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Sport - 11.01.2019

Finn Lemke als Säule: Alles auf Abwehr

Bei der Heim-WM kommt Defensivspezialist Finn Lemke eine besondere Rolle im Nationalteam zu.

Auf dem Boden der Tatsachen: Deutschlands Abwehrchef Finn Lemke (2. von rechts) bejubelt eine gelungene Aktion.

Am Dienstag hat Deutschlands Handball-Nationalmannschaft ihr Quartier in Berlin bezogen, für die nächsten acht Tage wohnt das Team in einem Fünf-Sterne-Hotel am Potsdamer Platz. „Wirklich ideale Bedingungen“ habe man vorgefunden, berichtete Bundestrainer Christian Prokop am Morgen danach. Nur für die ganz langen Kerle im Kader gestaltet sich die Sache mitunter schwierig. Finn Lemke etwa bräuchte mit seinen 2,10 Metern eigentlich ein speziell angefertigtes Hotelbett – so wie die Mehrzahl der Basketballer beim letzten großen Turnier in Berlin, der Europameisterschaft 2015. Für Lemke ist das allerdings kein großes Problem mehr. „Ich habe mich längst daran gewöhnt, dass meine Füße hinten drüber gucken“, erzählt er am Mittwoch in einer Reporterrunde, aus der er wie ein Leuchtturm herausragt.

Lemke selbst mag den Begriff „Abwehrchef“ nicht

Wenn Gastgeber Deutschland am Donnerstag gegen das vereinte Team aus Korea in die WM startet (18.15 Uhr, Arena am Ostbahnhof und live im ZDF), wird Lemke eine ganz besondere Rolle zukommen. Der Bremer, seit zwei Jahren bei der MT Melsungen angestellt, ist gewissermaßen der Verteidigungsminister im Team, der Abwehrchef. Ihm selbst gefällt das Wort zwar nicht, pflichtschuldig verweist er auf seine Kollegen Patrick Wiencek und Hendrik Pekeler vom THW Kiel, mit denen er den Mittelblock bilden wird – das Herzstück jeder guten Handball-Mannschaft. Sein persönlicher Wert für das Team steht allerdings außer Frage. Vor einem Jahr, bei der EM in Kroatien, entbrannte an der Nicht-Berufung Lemkes noch ein interner Streit, der das deutsche Team durch das ganze Turnier begleitete. Auch seine Nachnominierung konnte die Risse nicht mehr kitten.

Diesmal ist Lemke von Beginn an dabei und kann den Startschuss kaum erwarten. „Eine Weltmeisterschaft im eigenen Land – mehr geht nicht“, sagt der 26-Jährige. An den letzten deutschen WM-Triumph vor zwölf Jahren hat er nur rudimentäre Erinnerungen. „Ich habe das verfolgt, keine Frage“, sagt er, „aber ich habe damals überhaupt nicht verstanden, was alles dazugehört Nationalspieler zu sein und welche Bedeutung so ein Turnier für die Öffentlichkeit hat.“ Mehr als 900 Journalisten haben sich für die WM akkreditiert, die zum ersten Mal in zwei Ländern ausgetragen wird, neben Deutschland auch in Dänemark.

Geht dahin, wo es weh tut: Finn Lemke (links) will den gegnerischen Angreifern den Spaß nehmen

Bei ihrer Heim-WM haben sich die Nationalspieler und ihr Bundestrainer vor allem eines vorgenommen. Sie wollen als Kollektiv überzeugen, als verschworener Haufen, und den achten Mann entfesseln: das Publikum. „Für uns wird es auf ganz viele Kleinigkeiten ankommen: wie wir die Zweikämpfe annehmen, wie die Bank mitgeht, wie oft wir miteinander abklatschen“, sagt Bundestrainer Prokop. Natürlich werde er es nicht verbieten, wenn Andreas Wolff oder Silvio Heinevetter das Tor vernageln oder die Rückraumschützen und Außen all ihre Würfe treffen. „Aber die Mannschaft steht über allem, das wird uns auszeichnen.“

Die Abwehr war auch beim EM-Triumph 2016 die große deutsche Stärke

Lemke betont allerdings, „dass wir mehr brauchen werden als eine gute Abwehr“. Ein Torhütergespann zum Beispiel, das von Beginn an präsent ist, mitreißt, emotionalisiert. Wenn die Keeper in Form sind und das Zusammenspiel mit der Abwehr funktioniert, ergeben sich erfahrungsgemäß auch Möglichkeiten für Treffer im Gegenstoß, für sogenannte einfache Tore: ein Spieler läuft auf den gegnerischen Keeper zu, alle anderen dürfen im Hochgeschwindigkeitssport Handball zumindest für einen Augenblick, für ein paar Sekunden durchatmen. Das Ganze hat auch einen psychologischen und zermürbenden Effekt. „Ich kenne keine Bundesliga-Halle, die man nicht mit Kontertoren zum Ausrasten bringt“, sagt Prokop, vor seinem Aufstieg zum Bundestrainer Coach beim SC DHfK Leipzig. Die Abwehr – sie war auch beim letzten großen Triumph deutscher Handballer, beim EM-Sieg 2016, die größte Stärke des Teams: Im Finale von Krakau ließ Andreas Wolff in Halbzeit eins seinerzeit ganze sechs Tore zu.

In Polen ging auch der Stern Finn Lemkes als Abwehrspezialist auf. Wie die meisten seiner Kollegen zählte er zu den jungen Kerlen, die vorher kaum jemand kann und hinterher alle abfeierten. Lemke nahm es im Verlauf des Turniers mit allen Größen seines Sports aus, von Mikkel Hansen bis Raúl Entrerríos, und lieferte sich schöne Wortgefechte mit den jeweiligen Starspielern. Manchmal passte kein Blatt Papier zwischen die Nasen der beteiligten Streithähne.

Herausragend: Finn Lemke besticht nicht nur durch seine Körpergröße, sondern vor allem durch seine Qualitäten in der Defensive

Rein pyhsisch ist und bleibt Lemke eine beeindruckende Erscheinung, der man am liebsten nicht allein im Dunkeln begegnen möchte. Hinter der harten Fassade steckt allerdings ein weicher Kern. Neben seiner Handball-Karriere hat Lemke Soziale Arbeit studiert, in Behinderten-Werkstätten gearbeitet. Das habe seinen Blick geweitet, „dieses stereotype Profidasein liegt mir nicht“, hat er einmal erzählt. So nett und zuvorkommend er abseits des Handball-Feldes ist, so rigoros und kompromisslos ist er auf der Platte.

Nur an einer Sache, das hat sich Lemke vorgenommen, will er weiter arbeiten: an seinem Offensivspiel. „Man soll es kaum glauben, aber Tore zu werfen, macht auch mir großen Spaß“, sagt er. „Vielleicht schaffe ich es ja, im Turnier einmal zu treffen.“ Selbst wenn das nicht klappt, könnte der allseits anerkannte Teamplayer Lemke wohl gut damit leben.

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