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Sport - 11.07.2019

Ein Märchen aus Madagaskar

Madagaskar nimmt erstmals am Afrika-Cup teil – und zieht prompt ins Viertelfinale ein. Maßgeblich verantwortlich dafür ist ein „göttlicher Kahlkopf“.

Hier sind wir! Madagaskar steht sensationell im Viertelfinale des Afrika-Cups.

Die jungen Männer auf Madagaskar lieben diesen Kampfsport, bei dem ohne Waffen zu begleitender Musik gerungen wird. Wer beim Moraingy gewinnt, der gilt etwas auf der viertgrößten Insel der Welt. Doch in diesen Tagen spielt der Ringkampf kaum eine Rolle. Die Menschen des 25-Millionen-Einwohner-Staates schauen gebannt nach Ägypten, wo ihr Fußballteam gerade an einer der größten Sensationen des Fußballs werkelt.

Schon die Qualifikation für die Endrunde des Afrika-Cups 2019 war für die „Barea“, die „Buckelrinder“, wie sich selbst nennen, eine enorme Überraschung. Und jetzt, nach Siegen in der Gruppenphase gegen Burundi und Fußball-Großmacht Nigeria sowie dem Triumph über die Demokratische Republik Kongo im Achtelfinale steht der krasse Außenseiter plötzlich unter den besten Acht des Turniers. Bei einem Einzug ins Halbfinale stünden sie plötzlich auf einer Stufe mit Nigeria oder dem Senegal um Liverpool-Star Sadio Mané, die es schon am Mittwochabend in die Vorschlussrunde geschafft haben.

Im Stadium von Kairo geht es am Donnerstagabend gegen Tunesien. Und manch einer träumt schon vom absoluten Triumph: „Die Söhne unseres Landes haben uns stolz gemacht. Ich glaube, dass sie das Turnier sogar gewinnen können“, sagt Staatspräsident Andry Rajoelina, der sich gemeinsam mit rund 400 Fans zum Achtelfinalspiel hatte einfliegen lassen.

Sie glauben mittlerweile an ein Fußballwunder auf Madagaskar, weil sie ihn haben: Nicolas Dupuis. Ihren „göttliche Kahlkopf“, wie sie ihn liebevoll nennen. 2016 war es, da besuchte der 51-Jährige Franzose erstmals die ehemalige französische Kolonie im Indischen Ozean. Zwölf Monate später war er, der bislang in Frankreich als Spieler und Trainer nie über die Vierte Liga hinausgekommen war, Nationaltrainer.

Konkurrenz gab es nicht, denn der Fußballverband Madagaskars ist nicht gerade das, was sich große Trainer erträumen: „Als ich kam, gab’s kein professionelles Team, kein Trainingsmaterial, kein Geld“, beschreibt Dupuis. Vor einem Qualifikationsspiel gegen den Senegal musste das Team gemeinsam in einem Stall übernachten, zum Auswärtsspiel in den Sudan reiste das Team in bunter Formation. Man hatte noch nicht einmal einheitliche Trainingsanzüge.

Französischer Zweitliga-Stürmer ist der Star

Kapitän Faneva Andriatsima, als Stürmer des französischen Zweitligisten Clermont Ferand so etwas wie der Star des Teams, verkaufte vor dem Turnier eigenmächtig 600 Teamtrikots. Mit den Einnahmen organisierte er Trainingsmaterialien. Dupuis übernahm dennoch. Er witterte: Hier liegt eine große Chance für einen bisher namenlosen Trainer. Um sich die Sache leisten zu können, übernahm er parallel den Trainerjob beim französischen Viertligisten FC Fleury. „Musste ich machen, denn das Gehalt in Madagaskar reicht zum Leben nicht aus“, erklärte er.

Dupuis machte sich also in der Hauptstadt Antananarivo an die Arbeit: Zog die besten Spieler aus der einheimischen Amateurliga zusammen, schaute sich auf der Nachbarinsel Reunion nach Talenten um. Und er bediente sich in Frankreich. Dort fand er in unteren Ligen Spieler mit malegassischen Wurzeln wie Thomas Fontaine, Jerome Mombris, Roman Metarire und Jeremy Morel. Er zog die Jungs zusammen und formte innerhalb eines Jahres ein funktionierendes Team. Im Oktober 2018 qualifizierte sich Madagaskar mit einem 1:0-Sieg über Äquatorialguinea zum ersten Mal überhaupt für den Afrika-Cup. Schon damals sprachen sie auf der Insel ehrfurchtsvoll vom „weißen Zauberer“ aus Frankreich.

Der göttliche Kahlkopf. Nicolas Dupuis führte Madagaskar erstmals zum Afrika-Cup.

Und nun das: Viertelfinale. Nigeria geschlagen. Den Kongo bezwungen. Riesige Fußballnationen, eigentlich übermächtig. „Wir haben in der Vorbereitung hart gearbeitet“, begründet Dupuis selbst den Erfolg. In den letzten vier Wochen vor dem Turnier hat er durchgängig zweimal pro Tag trainieren lassen. Immer wieder mussten seine Spieler theoretische Abläufe auf dem Platz umsetzen. Akribische Arbeit.

„Wir bevorzugen Ballbesitzfußball. Ist der Ball einmal verloren, müssen wir die Abstände so gering halten, dass der Gegner keine Luft zum Atmen hat“, beschreibt Dupuis seine Idee. „Ich glaube, dass wir eines der fittesten Teams hier sind“, sagt Kapitän Andriatsima. Aber auch er führt den Erfolg hauptsächlich auf den „göttlichen Kahlkopf“ zurück. „Der Trainer hat uns verwandelt. Er hat aus jedem Einzelnen das Beste herausgeholt. Er ist streng, aber sehr emotional. Das hat uns alle mitgerissen“, beschreibt er.

Streng, emotional, aber auch realistisch. „Es wird immer schwieriger für uns. Es unterschätzt uns jetzt keiner mehr, die Gegner haben uns analysiert“, sagt Dupuis. Aber unabhängig davon, wie die Partie gegen Tuneisen ausgeht, findet er: „Wir haben hier als Team Unglaubliches erreicht. Unseren ganz eigenen Afrika-Cup haben wir eigentlich schon gewonnen.“

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