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Politik - 19.11.2018

Hetzjagd auf Schwule offiziell eröffnet

In den meisten afrikanischen Ländern ist Homosexualität illegal. In Tansania wird nun ein „Überwachungsteam“ eingesetzt, das Verhaftungen vorantreiben soll. Aktivisten fürchten Auswirkungen über die Landesgrenzen hinaus. 0

Am Wochenende veröffentlichte die US-Botschaft in Tansania eindrückliche Warnungen auf ihrer Homepage. Amerikanische Bürger in dem ostafrikanischen Land sollten „ihre digitalen Fußspuren und Profile der sozialen Netzwerke überprüfen“, um Verstöße gegen die Gesetze „zu homosexuellen Praktiken“ zu vermeiden. Zudem solle die Lage über die Medien weiter im Blick behalten werden.

Ab dieser Woche werde ein „Überwachungsteam“ eingesetzt, vermeldete Paul Makonda, Gouverneur der Metropolregion Daressalam. Es soll Recht und Ordnung in der bevölkerungsreichsten Stadt Tansanias wiederherstellen. Das breit gefächerte Portfolio der Kontrolleure umfasst den Kampf gegen Prostituierte, Online-Betrug – und Homosexualität. Laut der Verfassung Tansanias handelt es sich auch bei Letzterem um einen Gesetzesverstoß.

Bürger sollen Verdächtige über eine Telefon-Hotline verraten – oder gleich bei Makonda selbst. „Wenn Sie Schwule kennen, melden Sie sie bei mir“, sagte er gegenüber Journalisten. Im Oktober 2017 waren zwölf Männer in einem Hotel verhaftet worden, weil sie homosexueller Handlungen verdächtigt worden waren.

Wenige Wochen zuvor war es bereits in der semi-autonomen Region Sansibar zu 20 Verhaftungen gekommen. Hilfsorganisationen dürfen keine Gleitmittel mehr verteilen, eine Maßnahme, mit der die Verbreitung von HIV eingegrenzt werden sollte.

Denn gleichgeschlechtlicher Sex von Männern kann in Tansania mit einer Gefängnisstrafe von 30 Jahren und sogar lebenslanger Haft sanktioniert werden. Die Nation gilt als eines der homophobsten Länder weltweit. 95 Prozent der Tansanier, so eine Umfrage des amerikanischen Pew-Instituts aus dem Jahr 2007, lehnen Homosexualität ab. Das ist selbst in Afrika, wo Homosexualität in 35 der 54 Staaten verboten ist, ein Spitzenwert.

Tansanias Regierung hat halbherzig versucht, die Initiative von Makonda als „eigene Meinung ohne Regierungsunterstützung“ herunterzuspielen. Doch Menschenrechtsaktivisten sind schockiert, sie befürchten Auswirkungen weit über Daressalam hinaus. „Diese Hexenjagd hat eine Menge Angst in Tansania und ganz Afrika verursacht“, sagte Kasha Nabagesera von der Organisation Freedom and Roam Uganda gegenüber WELT.

Es sei „traumatisch“, Videos von Hetzjagden auf vermeintlich Schwule zu sehen. Viele ihrer gleichgeschlechtlich liebenden Freunde seien in das Nachbarland Tansania geflohen, als es in Uganda vor einigen Jahren Gesetzesverschärfungen gegeben habe. „Sie wissen nicht mehr, wohin sie noch fliehen können“, sagte Nabagesera, „es ist herzzerreißend.“ Nun seien auch in anderen Ländern der Region wieder vermehrt Aggressionen zu erwarten.

Tatsächlich ist der Fortschritt auf dem Kontinent in diesem Bereich quälend langsam. Meldungen wie die Legalisierung von Homosexualität in Mosambik im Jahr 2015 oder die erste Gay-Pride-Parade in Swasiland Anfang 2018 bleiben die Ausnahme. Kritik wird routiniert abgeschmettert. Selbst die Drohung Großbritanniens vor einigen Jahren, Entwicklungshilfe für Länder mit homophoben Gesetzen zurückzuhalten, hatte keinen spürbaren Effekt.

In Simbabwe trat vor einigen Wochen der stellvertretende Schulleiter einer Eliteschule zurück. Eine Zeitung hatte von seiner Homosexualität berichtet, aufgebrachte Eltern hatten sich daraufhin per Anwalt bei der Schule über ihn beschwert. Der Lehrer bekam zudem Todesdrohungen.

In Nigeria gab es im Jahr 2016 Aufregung, als bekannt wurde, dass der damalige Schweizer Botschafter mit einem Mann liiert war. Das nigerianische Außenministerium drohte zunächst mit Verhaftung, schließlich teilte man mit, es würden keine Ermittlungen laufen.

In Tansania passt die jüngste Entwicklung in das zunehmend autokratische Bild des Landes. Präsident John Magufuli, der zunächst wegen seines strikten Antikorruptionskurses und seiner Sparmaßnahmen gefeiert wurde, wird vom Westen angesichts von zunehmender Unterdrückung von Opposition und Zivilgesellschaft längst mit Argwohn beobachtet. Erst vor wenigen Wochen ermöglichte er für das Anzweifeln von Regierungsdaten Gefängnisstrafen.

Nun wurde offenbar der emsige EU-Botschafter Roeland van de Geer zur „Persona non grata“ erklärt. Er ist dafür bekannt, dass er mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg hält. Tansania hatte ihm bis Samstag Zeit gegeben, das Land zu verlassen. Van de Geer reiste tatsächlich nach Brüssel, offiziell für „Konsultationen über die aktuelle Situation in Tansania“ – ein in diplomatischen Kreisen höchst ungewöhnlicher Vorgang.

Die Weltbank beschloss zuletzt, Kredite in Höhe von 300 Millionen Euro für die Verbesserung der weiterführenden Schulbildung zurückzuhalten – Folge eines Dekrets des Präsidenten, schwangere Mädchen von den staatlichen Schulen auszuschließen.

Auch die Regierungskonsultationen zwischen Tansania und Deutschland über die Entwicklungshilfe der kommenden zwei Jahre stocken. Der entsprechende Vertrag sollte nach WELT-Informationen eigentlich am 12. Oktober unterzeichnet werden, was aber von tansanischer Seite bislang ohne Begründung nicht erfolgte.

Wer hier an offiziellen Statistiken zweifelt, wird bestraft Das Video konnte nicht abgespielt werden.
Bitte versuchen Sie es später noch einmal.

Wer es in Tansania künftig wagt, offizielle Statistiken infrage zu stellen, muss umgerechnet mindestens 3780 Euro Strafe zahlen. Im schlimmsten Fall drohen Zweiflern sogar bis zu drei Jahre Gefängnis.

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