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Sport - 21.03.2019

Licht im Kölner Keller

Der Videobeweis soll auch in der Zweiten Liga zum Einsatz kommen. Die Verantwortlichen wollen vor allem eines: weg vom schlechten Image. Ein Ortstermin.

Männer in Funktionskleidung. Die Video-Assistenten bei der Arbeit im Kölner Studio.

Über den Keller in Köln, das Reich des Videoassistenten, ist in der Fußball-Bundesliga viel geschimpft worden. Fans, Spieler, Trainer – alle hadern sie regelmäßig mit dem Prozedere, in der die Technik des Videobeweises seit der Saison 2017/18 eingesetzt wird. Dem Videoassistenten wird Aktionismus vorgeworfen, Ahnungslosigkeit oder gar, er erledige seine Arbeit bei Bier und Chips in einem dunklen Keller. Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) und der Deutsche Fußball-Bund (DFB) sind davon genervt. „Wir wollen das Image des dunklen Kellers loswerden“, sagt der ehemalige Schiedsrichter Jochen Drees, „Projektleiter Videobeweis” beim DFB. Zumal an diesem Donnerstag Vertreter der Zweitligisten darüber abstimmen, ob auch sie künftig den Videobeweis einsetzen.

Bei der Bekämpfung des schlechten Rufs setzt Drees auf mehr Transparenz. Gruppenweise haben DFL und DFB deshalb zuletzt Journalisten zur Besichtigung des Kölner Kellers eingeladen, der in Wahrheit ein modernes und geräumiges Fernsehstudio im Untergeschoss der Produktionsfirma CBC im Kölner Stadtteil Deutz ist. Sämtliche Bilder der Bundesliga laufen dort per Glasfaserkabel auf. Demonstriert werden soll den Besuchern nicht nur, dass beim Videobeweis alles mit rechten Dingen zugeht. Sondern auch, dass dort, wie Drees betont, „Menschen hart dafür arbeiten, dass der Fußball fairer und gerechter wird.“

Es ist ein Sonntagnachmittag im März, das Spiel Hoffenheim gegen Nürnberg steht auf dem Plan. Bundesliga-Schiedsrichter Guido Winkmann, an diesem Tag als Video Assistant Referee (VAR) im Einsatz, setzt sich vor seine vier Monitore. Bis auf Günter Perl, der die Altersgrenze von 47 Jahren überschritten hat, sind alle Videoassistenten aktive Bundesliga-Schiedsrichter. Winkmann trägt wie der Assistent des Video-Assistenten (AVA), Martin Thomsen, die typische Funktionskleidung, mit der die Referees die Spiele auf dem Platz leiten. „Das habe ich von der WM in Russland als Impuls mitgenommen. Es zeigt, dass es ein Schiedsrichterteam ist, zu dem auch die beiden Videoassistenten gehören“, sagt Drees.

Verbindung auf Knopfdruck

Die Videoassistenten haben zwei Helfer, Operatoren, die ihnen während des Spiels die Bilder zuspielen, die überprüft werden sollen. In der Regel gibt es 19 bis 21 Kameraperspektiven, die eingespeist werden können. Oben läuft das Livebild. Unten werden auf einem Touchscreen-Monitor vier Kameraperspektiven gezeigt – per Hand kann gezoomt werden. Daneben läuft ein weiteres, um drei Sekunden verzögertes Livebild. Sechs dieser Arbeitsplätze gibt es in Köln. An Spieltagen mit neun gleichzeitigen Partien kommen drei Studio-Vans vor Stadien hinzu.

Das Spiel wird angepfiffen, die Männer in Köln sind per Funk mit Schiedsrichter Christian Dingert und seinen Assistenten in Hoffenheim verbunden, hören deren Gespräche ständig mit. Kommunikation zwischen Köln und dem Stadion kann auf beiden Seiten per Knopfdruck hergestellt werden. In anderen Sportarten, etwa im Eishockey, wird in Deutschland lediglich Tor oder kein Tor gecheckt, im Fußball fast das ganze Spiel. Torentscheidungen, Abseits, Rote Karte, Elfmeter, Verwechslung von Spielern.

Auch bei „serious missed incidents“, gemeint sind Fouls oder Tätlichkeiten, die der Schiedsrichter nicht sehen konnte, greift der Videoassistent ein. Das letzte Wort hat immer der Referee im Stadion. Schon in der vierten Minute bricht Aufregung aus. Dingert pfeift Elfmeter, Ewerton (Nürnberg) hat im Strafraum gegrätscht, Andrej Kramaric (Hoffenheim) ist hingefallen. Der Referee erklärt: „Männer, für mich ist es so, dass der Nürnberger nicht den Ball spielt, deshalb gebe ich Elfmeter.“ Winkmann ist skeptisch und überprüft die Sache. „Hintertor, ich brauche die Kamera von hinten“, sagt er zu den Operatoren. Und an Dingert: „Warten, warten, warten.“

Von wegen Chips und Cola

Der Video Assistant Referee soll nur dann den Videobeweis empfehlen, wenn er eine klare Fehlwahrnehmung des Schiedsrichters feststellt. Und eine solche meint Winkmann zu erkennen. Er checkt eine weitere Perspektive und urteilt: „Er spielt da den Ball.“ An den Schiedsrichter: „Christian, geh bitte raus. Du musst es dir draußen angucken.“ Dingert malt das Videobeweis-Zeichen in die Luft, läuft zu seinem Monitor am Spielfeldrand – und lässt sich von den Bildern überzeugen. Kein Elfmeter, er nimmt die Entscheidung zurück. Das Ganze hat ein paar Minuten gedauert.

Für Drees, der als Beobachter im Studio ist, kein Problem. „Es soll so schnell wie möglich gehen, aber es gibt kein Zeitlimit. Es geht um eine korrekte Entscheidung.“ 24. Spielminute in Hoffenheim: Dingert zeigt wieder auf den Punkt, diesmal wegen eines mutmaßlichen Handspiels des Nürnbergers Erras, der Gelb sieht. Winkmann wird im Hintergrund sofort aktiv. Nach mehrfacher Ansicht der Szene legt sich der Videoassistent fest: „Elfmeter okay.“

Es ist einer der typischen Grenz- und Streitfälle, die es im Bereich der Handspiele ständig gibt. Kategorie: Kann man geben, muss man nicht. Vermutlich hätte es der Videoassistent auch durchgehen lassen, wenn Dingert nicht auf den Punkt gezeigt hätte. Der pfeifende Referee soll seinen Ermessensspielraum behalten. „Man muss sich auf die Schiedsrichter einstellen, jeder hat seine Linie. Auch ich habe meine Linie, wenn ich ein Spiel pfeife“, sagt Winkmann.

Das Spiel geht eher unspektakulär weiter, Hoffenheim gewinnt 2:1. Winkmann ist nach den 90 Minuten ziemlich geschafft. „Das ist hochkonzentrierte Arbeit“, sagt er, „die erledigt man nicht einfach so bei Bier und Chips.“ Dass aber, egal wie gut er und seine Kollegen arbeiten, weiter über die Entscheidungen gestritten werden wird, ist dem 45-Jährigen klar: „Ein bisschen Subjektivität ist immer noch dabei, und das muss auch so bleiben. Denn wenn wir alle Roboter wären, wäre der Fußball uninteressant.“

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