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Sport - 30.11.2018

Der Fußball kapituliert vor der Gewalt

Das Rückspiel im Finale um die Copa Libertadores ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Spieler sprechen von Krieg.

Frage der Weltanschauung. Über 100 Menschen haben bei den Auseinandersetzungen bereits ihr Leben gelassen.

Es ist Samstag gegen 15 Uhr, als Argentiniens Fußball seine hässlichste Fratze zeigt. Als die in Rot-Weiß-Schwarz gekleideten Fans von River Plate den blau-gelben Mannschaftsbus der Boca Juniors attackieren. Steine fliegen, Scheiben zersplittern, Spieler werden verletzt und der Busfahrer tritt auf das Gaspedal. Alles, bloß nicht stehen bleiben. „Es fühlte sich wie Krieg an“, sagt Bocas Kapitän Pablo Perez, der mit einem Glassplitter im Auge ins Krankenhaus muss.

Der Krieg ist am Montag abgesagt worden, aber wer will das schon als positives Zeichen sehen? Zweimal hat der südamerikanische Verband Conmebol das Rückspiel im Finale um die Copa Libertadores neu angesetzt. Und jetzt erst einmal bis auf unbestimmte Zeit verschoben. Nichts geht mehr. In Argentinien kapituliert der Fußball vor der Gewalt.

Die Copa Libertadores ist der größte Wettbewerb des südamerikanischen Fußballs, so wichtig wie in Europa die Champions League, mindestens. Boca gegen River, das ist mehr als Arm gegen Reich, italienische Hafenarbeiter aus dem Viertel La Boca gegen „Los Millionarios“, die Millionäre aus dem mondänen Stadtteil Belgrano. In Argentinien ist der Superclasico zwischen den Boca Juniors und River Plate eine Frage der Weltanschauung. Immer ist Emotion im Spiel, bis hin zur nackten Gewalt. Diego Maradona – er hatte ein Angebot von River und ging zu Boca – beschreibt die Rivalität in der ihm eigenen Weise: „Gegen River zu gewinnen ist so, als würdest du mit Julia Roberts ins Bett gehen.“

Dann kommt diese Nachricht. Und viele Gerüchte kommen dazu

Maradona arbeitet gerade als Trainer in der zweiten mexikanischen Liga und hat das Drama nur aus der Ferne verfolgt. Wie Boca Anfang November im Hinspiel daheim in der Bombonera nur ein 2:2 schafft. Wie Buenos Aires dem Rückspiel in Rives Estadio Monumental entgegenfiebert, obwohl die Stadt doch so oft und schwer unter dem Superclasico gelitten hat. Mehr als 100 Menschen haben bei den Auseinandersetzungen beider Klubs schon ihr Leben gelassen.

So leidenschaftlich und verliebt die Argentinier in ihren Fußball sind, so sehr hadert das Land mit gewaltbereiten Fans und Krawallen. Touristen werden darauf hingewiesen, nicht zum Fußball zu fahren, ja La Boca am besten komplett zu meiden. „Die haben Messer“, sagt ein Passant auf der Straße. „Passt bloß auf!“

Video26.11.2018, 13:54 Uhr01:36 Min.Chaos in Buenos Aires: Ungewissheit um das Copa-Finale

Dann kommt diese Nachricht. Und viele Nachrichten und Gerüchte kommen dazu. Das Spiel soll stattfinden, im Internet kursiert ein Arztbericht, der die Unversehrtheit der Spieler bescheinigt. Gleichzeitig zeigen Fotos auf Instagram die Spieler Perez und Gonzalo Lamardo mit dicken Augenbinden. Es heißt, Gianni Infantino, der Präsident des Weltverbandes Fifa, habe Boca mit der Suspendierung gedroht für den Fall, dass die Mannschaft nicht antreten werden. Er lässt das umgehend dementieren. Infantinos Statthalter von der Conmebol kündigen an, das Spiel um eine Stunde zu verschieben. Dreimal ziehen die Spieler die Trikots an und wieder aus. Bocas Altstar Carlos Tevez sagt in einem Interview. „Was die Conmebol getan hat ist peinlich. Wenn sie mich suspendieren wollen, ist das okay. Sollen sie diese Trophäe an River geben, sollen sie verdammt nochmal machen, was sie wollen.“

Die Fans in La Boca schwanken. Als endlich Klarheit herrscht, haut einer nochmal mit der flachen Hand auf den Tisch. Dann gehen sie nach Hause. Das volle Bier bleibt in den leeren Kneipen zurück. Hier ist alles friedlich. Vor dem Stadion, einige Kilometer entfernt, wird weitergekämpft. „Keine Ahnung, warum das morgen anders sein sollte“, sagt einer. „Oder irgendwann.“

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