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Sport - 17.01.2019

Biathlon, ein Fernsehmärchen

Biathlon ist nach Fußball und Formel 1 die drittpopulärste Fernsehsportart der Deutschen. Auch weil die Sender die Rennen als Gesamtkunstwerk inszenieren.

Schaltzentrale der Biathlon-Sendungen. Im Übertragungswagen führt Regisseur Rainer Rosenbaum (Zweiter von links) die…

Es ist wieder bunt im mährischen Wald. Zehntausende Zuschauer strömen mit ihren leuchtenden Fahnen, Mützen und Plakaten in Nove Mesto zum Biathlon-Weltcup. An diesem Sonntag werden in der tschechischen Kleinstadt sogar mehr als 30 000 Besucher erwartet, die dann an der Strecke und am Schießstand die Massenstart-Rennen verfolgen. Dabei sind die Bedingungen alles andere als einladend. Bei Minusgraden im Wald zu frieren und darauf zu warten, dass die Biathleten auf ihrer Runde kurz vorbeihuschen, ist eigentlich alles andere als attraktiv. So wenig wie die Aussicht auf den windigen Plätzen der hohen Stadiontribünen. Von dort kann niemand mit dem bloßen Auge erkennen, ob die Biathleten ihre Scheiben treffen.

Trotz dieser schwierigen Konstellation für die Fans vor Ort: Biathlon wird immer beliebter. Und das liegt vor allem daran, dass die Zuschauer diesen Wintersport mittlerweile aus jeder nur erdenklichen Perspektive und aus nächster Nähe betrachten können – im Fernsehen. Sie sehen ganz genau, ob der Biathlet sein Gewehr unruhig hält. Sie sehen ganz genau, wo der Schuss einschlägt. Sie sehen ganz genau, wie sich die Athleten den Anstieg hochquälen. Nahezu jedes Detail der oft unübersichtlichen Rennen wird durch die Übertragungen perfekt inszeniert und ausgeleuchtet. Für die Zuschauer zu Hause vor dem Fernseher und für das Publikum vor Ort, das alles auf Großbildleinwänden mitbekommt.

Biathlon ist in Deutschland der mit Abstand beliebteste Fernseh-Wintersport. Die Einschaltquoten sind enorm hoch und stiegen im vergangenen Winter erneut. Da verfolgten in der ARD durchschnittlich vier Millionen Menschen die Weltcups, bei einem Marktanteil von fast 25 Prozent. Beim meistgesehenen Rennen, der Männer-Staffel in Antholz, schalteten im Schnitt fast sechs Millionen Zuschauer ein. Zum Vergleich: Die Sportschau am Samstag mit den Berichten zur Fußball-Bundesliga schauten in der Vorsaison durchschnittlich rund fünf Millionen Menschen.

Aus jeder Perspektive. Wo auch immer die Biathleten schießen und laufen, die Fernsehkameras sind dabei.

Hinter Fußball und Formel 1 ist Biathlon hierzulande die TV-Sportart Nummer drei. Und die Liebe der Deutschen zum Biathlon kennt derzeit offenbar keine Grenzen. Aber nicht, weil etwa so viele selbst die Sportart betreiben. Und es liegt auch nicht allein daran, dass die deutschen Biathleten oft gewinnen. Dann wäre Rodeln der Quotenkönig. Biathlon ist so erfolgreich, weil es zwei so unterschiedliche Disziplinen wie Langlaufen und Schießen verbindet und darum so unberechenbar ist. Die Spannung bleibt bis zum letzten Schuss. Das sind perfekte Zutaten für das Fernsehen. Und so zieht Biathlon vor allem deshalb so viele Menschen in seinen Bann, weil die Wettkämpfe in all ihren Facetten nur vom Fernsehen dargestellt werden können. Es ist der perfekte TV-Sport. Ohne das Fernsehen wäre Biathlon nie so groß geworden.

„Biathlon ist ein Gesamtkunstwerk“, sagt Mirko Erbach. Der 53-Jährige koordiniert als Produktionsleiter des RBB die Biathlon-Übertragungen der ARD. Im Wechsel mit dem ZDF zeigen die beiden öffentlich-rechtlichen Sender alle Weltcups live. Aus Nove Mesto überträgt derzeit die ARD. Und um das Gesamtkunstwerk auch in voller Pracht präsentieren zu können, betreibt der RBB, der innerhalb der ARD für Biathlon verantwortlich ist, enorm großen Aufwand.

Mit einem Team von 50 Mitarbeitern ist der Sender vor Ort: Redakteure, Kameraleute, Techniker, Moderatoren. Mit einem Übertragungswagen so groß wie ein Lkw-Anhänger sowie einem eigenen Schnittmobil. Zusätzlich zu den 38 Kameras des tschechischen Fernsehens für das Weltbild der Rennen in Nove Mesto hat der RBB neun eigene Kameras dabei. Drei davon sind am Schießstand installiert, um während der Übertragung den deutschen Biathleten beim Schießen ins angespannte Gesicht schauen zu können und gleichzeitig die Scheiben in Großeinstellung zu filmen, ob sie nun getroffen werden oder nicht. Auch diese Nähe ist nur durch das Fernsehen möglich.

So aufwendig wie die Öffentlich-Rechtlichen aus Deutschland begleitet kein anderer TV-Sender Biathlon. Lediglich das norwegische Fernsehen kann da noch mithalten. Den RBB kostet eine Weltcup-Station laut Erbach einen sechsstelligen Betrag. „Aber die Quote und der Erfolg rechtfertigen das“, sagt er.

Alles geht Schlag auf Schlag

Die Schaltzentrale für den Erfolg der Biathlon-Sendungen ist der Übertragungswagen. Dort sitzt während der Rennen Regisseur Rainer Rosenbaum vor 21 flackernden Bildschirmen. Neben und hinter ihm hantieren sechs weitere Kollegen in dem engen dunklen Raum an Reglern und Tastaturen: um die Bilder zu mischen, um Höhepunkte und Skurriles abseits des Rennens zusammenzuschneiden, um die Laufzeiten zu analysieren und Grafiken zu erstellen. Jeder hat dabei noch eigene Bildschirme vor der Nase. Es wird viel durcheinandergeredet.

Der in sich ruhende Rosenbaum berlinert über Funk mit den Kameraleuten und schickt sie im Stadion hin und her: vom Aufwärmbereich zum Start zum Schießstand. Besonders während der Sprint- und Einzelrennen passiert in so kurzer Zeit so viel parallel. Da kann nur das Fernsehen mit all den Kameras an allen Orten der Strecke den Überblick behalten.

Während die ersten Biathleten das Schießen absolvieren, bereiten sich die Favoriten noch auf das Rennen vor. Während die einen in der Strafrunde laufen, stehen die Favoriten am Schießstand. Während einige schon ins Ziel kommen, rauschen die Favoriten eine Abfahrt hinunter. Alles geht Schlag auf Schlag. Überall sind die Kameras dabei. Wenn Stars wie Laura Dahlmeier schießen, kommen die Nahaufnahme und die Zusatzkamera für die Scheiben zum Einsatz. Sie vermitteln ein Gefühl, als würde der Zuschauer selbst zielen.

Rosenbaum schaltet von einem Bild zum anderen. Pausen gibt es nicht. Durch die enge Taktung wird der unübersichtliche Wettkampf kurzweilig. Das gleichzeitige Schießen der einen, das Laufen der anderen. Und zwischendurch gibt es schon die ersten Interviews von den Biathleten, die bereits im Ziel sind. Obendrauf streut Rosenbaum noch ein paar Landschaftsbilder ein, außerdem jubelnde Fans, umhertollende Kinder und bibbernde Hunde. Aus diesem Überangebot der Bilder kreiert der 57-Jährige mit seinem Team ein unglaublich dynamisches Sportereignis. Dagegen ist es für den Stadionbesucher vor Ort unmöglich, alles genau zu verfolgen.

Angereichert wird die Übertragung für die Fernsehzuschauer mit vorbildlichem Kundenservice. Zuschauerfragen werden vom TV-Kommentator sofort beantwortet. Nach den Rennen werden die Trefferbilder und Laufzeiten mit der ehemaligen Biathletin Kati Wilhelm analysiert. Als Expertin erklärt sie zudem in Einspielfilmen jede Feinheit ihrer Sportart. Und zusätzlich bietet die ARD sogar ein Biathlon-Tippspiel an, an dem mehr als 10 000 Fans teilnehmen. Es ist ein Rundum-sorglos-Paket für die Zuschauer. Und sie danken es mit beständig hohen Einschaltquoten.

Die Sonderstellung, die Biathlon mittlerweile innehat, haben zu großen Teilen die Öffentlich-Rechtlichen geschaffen. Sie haben den Aufstieg stark vorangetrieben. Seitdem Biathlon hierzulande wächst, ist der RBB dabei. 1997 übernahm der damalige ORB innerhalb der ARD-Anstalten die Biathlon-Rechte vom Bayerischen Rundfunk, weil kein anderer wollte. Zunächst wurden nur die deutschen Weltcups und Weltmeisterschaften live gezeigt. Aber die technische Entwicklung und die deutschen Erfolge erhöhten die Popularität extrem. Mit besseren Kameras am Schießstand und Zeitlupen vom Repetieren wirken die Aktionen noch spektakulärer. Mit schnellen Kamerafahrten entlang der Strecke erscheinen die Langlaufpassagen inzwischen noch rasanter. Außerdem führte der Biathlon-Weltverband IBU noch telegenere Wettkampfformate wie die Verfolgung und das Massenstartrennen ein, die mehr direkte Duelle bieten. Und als Krönung katapultierte nach Uschi Disl und Kati Wilhelm schließlich Magdalena Neuner den Biathlon-Hype hierzulande in ganz neue Höhen.

Ein Ende des Biathlon-Booms ist nicht in Sicht. Derzeit befeuert ihn Laura Dahlmeier. Auch bei ihr sind die Fernsehkameras immer ganz nah dran. Denn ohne die geht nichts im Biathlon.

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