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Politik - 24.10.2018

„Da sitzt das Teufelskind“, sagte der Pfarrer einst über ihn

Der weitgehend unbekannte Spitzenkandidat René Rock soll die hessische FDP aus dem Umfragetief und in die Landesregierung führen. Es könnte ihm gelingen. Obwohl Umfragen die Liberalen derzeit bei schwachen sieben Prozent sehen. 0

Ein paar Nummern zu groß wirkt der dunkelbraune Anzug, in dem René Rock im November 2017 vor die Kameras tritt. 20 Minuten lang versucht der FDP-Politiker seine Parteifreunde davon zu überzeugen, ihn zum Spitzenkandidaten für die hessische Landtagswahl zu nominieren. Als mitreißend wird diese Rede nicht in die Geschichte der Landespartei eingehen, aber Rock referiert recht routiniert seine Agenda: Wirtschaft, Bildung, Digitalisierung. Er schafft es am Ende, 90 Prozent der Stimmen auf sich zu vereinen. Nun ist er das Gesicht der hessischen Liberalen.

Auch ein knappes Jahr später wirkt der 50-Jährige manchmal noch so, als wisse er selbst nicht, ob diese Aufgabe nicht ein paar Nummern zu groß für ihn ist. Immerhin liegen die Liberalen aktuellen Umfragen zufolge bei gerade mal sieben Prozent – und das, obwohl Hessen eigentlich ein erfolgreiches Pflaster für die FDP ist.

Zumindest seine Garderobe ist nun passgenauer, statt kaugummiartiger Parteitagsreden gibt er jetzt Twitter-Interviews, und sogar ein Wahlkampfvideo, bei dem der Ton vergessen wurde, erreicht auf Youtube fast 140 Menschen. „Manchmal trägt man Anzug, manchmal trägt man Hemd“, sagte er vor einigen Tagen in einem Interview mit dem Sender Phoenix und bekannte: „Eigentlich trage ich lieber Hemd.“

Dass mit René Rock ein praktisch unbekannter Kandidat in den Wettstreit um Wählerstimmen geschickt wurde, liegt auch an dessen Vorgänger Florian Rentsch. Der ehemalige FDP-Politiker hatte eine respektable politische Karriere hinter sich. Er war Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Landtagsfraktion, Staatsminister im Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung und schließlich Fraktionsvorsitzender im Landtag. Dass er die Liberalen als Spitzenkandidat in den Wahlkampf führen würde, galt als logischer nächster Schritt.

Doch im Frühjahr 2017 legte er überraschend sein Mandat nieder und wechselte in die freie Wirtschaft. Weil andere prominente hessische Landespolitiker nach der Bundestagswahl nach Berlin zogen, blieb René Rock gewissermaßen übrig. Plötzlich war er gefragt.

Bei einer Vorstellung der Wahlkampagne Anfang August dieses Jahres wird die Metamorphose vom etwas überrumpelt wirkenden Kandidaten zum geübten Wahlkämpfer augenfällig. Rock – im schneidigen Hemd – steht auf großer Bühne und spricht frei, ohne Rednerpult, dafür mit Headset und wirkt dabei wie ein hessischer Steve Jobs. Im Hintergrund strahlt sein Konterfei blauäugig von einem riesigen Wahlplakat ins Publikum. „Stufe 3. Die nächste Stufe Hessen“ – das ist die Überschrift seines Programms, mit dem er am Sonntag mindestens neun Prozent der Stimmen holen will.

Sein zentrales Thema ist die frühkindliche Bildung. Der Vater einer Tochter ist gegen gebührenfreie Kitas. Das Geld solle lieber in die Schaffung neuer Plätze und in die Erzieherausbildung fließen, findet er. Wer keinen Kitaplatz bekomme, habe auch nichts von solchen „Wahlgeschenken“. In der Flüchtlingspolitik schlägt er deutliche Töne an: Er ist gegen eine „Einwanderung in die Sozialsysteme“.

In der Asylpolitik sei „das Chaos von 2015 immer noch nicht aufgeräumt“ worden, sagt er WELT. „Wir wollen ein Zuwanderungsgesetz. Wir wollen uns aussuchen, wer zu uns kommt und eine Chance bekommt.“ Zudem fordert er 1500 neue Polizisten, hat in Sachen Dieselstreit einen Fünf-Punkte-Plan zur Vermeidung von Fahrverboten und will die Digitalisierung vorantreiben.

Rechnerisch gesehen sind in Hessen derzeit eine grün-rot-rote Koalition, eine Ampel oder eine Jamaika-Koalition möglich. Rock hat eine Ampel mit SPD und Grünen ausgeschlossen. Damit wird eine Regierungsbeteiligung der Liberalen in einem Bündnis mit CDU und Grünen wahrscheinlich. Dann würde man Anspruch auf das Wirtschaftsministerium erheben, sagt René Rock. Er selbst habe an einem Posten aber wenig Interesse. „Ich muss nicht unbedingt Minister werden.“ Wichtiger sei für ihn das Amt des Fraktionsvorsitzenden, der die Koalition auf Kurs halte. In den vergangenen Wochen warb Rock fast täglich im Fernsehen, im Radio oder in Zeitungsinterviews für sich und seine Partei.

Unzufriedenheit der Wähler sorgt für lange Gesichter Das Video konnte nicht abgespielt werden.
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Aktuelle Stimmungsumfragen zeichnen ein klares Bild: Die Wähler sind unzufrieden mit CDU und SPD. Wird die Landtagswahl in Hessen ein Ende der beiden großen Volksparteien weiter bestätigen?

Er besuchte Kitas und Seniorenheime, ärgerte die Grünen bei ihrem Straßenwahlkampf mit seinem Wahlkampfmobil, auf das ein eigenes Großplakat installiert ist, und trat mit Parteichef Christian Lindner auf. Der hat auch das Vorwort zu einem Buch geschrieben, das Rock veröffentlicht hat: „Solidarität braucht Freiheit“. Das besteht aus Gesprächen von Rock mit seinem Sprecher André Uzulis. Kurz: Rock rackert sich ab.

Aktuellen Umfragen zufolge ist die FDP in Hessen zur Zeit dennoch die schwächste aller etablierten Parteien. Doch schon vor einem Jahr, als er seinem Anzug und der Aufgabe, die vor ihm lag, noch nicht gewachsen schien, hatte er auf diese Schwäche eine Antwort.

Es war einer der Höhepunkte seiner sonst unspektakulären Bewerbungsrede auf dem Landesparteitag. In den 70ern sei er mit seiner Familie oft in den Niederlanden gewesen und habe dort Deutschenfeindlichkeit erlebt, erzählt er. Und bereits in der katholisch geprägten Grundschule in seiner Heimat Seligenstadt sei er als Protestant diskriminiert worden. „Da sitzt das Teufelskind“, habe der Pfarrer vor der versammelten Klasse über ihn gesagt. Also wisse er, wie es sich in der Minderheit anfühle. „In der Minderheit zu sein, ist nicht schlimm. Man kann trotzdem etwas bewegen. Und darum bin ich in der FDP.“

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