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Politik - 26.10.2018

„Das Thema Grundeinkommen gärt in der Partei“

Die SPD lehnt das bedingungslose Grundeinkommen als „Partei der Arbeit“ ab. Doch im Zuge der Erneuerung der Sozialdemokratie wird das Thema ständig diskutiert, der Druck auf die Spitze steigt. Wie flexibel ist sie? 0

Veranstaltungen im SPD-Umfeld ziehen meist ein typisches Publikum an: langjährige Sozialdemokraten, inzwischen ergraut und oft in Cord gekleidet. So musste man sich die Augen reiben, als vor Kurzem die Parteizeitung „Vorwärts“ zu einer Diskussionsveranstaltung lud. Auch hier waren zwar die üblichen älteren Herrschaften vertreten, aber in der Mehrzahl kamen Frauen und Männer im Studentenalter.

Zweimal, so erzählte es der Moderator, musste die Veranstaltung in einen jeweils größeren Raum verlegt werden, weil es so viele Anmeldungen gab. Publikumsmagnet war das Thema „Bedingungsloses Grundeinkommen“ (BGE). Dazu diskutierte der stellvertretende Parteivorsitzende Ralf Stegner mit Meera Zaremba, Vorsitzende des Vereins Mein Grundeinkommen e.V.

Nicht nur Anhänger der Sozialdemokraten bewegt das Thema. In Zeiten rasanter Digitalisierung wächst die Sorge, dass der Gesellschaft schlicht die Arbeit ausgeht. Menschen, die den Sozialstaat als gängelnd und kompliziert empfinden, versprechen sich vom Grundeinkommen eine Vereinfachung. Andere wünschen sich mehr Zeit für ehrenamtliche Arbeit oder die Familie, die sie nicht haben, weil sie arbeiten (müssen).

Die SPD lehnt das Konzept in ihrem Selbstverständnis als „Partei der Arbeit“ ab. Doch im Zuge der Erneuerung der Sozialdemokratie wird das Thema ständig diskutiert. Mitglieder berichten immer wieder von leidenschaftlichen Diskussionen in Ortsvereinssitzungen. Bei der Veranstaltung im Willy-Brandt-Haus waren die meisten Gäste, die sich an der lebhaften Debatte beteiligten, für die Idee.

„Das Thema Grundeinkommen gärt in der Partei“, erklärt Hilde Mattheis, Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Demokratischen Linken 21 (DL21), einer linken Strömung in der SPD. Vor dem Debattencamp im November, einer entscheidenden Wegmarke im Erneuerungsprozess, wächst der Druck – gerade von der Basis.

Auf einer parteiinternen Plattform, die das Debattencamp vorbereitet, wurde kaum ein anderes Thema so intensiv diskutiert. Die Folge: Generalsekretär Lars Klingbeil wird prominent darüber sprechen. Geplant war das nicht. Aber in der von der großen Koalition zermürbten SPD entspricht das Thema offenbar dem Wunsch nach einer Vision für die Zukunft, abseits vom Klein-Klein der Regierungsarbeit.

Steigt der Druck weiter, muss sich die Parteiführung des Themas annehmen – selbst wenn sie dagegen ist. „Das bedingungslose Grundeinkommen widerspricht sozialdemokratischen Grundwerten“, sagt der stellvertretende Parteivorsitzende Ralf Stegner WELT. „Der SPD geht es um Solidarität für die, die sie wirklich brauchen.“

Er halte es für ungerecht, wenn eine hart arbeitende Krankenschwester Steuern für einen Millionär zahlt oder für jemanden, der arbeiten könnte, jedoch keine Lust dazu hat. Die Diskussion selbst kann Stegner jedoch verstehen. Die Menschen redeten darüber, weil sie verunsichert seien. „Es ist völlig richtig, darüber zu diskutieren – aber es ist die falsche Lösung, denn im Kern ist das bedingungslose Grundeinkommen unsozial.“

Sympathien in anderen Parteien

Doch das Thema ist beliebt. Bei den Grünen und der Linkspartei finden sich Anhänger eines bedingungslosen Grundeinkommens. Beide Parteien zeigen sich zumindest offen für Modellversuche. Bei der Bundestagswahl trat eine Partei an mit dem Hauptziel, ein Grundeinkommen in Deutschland einzuführen, und erhielt knapp 100.000 Stimmen.

Doch die Sympathien gehen über das linke Lager hinaus. Im Koalitionsvertrag von CDU, Grünen und FDP in Schleswig-Holstein steht, man wolle die Umsetzbarkeit des Grundeinkommens diskutieren und bewerten. Auch die frühere AfD-Vorsitzende Frauke Petry befürwortet mit ihrer Blauen Partei die sogenannte negative Einkommensteuer, eine Spielart des bedingungslosen Grundeinkommens.

Das Grundeinkommen ist ein gemeinsamer Nenner von zwei sehr unterschiedlichen Gruppen: Die einen wollen sich vom Zwang zur Erwerbsarbeit befreien, die anderen den Sozialstaat verschlanken, in dem nur das Grundeinkommen als einzige Sozialleistung bestehen bleibt. SPD-Vize Stegner merkt an: „Für viele Menschen, etwa jene mit Behinderung, wäre das bedingungslose Grundeinkommen eine Verschlechterung, weil sie auf zusätzliche Leistungen angewiesen wären.“ Das wiederum widerspricht der grundsätzlichen Idee.

Unter derzeitigen Bedingungen halten Wirtschaftswissenschaftler das Grundeinkommen für nicht finanzierbar. Der Verein Mein Grundeinkommen verlost ein Jahr lang 1000 Euro im Monat. Auf 82 Millionen Deutsche umgelegt, wären das Kosten von jährlich rund einer Billion Euro – und dann wären noch keine Straßen gebaut, Gewehre für die Bundeswehr gekauft oder Entwicklungshilfe bezahlt.

Vermögen stärker besteuern

Befürworter wollen zur Finanzierung Vermögen und Erbschaften deutlich stärker besteuern als bisher. Zum Vergleich: Der derzeitige gesamte Bundeshaushalt ist mit 343,6 Milliarden Euro weniger als halb so klein. Doch die Diskussion über die Zukunft des Sozialstaates wird in der SPD intensiv geführt. Erst vor Kurzem hat die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles gesagt, man wolle Hartz IV überwinden und ein neues Konzept für einen „Sozialstaat 2025“ erarbeiten.

Dazu gibt es bereits einige Ideen. Berlins Bürgermeister Michael Müller hatte vor einigen Monaten das „solidarische Grundeinkommen“ vorgestellt. Dieses nahm zwar den populären Begriff „Grundeinkommen“ auf, hatte aber mit dem ursprünglichen Konzept nichts zu tun. Es war eher ein Vorschlag für öffentlich geförderte Arbeitsplätze.

Um die Verwirrung weiter zu steigern, gibt es ein Konzept unter gleichem Namen der DL21. Laut einer Antragsvorlage möchte sie ein Grundeinkommen für mindestens 150.000 langzeitarbeitslose Menschen gewähren. Dies solle an keine Bedingungen geknüpft sein, um erforschen zu können, ob ein Grundeinkommen die Bereitschaft erhöht, Arbeit anzunehmen. „Wir müssen beim Thema Grundeinkommen zukunftsweisende Konzepte erproben“, sagt DL21-Vorsitzende Mattheis.

Die SPD hat bei der Diskussion jedoch ein wenig den Anschluss verloren. Eigentlich ist für solche fundamentalen Fragen die SPD-Grundwertekommission zuständig. Doch das letzte Mal, dass sie sich öffentlich zu dem Thema positioniert hat, liegt bereits zehn Jahre zurück. Das Papier „Geld allein genügt nicht“ stammt aus dem Jahr 2008. Einen Parteitagsbeschluss zum bedingungslosen Grundeinkommen gibt es laut SPD nicht.

Juso-Chef Kevin Kühnert lehnt das Grundeinkommen ebenfalls ab, kritisiert aber den Umgang der Partei mit dem Thema. Den meisten, die darüber reden, gehe es eher um Einkommenssicherheit und individuelle Zeitsouveränität, sagte er. „Das sind Themen, die bei der SPD total anschlussfähig sind, die Partei hat diesen Zusammenhang aber lange nicht erkannt und die Diskussion über das Grundeinkommen beiseite geschoben. Auch deshalb ist es gut, dass wir dem Thema beim Debattencamp einen prominenten Platz einräumen.“

Knappe Mehrheit der Deutschen gegen bedingungsloses Grundeinkommen Das Video konnte nicht abgespielt werden.
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Die Deutschen sehen das bedingungslose Grundeinkommen mehrheitlich skeptisch. 53 Prozent lehnen die Idee ab. Dem gegenüber stehen 43 Prozent der Deutschen, die ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürger gutheißen würden.

Im SPD-internen Debattenportal hat Generalsekretär Klingbeil inzwischen Stellung zum bedingungslosen Grundeinkommen bezogen. Er schrieb: „Ich glaube, wir sollten die Idee nicht links liegen lassen. Wir brauchen Freiräume, die abseits staatlicher Vorgaben genutzt werden können.“

Doch wie flexibel zeigt sich die Parteiführung beim bedingungslosen Grundeinkommen, insbesondere wenn der Druck der Basis steigt? Das Thema könnte zum Gradmesser dafür werden, wie wandlungsfähig die SPD in ihrem Erneuerungsprozess wirklich ist.

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