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Politik - 21.11.2018

Der einzige jüdische Minister in der arabischen Welt

In Tunesien wurde René Trabelsi ins Amt gewählt, obwohl er der Religion des „zionistischen Feindes“ angehört. Nun sieht er sich Anfeindungen und Verschwörungstheorien radikaler Muslime ausgesetzt. 0

Wohl wenige Tourismusminister dieser Welt haben noch vor Amtsantritt derart viele Schlagzeilen verursacht wie René Trabelsi. Der 56-jährige Tunesier jüdischen Glaubens wurde Anfang November für das Amt nominiert und am vergangenen Montag vom Parlament bestätigt. Damit ist Trabelsi der einzige jüdische Minister der arabischen Welt – alles andere als eine Selbstverständlichkeit in einer Weltgegend, in der selten unterschieden wird zwischen Juden und Israel, dem „zionistischen Feind“.

Wohlwollende Beobachter feierten die Ernennung Trabelsis als Symbol für die Offenheit des neuen Tunesiens, das seit dem Arabischen Frühling 2011 als demokratisches Musterland der arabischen Welt gilt. Dass es leider ganz so einfach nicht ist, haben die vergangenen Tage gezeigt.

René Trabelsi wuchs in Djerba auf, einer verträumten Mittelmeer-Insel mit weißen Stränden, auf der die meisten der rund 1500 tunesischen Juden leben. Nach dem Gymnasium zog er zum Studium nach Frankreich, wo er sich bald mit einem Reiseunternehmen selbstständig machte. Bis heute verbringt der Vater von drei Kindern Teile des Jahres in Paris; neben der tunesischen besitzt er die französische Staatsbürgerschaft.

Seine Firma „Royal First Travel“ bringt vorrangig französische Touristen nach Tunesien, Berichten zufolge 300.000 im Jahr. Trabelsi ist also vom Fach, und für innenpolitische Beobachter Tunesiens kann seine Nominierung nicht gänzlich überraschend gekommen sein: Schon in früheren Jahren wurde er mehrmals für das Amt gehandelt.

In der jahrtausendealten jüdischen Gemeinde auf Djerba ist sein Name aus anderen Gründen bekannt: Perez Trabelsi, der Vater des Ministers, steht seit Jahrzehnten der Gemeinde vor. Trabelsi junior wiederum organisiert jährlich eine Pilgerreise für Juden aus aller Welt zur Al-Ghriba-Synagoge auf Djerba, der ältesten Nordafrikas. 3000 Besucher kamen dieses Jahr, unter ihnen viele Israelis.

Demonstranten verbrannten die israelische Fahne

Zwar unterhält Tunesien keine offiziellen Beziehungen zum jüdischen Staat, bei zahlenden Touristen drückt das krisengeplagte Land jedoch gern ein Auge zu. Trabelsi gilt außerdem als engagierter Verfechter jüdisch-muslimischer Koexistenz, was ihn jedoch nicht vor Anfeindungen schützt.

Seit seiner Nominierung kursieren Gerüchte, Trabelsi trage die israelische Staatsbürgerschaft und strebe eine Annäherung zum „zionistischen Feind“ an. Nach seiner Bestätigung durch das Parlament versammelten sich Dutzende Demonstranten in der Hauptstadt, schwenkten Palästinaflaggen und verbrannten die israelische Fahne. Trabelsi sah sich gezwungen, die Gerüchte öffentlich zurückzuweisen. „Ich bin Tunesier, und jeder weiß das“, sagte er in einem Interview.

Am 11. November verfasste er in dem tunesischen Online-Portal „Business News“ eine Replik auf seine Angreifer. „Meine Religion ist für gewöhnlich Teil meines Privatlebens“, schrieb er, „doch die öffentlichen Vorwürfe, denen ich ausgesetzt bin, zwingen mich, darüber öffentlich zu sprechen.“ Weder sei sein Glaube Grund zu Scham, noch dürfe er als Beweis für die fröhliche Vielfalt Tunesiens instrumentalisiert werden. „Mein Judentum ist weder Last noch Folklore – es ist!“

Grüne wollen Maghreb-Staaten nicht zu sicheren Herkunftsländern machen Das Video konnte nicht abgespielt werden.
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Die große Koalition plant Tunesien, Marokko, Algerien und Georgien als sichere Herkunftsländer einzustufen. Dafür brauchen sie die Zustimmung der Grünen – und die lehnen ab.

Als Überschrift wählte er die bedeutungsschweren Worte „J’accuse“ (ich klage an): So hatte der französische Schriftsteller Émile Zola 1898 seinen berühmten Brief an den französischen Staatspräsidenten betitelt, in dem er den Antisemitismus hinter der Dreyfus-Affäre anprangerte. Der jüdische französische Hauptmann Alfred Dreyfus war zu Unrecht wegen Spionage für das Deutsche Reich angeklagt und verurteilt worden.

Denkbar, dass Tunesiens Premierminister Youssef Chahed mit der Ernennung Trabelsis auch ein Signal in die Welt senden wollte: Seht her, wie tolerant das neue Tunesien ist! Geschehen ist das Gegenteil. Die Anfeindungen gegen Trabelsi bringen Misstrauen und Vorurteile ans Licht, denen Juden auch im Musterland der arabischen Welt noch ausgesetzt sind.

Dabei leben Juden seit vielen Jahrhunderten in Tunesien. Zur Zeit der Staatsgründung Israels 1948 zählte die Minderheit noch 100.000 Mitglieder, in den 50er-Jahren dienten bereits zwei Juden als Minister.

Doch in den folgenden Jahrzehnten verschlechterte sich die Lage der Minderheit. Die arabisch-israelischen Kriege, Israels fortdauernder Konflikt mit den Palästinensern und die judenfeindliche Propaganda arabischer Medien schwärzte das Bild der Juden im arabisch-muslimischen Raum gründlich ein.

Nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 kam es in Tunesien zu antisemitischen Gewaltausbrüchen, offenbar vom Staat toleriert. Etliche Juden flohen. 2002 verübten Al-Qaida-Terroristen einen Brandanschlag auf die Al-Ghriba-Synagoge, dem 21 Menschen zum Opfer fielen (die meisten von ihnen deutsche Touristen).

Im Zuge der Aufstände 2011, die Tunesiens langjährigen Machthaber Zine el-Abidine Ben Ali zu Fall brachten, kam es zu einer weiteren Welle von Übergriffen: Friedhöfe wurden geschändet, jüdische Bürger attackiert.

Inzwischen hat sich die Lage beruhigt. Die Regierung hat Tunesiens jüdisches Erbe als touristischen Standortvorteil entdeckt, lässt jüdische Einrichtungen schützen und Synagogen renovieren.

Im September verkündete das Rathaus von Sousse, einem Ferienort an Tunesiens Ostküste, dass vier Straßen nach bekannten jüdischen Persönlichkeiten benannt werden sollen. „Im Großen und Ganzen fühlen sich die Juden in Tunesien sehr sicher“, sagt Sarah Feuer, Nordafrika-Expertin vom Washington Institute for Near East Policy.

Die Ernennung Trabelsis fügt sich ein in eine Serie von Ereignissen, die manche als vorsichtige Annäherung arabischer Länder an Israel deuten. Vor einigen Wochen reiste Israels Premierminister Benjamin Netanjahu nach Oman, kurz darauf besuchte Israels Kulturministerin Miri Regev die Emirate, alles vor laufenden TV-Kameras und vor wenigen Jahren kaum denkbar.

„Vielleicht schauen wir eines Tages zurück und sagen: Das war der Beginn einer neuen Öffnung gegenüber Israel“, sagt die Nordafrika-Expertin Feuer. Zugleich warnt sie vor allzu hohen Erwartungen: „Bevor es keinen Fortschritt im israelisch-palästinensischen Konflikt gibt, rechne ich nicht mit einer vollständigen Normalisierung der Beziehungen.“

René Trabelsi selbst wird wenig Muße haben, über die historische Bedeutung seiner Ernennung nachzugrübeln. Tunesiens Arbeitslosigkeit liegt bei 15 Prozent, unter Universitätsabsolventen ist sie doppelt so hoch.

Der Tourismus, eine traditionell bedeutende Einnahmequelle, ist nach mehreren terroristischen Anschlägen der letzten Jahre eingebrochen. Ihn zu beleben, würde dem Land und seinen Menschen helfen. Ihrer Zukunft würde auch zugute kommen, wenn der Minister sich künftig auf seine Arbeit konzentrieren dürfte.

Dann könnte er auch über seine Vision für den tunesischen Tourismus sprechen, statt haltlose Verleumdungen abzuwehren. Doch bis Tunesien so weit ist, dass allein die Taten und nicht der Glaube eines jüdischen Amtsträgers im Mittelpunkt stehen, dürfte wohl noch einige Zeit ins Land gehen.

In einer früheren Version hatte es irrtümlich geheißen, Trabelsi sei der erste jüdische Minister in der arabischen Welt – es gab aber zuvor schon zweimal einen jüdischen Minister in Tunesien.

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