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Sport - 13.06.2019

Abschied vom Schmuckstück

Kein Platz mehr an der Wand im Keller: Unser Kolumnist trennt sich von einem lieb gewonnenen Fahrrad.

Platz für Radromantik… gibt es draußen genug. Aber was machen, wenn drinnen kein Platz mehr ist im Radkeller.

In der vergangenen Woche gab es für mich gleich zweimal echte Emotionen, es wurde Abschied genommen von Liebgewonnenem. Aus meiner Zeit im südhessischen Exil stammt der erste Abschiedsgrund. Mein Lieblingsfahrrad hat nach 13 Jahren nun einen neuen Besitzer gefunden. Seit dem Sommer 2006 war dieses rot-schwarze Schmuckstück aus US-amerikanischer Fertigung an meiner Seite. Schon beim ersten Einsatz wusste ich, dass dies der Beginn einer langen Freundschaft ist.

Der Härtetest war dann ein Jahr später ein Rennen auf dem Nürburgring. Mein neuer Alu-Tiger und ich rasten mit fast 92 Kilometern pro Stunde durch die Fuchsröhre der legendären Nordschleife und das, obwohl ich eher ein vorsichtiger Radfahrer bin. Das alte Rad war im Jahr zuvor an der gleichen Stelle bei 60 Kilometern pro Stunde schon ins Schaukeln gekommen. Viele schöne Radtouren habe ich danach mit meinem neuen Freund unternommen. Wir waren zusammen auf Mallorca, im Odenwald, im Grunewald, ja sogar in Frankreich. Dort zertrümmerten Unbekannte in der Nähe von Lyon die Heckscheibe meines Autos, aber das Rad, das obenauf lag, ließen sie in Ruhe. Wie gesagt, viele schöne Erinnerungen.

Doch wie in jeder Beziehung gab es auch dunkle Momente. Als ich eines Morgens das Rad aus dem Keller zum Training holen wollte, war es plötzlich nicht mehr da. Irgendjemand hatte es einfach gestohlen. Ich ließ nichts unversucht, um das Rad zurückzubekommen. Regelmäßig studierte ich die Angebote eines großen Online-Auktionsportals, lange aber ohne Erfolg. Nach einem halben Jahr wurde ich dort doch fündig. Die Polizei befreite schließlich meinen Alu-Tiger aus den Fängen der vermeintlichen Diebe.

Ein Vater und sein Sohn haben das gute Stück gekauft, es wird dort gut aufgehoben sein

Allerdings hatte ich mir natürlich schon einen neuen Untersatz für das Radfahren besorgt. Und inzwischen war Carbon nun das Rahmenmaterial der ersten Wahl. Trennen wollte ich mich vom Aluminium-Freund aber nicht. Es wurden Schutzbleche montiert, um es als Winterrad zu nutzen. Doch da fuhr ich dann lieber mit einem Crosser durch den Wald. Und so hing es nur noch an der Wand, wurde zweimal im Jahr von mir geputzt und gewienert, fast so wie ein Pferd, das auf der Koppel sein Gnadenbrot bekommt. Jetzt, nach 13 Jahren also, war aber endgültig kein Platz mehr im Keller an der Wand. Ein Vater und sein Sohn haben das gute Stück gekauft, es wird dort gut aufgehoben sein.

Fehlt noch der zweite schmerzvolle Abschied: mein Lieblings-Moderatoren-Duo meines Lieblingssenders. Stefan Rupp und Christoph Azone hatten ihre letzte Sendewoche beim Schönen Morgen von Radio Eins. Fast 20 Jahre haben die beiden via Radio meine Familie und mich in den Tag begleitet, auch als wir einige Jahre in Hessen gewohnt haben. Persönlich haben wir uns nie kennengelernt, aber irgendwie waren die beiden immer bei uns präsent. Und meine einzige Hörermail, die ich jemals geschrieben habe, ging an Herrn Azone. Im Rahmen der Anmoderation zu einer Tour de France-Etappe machte er ein paar Fehler, da konnte ich mich als Radsport-Experte natürlich nicht zurückhalten. Seine Antwort-Mail habe ich immer noch, also danke dafür, Jungs.

Michael Wiedersich ist Radsporttrainer und Sportjournalist und schreibt hier wöchentlich seine Radkolumne im Wechsel mit Tagesspiegel-Volontär und Läufer Felix Hackenbruch.

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