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Sport - 03.11.2018

„Dann schaukelt es sich noch weiter hoch“

Der Leiter des Fanprojekts Berlin über Herthas Verbote vor dem Heimspiel gegen RB Leipzig und die Eiszeit zwischen Fans und dem Verein.

Pyrotechnik und Fahnen. So sah es in Dortmund im Hertha-Block aus. Nun gibt es Beschränkungen.

Herr Busch, Hertha BSC hat für das Spiel gegen RB Leipzig fast alle Fanutensilien verboten. Eine nachvollziehbare Maßnahme?

Hertha musste reagieren. Dass Doppelhalter verboten werden, deren Stangen in Dortmund gegen die Polizei eingesetzt worden waren, kann ich nachvollziehen. Das Verbot reicht aber sehr weit.

Es kam aufgrund der Geschehnisse am vergangenen Wochenende beim BVB zustande. Wie ist ihre Einschätzung dazu?

Mein Kollege Thomas Jelinski war vor Ort. Er ist seit 25 Jahren bei Auswärtsspielen von Hertha dabei und sagt, dass er so etwas wie den Polizeieinsatz im Gästeblock nach dem Abbrennen der Pyrotechnik noch nie erlebt hat. Auch für mich ist es nicht nachvollziehbar. Dadurch kam eine Kette in Gang. Überhaupt nicht zu tolerieren sind Angriffe auf die Polizei und Vandalismus. Es gab viele Beschwerdemails an Hertha von anderen Anhängern über das Verhalten der Ultras. Da wurde wieder deutlich: Sie sind weitgehend anerkannt, aber es wird bei weitem nicht alles mitgetragen.

Was wäre eine Alternative zu den jetzt beschlossenen Verboten gewesen?

Es gab einmal die Vorgabe, Spruchbänder vom Klub genehmigen zu lassen. Das hätte ich auch diesmal besser gefunden. Außerdem sollen die Maßnahmen bis auf Weiteres gelten. Meiner Meinung nach wäre es für einen festgelegten Zeitraum sinnvoller gewesen, um innezuhalten.

Und nach der von Ihnen vorgeschlagenen Zäsur?

Die Kunst ist nicht, in guten Zeiten miteinander zu sprechen, sondern in schwierigen. Unsere Hoffnung als Fanprojekt ist, dass der vor einiger Zeit abgebrochene Dialog zwischen Fans und Verein wieder aufgenommen wird. Ein Angebot von Hertha liegt seit kurzem vor. Sonst droht eine weitere Verhärtung. Sollten alle Seiten wieder miteinander reden, könnte der Austausch besser werden.

Inwiefern?

Bisher war vieles sehr unverbindlich. Dass das wenig erfolgreich war, haben alle gemerkt. Es müssten Erwartungen deutlicher formuliert und die Frage erörtert werden: Wo finden wir einen Konsens und wo nicht? Stillstand, wie er derzeit herrscht, ist nicht gut.

Ralf Busch, 56, leitet das 1990 gegründete Fanprojekt Berlin seit 25 Jahren. Das Fanprojekt arbeitet mit Anhängern von Hertha BSC…

Aus Fankreisen sind teils sehr martialische Worte als Antwort auf Herthas Verbote für das jetzige Spiel gegen RB Leipzig zu hören.

Wir sind generell für eine sprachliche Abrüstung auf allen Seiten. Bei Vereinen, Polizei und Fans. Es ist wie gesagt vollkommen verständlich, dass Hertha reagiert. Aber natürlich besteht die Gefahr, dass Fans das – um beim Stichwort martialische Begriffe zu bleiben – als Kriegserklärung auffassen und sich Kräfte durchsetzen, die sagen: Mit dem Klub ist gar nicht mehr zu reden. Dann schaukelt es sich noch weiter hoch.

Mit welchen Reaktionen rechnen Sie gegen Leipzig im Olympiastadion?

Das ist Kaffeesatzleserei. Es kann viel passieren. Vielleicht gehen die Ultras gar nicht ins Stadion, vielleicht verzichten sie auf jegliche Anfeuerung.

In Hannover gab es in der vergangenen Saison aus Protest gegen Klubchef Martin Kind einen langen Stimmungsboykott der Ultras. Ist das in Berlin auch zu erwarten?

Ich glaube nicht, dass wir kurz vor Hannoveraner Verhältnissen stehen. Das kann keiner wollen. Momentan gibt es auch in der Ultra-Szene viele Stimmen, viele Meinungen.

Die Probleme zwischen Teilen der Fanszene und dem Verein gibt es nicht erst seit den Vorfällen von Dortmund. Vor allem Paul Keuter, verantwortlich für Digitalisierung, steht im Mittelpunkt der Kritik.

Da sind zuletzt Grenzen überschritten worden, beispielsweise mit dem Farbanschlag auf Keuters Wohnhaus. Generell muss sich der Verein weiterentwickeln. Grundsätzlich wird das von den meisten Fans mitgetragen. Aber sie wollen ernstgenommen werden. Ich denke, dass Hertha manches falsch eingeschätzt hat.

Was meinen Sie?

Frank Zanders Hymne. Da hat der Verein die Reaktion völlig unterschätzt. Ich habe mich vor dem Spiel gegen Nürnberg in den Familienblock gestellt.

Und?

Alle im Block haben „Nur nach Hause“ gesungen, während Seeed lief. Nicht nur die Ostkurve wollte Zanders Hymne behalten.

Sie arbeiten in Berlin seit mehr als zwei Jahrzehnten mit Fans zusammen. Gab es eine Situation wie derzeit bei Hertha BSC schon einmal?

In Berlin gab es Höhen und Tiefen im Verhältnis zwischen Fans und Verein. Aber alle Beteiligten haben es stets geschafft, wieder in den Dialog zu kommen. Das lässt uns auch in der aktuellen Situation für die Zukunft hoffen.

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