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Politik - 22.10.2018

Dieser Mann ist die letzte Hoffnung des Irak

Vor 15 Jahren wurde der irakische Herrscher Saddam Hussein gestürzt. Doch das Land kommt nicht zur Ruhe. Ausgerechnet ein 76-jähriger Alt-Politiker soll jetzt als Premierminister den Neuanfang bringen. 0

„Sie wollen Minister werden? Dann schicken Sie uns online Ihre Bewerbung und Ihren Lebenslauf“, heißt es auf einer Internetseite der irakischen Regierung. „Zuerst dachte ich, das ist ein Witz“, sagt ein Zuckerwatteverkäufer im Mansour-Park von Bagdad, wo am frühen Abend noch wenig los ist. „Aber dann habe ich gehört, einige der Bewerber sollen ja tatsächlich Minister werden. Das ist wirklich etwas Neues.“

Es ist wahr: Niemand anderes als Adel Abdul al-Mahdi hat die Ausschreibung im Internet veröffentlichen und den Link dann auch bei Facebook posten lassen, der neu ernannte Ministerpräsident des Irak. Gefragt seien „Fachkompetenz, Spezialkenntnisse und praktische Erfahrung“, heißt es in seinem Aufruf. Ganz genau 36.006 Iraker bewarben sich in den letzten Wochen.

Der 76-jährige zukünftige Premier greift auch sonst zu ungewöhnlichen Mitteln. So entschied sich Mahdi, sein Büro in Bagdad außerhalb der Grünen Zone einzurichten. In diesem mit hohen Mauern gesicherten und schwer bewachten Gebiet hatten bisher alle Regierungen seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 ihren Amtssitz. Aber nun soll alles anders werden.

Der studierte Ökonom Mahdi versucht, den Bürgern das Gefühl eines Neuanfangs zu vermitteln. Politik soll wieder volksnah sein und nicht nur ein Geschäft der Eliten. Denn 15 Jahre nach der Befreiung durch die USA ist die Geduld vieler Iraker zu Ende. Sie haben genug von Krieg und Terror, dem Dauerkonflikt zwischen Schiiten und Sunniten, von Misswirtschaft und Korruption der Parteien, die meist auch eine eigene Miliz unterhalten. Nun setzen viele Iraker ihre Zukunftshoffnungen ausgerechnet auf einen Regierungschef im hohen Alter. Immerhin hat Mahdi als Finanz- und Ölminister sowie als Vizepräsident schon jahrelang höchste Ämter bekleidet. Diese Erfahrungen wird er brauchen.

Der Premierminister soll das gespaltene Land einen und die Ökonomie ankurbeln. Es ist eine Mammutaufgabe, zumal die verfeindeten Mächte USA und Iran um den Irak ringen. Sollte Mahdi scheitern, droht das Land mit den fünftgrößten Ölreserven der Erde im Chaos zu versinken. Die Bewohner der Ölmetropole Basra im Süden des Landes demonstrierten in den Sommermonaten gegen verschmutztes Wasser und Stromausfälle.

Die Proteste verwandelten sich schnell in eine Revolte. Das iranische Konsulat, Symbol für die Schutzmacht der mächtigen Schiiten im Lande, und ein Regierungsgebäude gingen in Flammen auf. Überall im Irak fordern die Menschen bessere Infrastruktur und medizinische Versorgung, Arbeitsplätze und ein Ende der Gewalt.

Eine Figur, die alle Parteien vereint

In Bagdad ist von einem Wandel noch nichts zu spüren. Gegen Mitternacht ist das Café „Arden“ im Bagdader Stadtteil Karrada voll besetzt. Der Geruch von Kaffee und Wasserpfeifen erfüllt den Raum. Selbst im Oktober ist es tagsüber in Bagdad noch 35 Grad heiß. Das Leben beginnt erst nach Einbruch der Dunkelheit. Dann werden in Imbissen Kebab und Karpfen über offenem Feuer gegrillt. Straßen und Einkaufszentren sind voll. Heute fühlt man sich wieder weitgehend sicher in Bagdad – anders als noch vor zwei Jahren. Die Anschläge islamistischer Terrorgruppen sind deutlich zurückgegangen.

An einem Tisch auf der Terrasse des Cafés „Arden“ diskutieren Stammgäste über den neuen Premier. Von Politikverdrossenheit ist hier nichts zu spüren. Im Gegenteil, der neue Premierminister scheint tatsächlich Hoffnung zu machen. „Mahdi ist eine Integrationsfigur, der alle Parteien vereinen kann“, glaubt Sakker Makan al-Sakaria, ein Social-Media-Aktivist.

So sehen es auch andere hier: „Ich habe Mahdi getroffen und ihm ein 13-Punkte-Programm übergeben“, sagt Mohammed Orady, der zwar als Sicherheitsberater im Verteidigungsministerium arbeitet, sich aber als Teil einer neuen Zeit versteht. Oradys Vorschläge beinhalten die Auflösung aller Checkpoints der Sicherheitskräfte, die Erhöhung der Pensionen und die Senkung des Rentenalters, um Arbeitsplätze für jüngere Generationen frei zu machen. Zudem sollten ausländische Investitionen erleichtert werden, Banken müssten wieder Kredite gewähren und Polizei sowie Spezialeinheiten von korrupten Beamten gesäubert werden.

„Das sind die dringendsten Probleme der Gesellschaft“, sagt Orady. Bisher habe er aber noch keine konkrete Antwort von Mahdi. „Aber er hat mir zugesichert, sein Team werde alle Punkte besprechen.“

Der Sicherheitsberater und alle anderen Journalisten und Geschäftsleute am Tisch glauben an die Integrität Mahdis und auch daran, dass er die grassierende Korruption bekämpfen werde. Sie ist auf allen Ebenen der Regierung zu finden. Laut Transparenzkommission des irakischen Parlaments sind 320 Milliarden Dollar innerhalb der letzten 15 Jahre spurlos verschwunden. „Es wären drastische Veränderungen notwendig“, meint Orady, „aber es wird nur eine Politik der kleinen Schritte geben.“ Alles andere wäre unrealistisch. Das System sei behäbig, und Mahdi wisse, dass er behutsam vorgehen müsse, um nicht zu scheitern.

Der neu ernannte Premier genießt bei vielen Irakern großes Vertrauen, obwohl er eine schillernde Vergangenheit hat. In jungen Jahren war er Mitglied der Baath-Partei, die in den 70er-Jahren Diktator Hussein an die Macht brachte. Später wurde Mahdi Marxist und danach Mitglied einer islamistischen Bewegung, bevor er 1969 nach Frankreich ins Exil ging. Mahdi wechselte die Ideologien wie andere ihr Hemd, könnte man sagen. Erst 2003 kam er nach dem Sturz Husseins wieder zurück in den Irak.

Besonders die Jungen, die zwei Drittel der irakischen Bevölkerung ausmachen, hoffen auf einen Aufbruch. „Wir hoffen, dass die neue Regierung positive Veränderungen bringt“, sagt der 22-jährige Haidar Shabaan. Positive Veränderungen dürften für ihn Stabilität und damit ein gutes Investitionsklima sein. Er arbeitet als Manager von „The Station“, dem ersten Coworking-Space in Bagdad. Junge Tech-Unternehmer, Kreative und Medienleute arbeiten hier an ihren Laptops.

Doch die hippen Büroräume mit bunten Sitzecken und hohen Bücherregalen vor Backsteinwänden sind nicht nur Arbeitsplatz, sondern längst auch Treffpunkt einer neuen Generation. „Wir sind offen, wollen neue Ideen und keine Korruption“, sagt Raid al-Katib. Der 34-Jährige sammelt gebrauchtes Frittieröl im Irak ein, das er nach Deutschland exportiert, wo daraus Biodiesel gemacht wird. „Nach 15 Jahren Chaos sind wird das alte System leid“, sagt er. „Wir wollen eine andere, neue Welt.“

Doch ob ausgerechnet jemand, der sich so gewandt durch die alte Welt bewegte, etwas Neues schaffen kann? „Mit seiner Erfahrung weiß al-Mahdi, wie man das politische Spiel spielt“, meint Sarwa Abdul Wahid, eine kurdische Abgeordnete, im Wohnzimmer ihrer Villa in der Grünen Zone. Sie hatte für das Präsidentenamt kandidiert, aber nur 18 Stimmen der Parlamentarier bekommen. Für sie war die Internetkampagne um die Ministerposten ein abgekartetes Manöver.

„Es werden zwar einige Bewerber ausgewählt, aber die sind vorher schon festgelegt worden“, meint sie süffisant. Wenige Stunden zuvor hatte Abdul Wahid noch ein persönliches Gespräch mit al-Mahdi, man kennt sich. „Das gehört eben zum Irak“, fügt sie an und lacht wieder.

Von Absprachen will Laith Shubbar, ein langjähriger Mitarbeiter und persönlicher Freund von Mahdi nichts wissen. „Nein, nein, die Bewerbung im Internet ist ernst“, sagt er beinahe entrüstet im weitläufigen Garten unweit des Pools eines Luxushotels in Bagdad. „Ich verrate Ihnen, es könnten bis zu acht neue Minister aus dem Internet stammen.“

Mahdi sei ein Mann, der zu seinen Grundsätzen stehe und sicher etwas gegen die Korruption unternehmen werde. Schließlich sei er durch seinen langjährigen Aufenthalt in Frankreich von der europäischen Kultur geprägt worden. Außerdem habe er außenpolitisch zu allen gute Beziehungen – ob zum Iran oder zu Amerika, zur Türkei oder zu Saudi-Arabien.

„Die entscheidende Frage ist nur, wie weit er innenpolitisch gehen kann“, resümiert Shubbar. Doch das ist keine nebensächliche Frage. Sollte Mahdi es mit den Maßnahmen gegen Korruption übertreiben, könnte er leicht Opfer eines Attentats werden. Denn wer milliardenschwere Einnahmequellen schließt, muss im Irak um sein Leben fürchten. „Mahdi weiß das, aber es kümmert ihn wenig“, sagt Shubbar dann lachend. „In seinem Alter ist das zu verstehen.“

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