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Sport - 15.11.2018

Als Carlsen wieder zum Tiger wurde

Magnus Carlsen gegen Sergej Karjakin: Das war knapp. Doch Carlsen wurde rechtzeitig wieder zum Tiger. Das letzte Wort zwischen diesen Spielern ist wohl dennoch nicht gesprochen. Eine Fortsetzung sollte folgen. Ein Kommentar.

So sieht ein Sieger aus – Magnus Carlsen in New York.

Es gibt ein kleines Schachlernbuch, das längst zum Klassiker geworden ist. Es stammt von Simon Webb und heißt „Chess for Tigers“. Dem Tiger sind schöne Züge, knifflige Kombinationen und weit reichende Berechnungen egal. Er will nur eines – gewinnen. Eine Grundregel des Buches lautet daher: „Play the person, not the board“ (etwas frei übersetzt: Spiele gegen deinen Gegner, nicht gegen die Position auf dem Brett). Kannst du ihn zum Beispiel glauben machen, er hätte einen guten Angriff, so dass er riskant spielt, seine Figuren im aggressiven Überschwang exponiert, womöglich leichtsinnig wird?

Schach und Psychologie sind nicht zu trennen. Das zeigte sich einmal mehr im Weltmeisterschaftskampf zwischen Magnus Carlsen und Herausforderer Sergej Karjakin. Der Norweger Carlsen steht seit Juli 2011 ununterbrochen an der Spitze der Weltrangliste. Er ist das Siegen gewohnt, das Verlieren nicht. Was aber passiert mit einem Favoriten, der nicht gewinnen kann? Wird er nervös? Auf diese Zermürbungsdynamik setzte der Russe Karjakin. Mit sicherem, soliden Verteidigungsspiel erkämpfte er sich ein Remis nach dem anderen. In der achten Partie wurde Carlsen schließlich ungeduldig, riskierte zu viel und verlor. Ein Drama bahnte sich an.

Doch neben Ausdauer, Konzentrationsvermögen und psychologischer Raffinesse bewies der Weltmeister, dass er auch über die vierte der für einen Spitzenspieler notwendigen Eigenschaften verfügt – Nervenstärke. In Partie zehn kämpfte er sich glücklich zurück. Am Ende stand es sechs zu sechs unentschieden. Am Mittwoch dann entschied Carlsen das Duell in New York im Tiebreak mit stark begrenzter Bedenkzeit klar für sich. Carlsen spielte überragend und krönte den Abschluss der vierten Partie mit einem Damenopfer, das zwingend zum Matt führt. Der bessere hat das Match gewonnen.

Carlsen ist auch aktueller Schnellschach-Weltmeister

Wer das mit Hinweis auf den Spielmodus bezweifelt – der Einwand lautet: Schnellpartien sind wie Elfmeterschießen beim Fußball -, vergisst erstens, dass die Regeln bekannt waren und sich beide Spieler vor Beginn des Turniers auf sie eingelassen hatten. Und er vergisst zweitens, dass in Weltmeisterschaften seit mehr als hundert Jahren die Bedenkzeit begrenzt wird. Das verlangt zusätzlich zur Fähigkeit der Berechnungstiefe die Gabe der Intuition. Stellungen müssen gefühlt bewertet werden können. Carlsen ist auch aktueller Schnellschach-Weltmeister, Karjakin gewann den Titel vor vier Jahren.

Unsinnig ist es ebenso, diese Weltmeisterschaft zu politisieren: West gegen Ost, die freie Welt gegen die russische Dominanz, ein Revival von 1972, als Bobby Fischer in Reykjavik gegen Boris Spassky gewann. Ja, es stimmt, Karjakin wurde auf der Krim geboren, nahm die russische Staatsangehörigkeit erst später an, verehrt Wladimir Putin. Aber Russland dominiert schon längst nicht mehr das Weltschachgeschehen. Unter den Top-30-Spielern der Weltrangliste stammen nur sieben aus Russland. Andere Nationen wachsen nach – Indien, China, Iran.

Was ebenfalls wächst, sind die globalen Fertigkeiten des Hackens. Heutzutage haben alle Spitzenspieler ihre Analysen digital gespeichert. Das macht sie verwundbar. Sowohl Carlsen als auch Karjakin nutzen die Hilfe von IT-Experten, um ihr geistiges Eigentum zu sichern.

Schach auf diesem Niveau ist Hochleistungssport. Deshalb sinkt stetig das Durchschnittsalter der besten Spieler. Carlsen und Karjakin wurden schon als Kinder zu Großmeistern. Wer oft länger als sechs Stunden die wichtigsten Varianten einer Partie weit voraus berechnen muss, darf in keiner Sekunde unaufmerksam sein. Der letzte Fehler verliert. Die Zeiten, als man mit fünfzig oder gar sechzig Jahren noch Weltmeister werden kann, sind womöglich endgültig vorbei.

Carlsen gegen Karjakin: Das war knapp. Da ist das letzte Wort wohl noch nicht gesprochen. Carlsen wurde in New York gerade rechtzeitig wieder zum Tiger. Karjakin muss zeigen, dass er an einer solchen Niederlage nicht zerbricht. Eine Fortsetzung sollte folgen.

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