hat sich damals damit beschäftigt, was man mit Film machen kann. Er hat sich gefragt, wie man das Medium an seine Grenzen führen kann. Bis zu dem Punkt hin, Filme zu machen, die ganz ohne Sprache auskommen. Also auch ohne Zwischentitel, wo alles über Licht, Gestik, Bewegung, auch die Bewegung der Kamera, entwickelt wird. Dieser unheimlich kreative Mann hat Hollywood geprägt, eine ganze Schule bei Fox übernahm den „Murnau-Stil“.

Es gab aber doch auch eine Art Gegenbewegung, ein paar Filmschaffende sind damals aus Hollywood nach Babelsberg gekommen.

Es gab auch die andere Seite. Louise Brooks zum Beispiel ist nach Deutschland gekommen und hat mit Georg Wilhelm Pabst zwei Filme gemacht, „Die Büchse der Pandora“ war einer davon. Das war ein ganz großes Filmkunstwerk, was damals keiner so richtig verstanden hat. Das war viel zu politisch, diese Mischung aus Sex und Unterwerfungsphantasien, aus Mord und Leidenschaft. Im Übrigen auch eine sehr kluge Analyse der damaligen Geschlechterverhältnisse: Wie sich Männer ein Bild der Frau machen und wie die Frau, die diesem Bild nicht entspricht, jämmerlich zu Grunde geht.

Es gibt andere Beispiele, Anna May Wong kam nach Deutschland, eine asiatisch-stämmige Amerikanerin, noch zwei, drei andere Stars mehr. Aber natürlich war die Bewegung aus dem europäischen Ausland nach Deutschland stärker, aus dem Osten, aus Warschau oder aus Wien. Und wenn sich für diese Filmschaffenden dann die Möglichkeit ergeben hat, sind die dann weiter nach Hollywood gegangen.

Das Gespräch führte Jochen Kürten.

Die Filmreihe „Weimar International – Stummfilm ohne Grenzen aus Berlin und Babelsberg, 1918 – 1929“ findet vom 1.11.2018 bis zum 2.2.2019 im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums statt. Die Filme werden musikalisch begleitet von einer Reihe international bekannter Filmmusiker. Die Reihe, von Philipp Stiasny und Frederik Lang kuratiert, wurde vom Hauptstadkulturfonds gefördert.

Die abgebildete Box mit sechs digital restaurierten Filmen von Fritz Lang ist beim DVD-Anbieter „Universum-Film“ in Zusammenarbeit mit der „Friedrich Wilhelm Murnau-Stiftung“ erschienen.

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