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Kultur - 22.06.2019

Wie es nach „Fridays for Future“ weitergehen kann

Das Ende der Wegwerfkultur ist möglich, glaubt der Konsumtheoretiker Wolfgang Ullrich. Was dafür noch passieren muss, erklärt er im DW-Interview.

Seit Monaten protestieren vor allem junge Menschen weltweit gegen die Klimapolitik ihrer Regierungen. Die Grünen erleben in Deutschland ungeahnte Höhenflüge und wollen Versandhändlern wie Amazon die Vernichtung von Retouren verbieten. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) greift diesen Vorstoß auf und kündigt einen entsprechenden Gesetzentwurf an. Steht die Wegwerfgesellschaft wirklich vor einem Wandel?

DW: Herr Ullrich, wann haben Sie Ihr letztes Paket retourniert?

Wolfgang Ullrich: Ehrlich gesagt, hab ich persönlich noch nie ein Paket retourniert. Ich bestelle sehr wenig online, und wenn etwas nicht hundertprozentig passt, schicke ich es nicht zurück – allerdings ehrlicherweise nicht aus ökologischen Gründen, sondern eher aus Bequemlichkeit.

Momentan scheint es, als würde das gesellschaftliche Umweltbewusstsein steigen. Wir diskutieren Klimathemen, die Grünen erleben einen Aufschwung, die Jugend protestiert bei Fridays for Future. Wirkt das auf Sie nachhaltig?

Ja, denn in beträchtlichen Teilen der Bevölkerung steigt das Umweltbewusstsein, wenn auch nur sehr partiell. Erst traten Flugreisen in den Fokus, jetzt das Retournieren der Pakete und Plastiktüten. Vieles, was auf die ökologische Bilanz ähnliche Auswirkungen hat, steht noch nicht so im Vordergrund, die Ernährung etwa oder das Heizen. Es ist interessant, dass die Debatte sehr stark am Thema Konsum aufgehängt wird, an den alltäglichen kleinen Konsumgewohnheiten, die man als Stellschrauben entdeckt, mit denen man vielleicht etwas tun kann.

Sieht gesellschaftliche Verantwortung als Währung: Konsumtheoretiker Wolfgang Ullrich

Wir können mit Konsumentscheidungen auch unser Gewissen erleichtern, indem wir vermeintlich gesunde Sachen kaufen oder Fair-Trade-Produkte.

Da muss man sehr aufpassen, denn es wird natürlich suggeriert, man sei schon besonders umweltbewusst, wenn man mal auf eine Plastiktüte verzichtet oder einmal weniger Fleisch isst. Da landet man schnell beim Fachbegriff „Rebound-Effekt“: Wenn man als Konsument ein gutes Gewissen hat, meint man, auch mal wieder über die Stränge schlagen zu dürfen, also zugespitzt: Ich habe einen Monat kein Paket retourniert, jetzt darf ich dafür mal wieder nach Mallorca fliegen. Man bildet sich zu viel ein auf das, was man spart, und verhält sich umso verschwenderischer.

Bewusstes Verhalten steht manchmal auch in einem Spannungsverhältnis: Was ökologisch nachhaltig ist, muss nicht zwangsläufig sozial sein.

Es ist immer komplex. Ich habe natürlich gute Argumente, Fair-Trade-Schokolade zu kaufen: Ich achte darauf, dass niemand zu stark ausgebeutet wird, und ich tue vielleicht etwas für die Infrastruktur in einem ökonomisch schwachen Land. Andererseits begünstige ich damit wieder irrwitzige Transportwege, ökologisch ist es also eher unsinnig. Ich muss persönlich immer wieder neu entscheiden, ob ich ein ökologisches Interesse habe, ein soziales oder strukturelles. Wir Konsumenten sind erst einmal frustriert, weil wir diese eigene Unsicherheit spüren.

Bei der Aufklärung müsste demnach die Industrie helfen?

Da ist in den letzten zehn Jahren schon etwas passiert. Meine Kritik setzt ein, wenn die Hersteller suggerieren, durch den Kauf eines Produktes sei alles wieder gut. Da würde ich mir mehr Ehrlichkeit wünschen, vielleicht sogar, dass Unternehmen einen Schritt radikaler sind, das mit dem guten Gewissen etwas zurück- und das mit dem schlechten Gewissen gerne noch ein bisschen hochfahren.

Wie nehmen Sie einem Unternehmen die Sorge vor Umsatzeinbußen?

Sorgloser Einkauf: Ein Teil der Retouren wird von den Anbietern vernichtet. Das soll sich ändern.

Natürlich besteht diese Gefahr, ein Unternehmen kann andererseits aber von einem besseren Image profitieren und gegenüber Mitbewerbern im Vorteil sein, wenn es mit mehr Ehrlichkeit arbeitet.

Umweltbewusste Entscheidungen haben mit Verzicht der Verbraucher zu tun. Wir wollen in den Urlaub fliegen, statt jedes Jahr mit einem Zug an die Ostsee zu fahren, das entspricht dem Selbstverständnis der Wohlstandsgesellschaften. Konkurriert nicht der notwendige Verzicht mit unseren individuellen Ansprüchen?

Die Frage ist, wie der Verzicht codiert ist und wie er vielleicht sogar den Charakter einer Belohnung bekommen kann. Starke Marken, die schon fast Kultstatus haben, könnten große Veränderungen bewirken. Stellen Sie sich vor, das nächste iPhone, das auf den Markt kommt, gibt es nicht einfach nur gegen Geld, sondern das bekommt nur jemand, der nachweisen kann, dass er die letzten zwei Jahre nicht geflogen ist oder 20 Stunden Umweltarbeit in seiner Gemeinde geleistet hat. Das Statussymbol wäre noch viel wertvoller, als wenn es jeder haben kann, der 800 Euro übrig hat.

Das ist spannend, klingt aber utopisch, gerade bei einem Unternehmen wie Apple, das wegen seiner Arbeitsbedingungen angeprangert wird und für seine Produkte auf Rohstoffe angewiesen ist, nach denen Kinder in Afrika schürfen. Obwohl das jeder weiß, ist ein neues iPhone trotzdem cooler als der Verzicht darauf.

Ja, wobei das Thema Arbeitsbedingungen künftig stärker thematisiert werden wird. Gerade deshalb müssen sich Unternehmen aus Angst vor Image- und Statusverlust etwas überlegen und gesellschaftliche Verantwortung stärker nach außen demonstrieren. Ich kann mir also schon vorstellen, dass neue Geschäftsmodelle mit einer zweiten Währung zusätzlich zu Geld relativ schnell etabliert werden könnten.

Sind wir denn gesellschaftlich bereit zu verzichten?

In allen Religionen haben wir eigentlich immer auch Formen von Verzicht, den die Menschen akzeptiert haben oder sogar gut fanden. Die Frage ist also: Wer hat heute in unserer Gesellschaft diesen Status, den Religionen lange hatten? Marken sind heute so etwas wie Religionsersatz, also haben sie vielleicht die Kraft, Formen von Verzicht gesellschaftlich durchzusetzen oder attraktiv zu machen.

Bald ein Bild der Vergangenheit? Schlangen vor dem Verkaufsstart eines neuen iPhones

Sie beschreiben Konsum auch mit den Begriffen Lebenshaltung und Identifikation. Gerade Identifikation hängt doch eng mit Marken und Statussymbolen zusammen: Ich kann mir das neueste iPhone leisten und fühle mich kulturell bewandert, weil ich um die Welt reisen kann. In der Theorie vom Konsum als Ersatzbefriedigung, die eine inhaltliche Leere füllt, lassen sich Konsumenten schlecht vom Verzicht überzeugen.

Das stimmt. Nach außen gebe ich Signale durch Statussymbole, nach innen gerichtet, kann ich durch bestimmten Konsum mein Leben mit Sinn erfüllen, es strukturieren. Aber was als wertvoll und sinnstiftend empfunden wird, ist alles andere als festgelegt. So galt frisch und clean früher als neureich, der lange Gebrauch von Gegenständen hatte einen höheren Status. Damit zeigte eine Person, dass sie Kontinuitäten in ihrem Leben hatte, Traditionen verpflichtet und im besten Sinne konservativ war. Vielleicht wird Patina künftig wieder mehr wert sein als das Makellose – diesmal aber, weil sie signalisiert, dass jemand umweltbewusst ist und seine Dinge nicht dauernd durch noch neuere ersetzt.

Die Industrie hat aber seit langem erkannt, dass ein Verfallsdatum den Konsum fördert: Fernseher halten heute nicht mehr 20 Jahre, bei den Handys lässt sich nicht mal mehr selbständig der Akku wechseln, neue Apps kann man auch nicht laden, wenn das Gerät zu alt ist.

Ja, das hat sich in den letzten Jahrzehnten ganz klar so entwickelt. Aber ich denke, dass die kritische Öffentlichkeit das auf Dauer so nicht mehr mitmacht und zumindest einzelne Branchen umdenken müssen. Natürlich müssen sie sich dann auch andere Geschäftsmodelle überlegen, um auf dieselben Gewinne zu kommen. Aber wenn man die Öko- und Klimathemen ernst nimmt, wird man nicht umhinkommen.

Das individuelle Konsumverhalten ist eine Frage der Freiwilligkeit. Brauchen wir konkretere Vorgaben oder Verbote? Wenn der Paketversand und die Retour etwas kosten, bestellen wir vielleicht nicht mehr so leichtfertig.

Vermutlich haben Sie Recht, wobei man sehr aufpassen muss, es nicht so zu steuern, dass diejenigen, die mehr Geld haben, ohne größere Einbußen so weitermachen wie bisher. Menschen mit weniger Geld müssen schon auf vieles verzichten und haben dann vielleicht noch mehr Einschränkungen. Aber natürlich können gesetzliche Regelungen hilfreich sein.

Bei „Fridays for Future“ kann man den Eindruck bekommen, dass andere Themen tatsächlich wichtiger sind als Besitz und Status, die Protestierenden argumentieren sehr reflektiert. Kann uns diese Jugend Hoffnung geben?

Ja, da bin ich optimistisch. Wenn diese jungen Leute in ein paar Jahren Start-ups gründen, können sie festlegen, was ihnen wichtig ist und wie sie arbeiten wollen. Ihre Ziele können einen Einfluss haben, den wir uns heute noch gar nicht vorstellen können.

Wolfgang Ullrich war Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Seit 2015 arbeitet er als freier Autor, von ihm erschien u.a. „Alles nur Konsum. Kritik der warenästhetischen Erziehung“.

Das Gespräch führte Torsten Landsberg.

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