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Politik - 16.11.2018

„Lassen wir mal die Tassen im Schrank“

Begeisterte Christdemokraten, vorsichtige Kandidaten und die Frage nach der Merkel-Nachfolge. Trotzdem drohte die Stimmung an diesem Abend einmal zu kippen. So lief der erste Kandidaten-Check der CDU-Basis. 0

Die erste Etappe ist geschafft. Vor 700 Zuhörern in einer Event-Location im alten Lübecker Stadthafen mühten sich Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz und Jens Spahn um eine muntere Vorstellungsrunde im Rennen um den CDU-Parteivorsitz. So richtig weh tun wollten sich die drei Kandidaten dabei nicht. Auch inhaltlich blieben die Bewerber eng beieinander. Der Parteibasis hat es trotzdem, vielleicht auch genau deswegen, bestens gefallen. Ein Überblick über ein in der Geschichte der CDU bisher einmalige Kandidaten-Schaulaufen. 

Das Ambiente: Cool – und so passend. Die „Kulturwerft Gollan“ im Lübecker Stadthafen gehört zum ältesten schleswig-holsteinischen Industriegebiet. Roter Backstein aus der Zeit der Jahrhundertwende kontrastiert hier und da mit nachträglich eingezogenem Stahl, Beton und spärlichem, modernistischen Interieur. Alles noch ihm Werden hier, aber schon eine ganz gelungene Mischung aus Dynamik und morbider Tradition, zwischen Aufbruch, Bodenständigkeit und ein bisschen Gerümpel. Alles wie gemacht also für die Suche nach einem neuen CDU-Vorsitzenden, von dem ja auch erwartet wird, dass er Neues mit Bewährtem verbindet und dabei nicht vergisst, eventuell Überkommenes über Bord zu werfen.

Das Publikum: Klarer Fall. Schon die erste der acht CDU-Regionalkonferenzen ist ein Clou. Um die 800 Parteimitglieder drängelten sich am Donnerstagabend in der alten Fabrikhalle, hörten über drei Stunden geduldig zu und klatschten den Bewerbern um das Amt des CDU-Vorsitzenden immer wieder Mut und Beifall zu.

Keine Geduld für Möchtegern-Konkurrenten der drei Kandidaten

Nur ein einziges Mal, einen Moment nur, drohte die Stimmung zu kippen. Als ein Einzelbewerber das Mikrofon für die Fragesteller ergriff, der aber noch keine Parteigliederung gefunden hat, die ihn unterstützen und so in den offiziellen Kandidatenstatus heben würde. Der Mann, ein Unternehmer, versuchte auf sich und auf ein Problem aufmerksam zu machen, das er mit seinem Betrieb in China gehabt habe. Aber für solches Außenseitertum haben die in Lübeck versammelten CDU-Mitglieder aus Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern kein Ohr. Ihnen geht es gerade um Größeres.

Der Gastgeber: Daniel Günther, „Genosse Günther“, wie ihn böswillige Parteifreunde wegen seines verunglückten Ausflugs in die Koalitions-Seele der ostdeutschen Christdemokraten nennen, bestritt den Auftakt dieser ersten Regionalkonferenz. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident gilt vielen als potenzieller Unterstützer Kramp-Karrenbauers, ließ sich aber auch in Lübeck nicht so richtig in die Karten schauen. Lieber lobte er in seiner Begrüßungsrede „die echte Aufbruchstimmung“, die die Union durch den ungewohnten Wettbewerb um den Parteivorsitz ergriffen habe. Um alle drei Kandidaten würden die Christdemokraten von den anderen Parteien beneidet.

Am Ende, nach der Entscheidung, sagt der Kieler Regierungschef, müssten jedenfalls alle drei Kandidaten verantwortungsvolle Aufgaben in der Partei bekommen. Ob es soweit kommt, ob sich Friedrich Merz im Fall des Falles tatsächlich Annegret Kramp-Karrenbauer unterordnen würde, bleibt vorerst offen.

Kramp-Karrenbauer setzt sich von Angela Merkel ab

Die Favoritin: Annegret Kramp-Karrenbauer ging weder in ihrer Begrüßungsrede, noch in ihren Antworten auf die Publikumsfragen ein Risiko ein. Leiser, aber keineswegs unbestimmter auftretend als ihre beiden Kontrahenten, strickte sie ihre Vorstellungsrede um die Begriffe „Sicherheit“ und „Zusammenhalt“, setzte sich sicherheitshalber aber doch erst einmal Angela Merkel ab. Das Vertrauen der Menschen, insbesondere beim Thema Sicherheit, müsse sich die CDU erst wieder zurückerobern. „Wir müssen klären“, sagt sie, „was tun wir, damit sich der Herbst 2015 nicht wiederholt. Erst dann können wir wieder die Partei der Inneren Sicherheit sein“.

Kramp-Karrenbauers stärkster Moment: In der Antwortrunde zum Thema Steuern wies sie Friedrich Merz die Aufgabe zu, nach dem Wahl-Parteitag eine große Steuerreform zu erarbeiten. Als Zuarbeiter für die neue Parteichefin sozusagen. Ein Punkt für AKK, aber natürlich, wie alles, nur eine Momentaufnahme.

Der Favorit: Als wäre er nie weg gewesen. Insbesondere bei Wirtschafts- und Steuerthemen trumpfte Friedrich Merz groß auf. Ein Vorteil, der – siehe oben – allerdings auch zum Nachteil werden kann. Den Verdacht, vor allem, wenn nicht ausschließlich ein Kandidat der Wirtschaft zu sein, versuchte der Sauerländer von Beginn an zu entkräften. Sein Vorschlag, aus der Union eine „Bürgerpartei“ zu machen, zielte darauf, dieses Manko zu verwischen.

Da in Lübeck auch keine Frage zu den Einkommensverhältnissen der Kandidaten gestellt wurde, glänzte Merz immer wieder mit Klartext: Wir sind keine multikulturelle Gesellschaft. Wir brauchen einen starken, aber keinen überbordenden Staat. Ich traue mir zu, die AfD zu halbieren. Das waren solche Sätze. Der stärkste Moment des früheren Merkel-Widersachers: Als Jens Spahn erst zusätzliche Verteidigungsanstrengungen und dann die Abschaffung des Soli fordert, kontert der Ex-Fraktionschef: „Lassen wir mal die Tassen im Schrank“, man könne in Lübeck schließlich nicht einfach alles beschließen.   

Jens Spahns Mutter fragte, warum er sich das antut

Der Außenseiter:  Jens Spahn ist zu Beginn der Veranstaltung augenscheinlich der Nervöse unter den drei Kandidaten. Er verhaspelte sich kurz, fing das aber charmant auf. Überhaupt war der für manchen CDU-Vorderen „übertrieben ehrgeizige“ Bundesgesundheitsminister immer dann gut, wenn er sich von seinen Schlagwort-Kaskaden löste und statt dessen von sich selbst erzählte. Als er vom Gespräch mit seiner Mutter berichtete, die ihn gefragt habe, warum er sich das alles antue, wurde es ganz leise in der Kulturwerft. Menschen hören Menschen zu, selbst wenn es Parteifreunde sind.

Wenn Spahn dagegen die Phrasenmaschine anwarf und über „modernen Konservatismus“, „echte Neuanfänge“, die „bürgerliche Mitte“, „Haltung“ und „Zuversicht“ sprach, wirkte er schnell beliebig. Noch sein bester Moment: In der Fragerunde zu Frauenquoten widerstand er dem Mainstream und riet zu „vorsichtigem Umgang“ mit derartigen Regulierungen. Dafür bekam Spahn auch von Quoten-Befürwortern Applaus.

Die Themen: Wehrpflicht, Digitalisierung, Steuern, Mieten, der Wolf, der Diesel-Skandal. Die Fragen des Publikums drehten sich meist um die Innenpolitik, die diversen Weltkrisen fanden sich nicht im Zentrum der christdemokratischen Debatten. Alle drei Bewerber versuchten immer wieder, die Bedeutung Europas zu betonen, aber auch der Brexit oder die Italien-Krise fanden in Lübeck keine Beachtung.

Bemerkenswert: Die Themen Migration und Integration wurden lange Zeit weitgehend umschifft. Erst ganz zum Schluss geht es kurz um den Umgang mit Zuwanderern. Den größten Beifall bekamen an dieser Stelle überraschenderweise nicht Spahn oder Merz, sondern Kramp-Karrenbauer, die wieder einmal vor der „Selbstverzwergung“ des Landes warnt. Auf Weihnachtslieder zu verzichten, so „AKK“, sei kein Ausdruck von Toleranz.

Jens Spahn will nicht sofort Kanzler werden

Die Kanzlerfrage: Eine der herausfordernderen Momente dieses Abends. Ob sie denn neben dem Parteivorsitz auch die Kanzlerschaft anstrebten, wurden die Kandidaten gefragt. Und zeigten sich allesamt auf der Hut. Jens Spahn versprach, auf gar keinen Fall gleich das nächste Amt anzustreben, wenn er zum Parteichef gewählt werden würde.

Man dürfe gar nicht erst den Eindruck erwecken, dass man den Parteivorsitz nur wolle, um dann den nächsten Schritt zu machen, warnte Annegret Kramp-Karrenbauer unter anderen auch sich selbst. Und Friedrich Merz versicherte, dass er nicht vorhabe, die Kanzlerin vorfristig zu meucheln. Ein Versprechen machte er den Christdemokraten allerdings schon einmal für den Fall der Fälle: Er werde sich nach Kräften darum bemühen, „dass eine Debatte wie die um Herrn Maaßen nicht drei Monate dauert, sondern drei Stunden“.  

Das Fazit: Über eins waren sich alle einig an diesem Lübecker Abend. Aus dem Rennen um den Parteivorsitz werde am Ende auf jeden Fall die CDU selbst als großer Sieger hervorgehen. So viel Debatte, so viel Spannung, auch so viel ziemlich gute Laune hat es bei den Christdemokraten nur sehr selten, vielleicht noch an erfolgreichen Wahlabenden gegeben. An der Ausgangslage der Kandidaten hat der Abend in Lübeck im Übrigen nichts Wesentliches verändert. Alle drei Kandidaten bleiben auch für die kommenden Wochen, was sie auch vorher waren. Zwei Favoriten und ein Außenseiter. Keine schlechte Voraussetzungen für die kommenden drei Wochen.

So geht es weiter: Die zweite Regionalkonferenz der CDU findet am kommenden Dienstag in Mainz statt. Es folgen Veranstaltungen in Seebach (Thüringen), Halle/Saale, Böblingen, Düsseldorf, Bremen und Berlin, wo am 30. November die letzte der insgesamt acht Veranstaltungen stattfinden soll. Die Entscheidung über den Parteivorsitz und damit auch über einen potenziellen Nachfolger Angela Merkels im Bundeskanzleramt fällt am 7. Dezember beim Parteitag der Christdemokraten in den Hamburger Messehallen. Dort werden rund 1000 Delegierte abstimmungsberechtigt sein.

AKK, Merz und Spahn stellen sich in Lübeck der CDU-Basis Das Video konnte nicht abgespielt werden.
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Für den CDU-Parteivorsitz wollen unter anderem Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer, Ex-Unionsfraktionschef Merz und Gesundheitsminister Spahn antreten. Es ist das erste von bundesweit acht Treffen dieser Art – hier die Fragerunde.

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