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Sport - 22.05.2019

„Union würde der Bundesliga wunderbar zu Gesicht stehen“

Der frühere Köpenicker Fußballprofi Dominic Peitz über die spezielle Art des Klubs, seine Relegationserfahrungen und Stuttgarter Schwächen.

Kämpfer gegen Künstler. In der Relegation 2018 beackerte der damalige Kieler Zweitligaspieler Dominic Peitz (hinten) Wolfsburgs…

Fußballprofi Dominic Peitz verlor sowohl 2015 mit dem Karlsruher SC als auch 2018 mit Holstein Kiel in der Relegation. In den anstehenden Duellen zwischen dem 1. FC Union und dem VfB Stuttgart drückt er den Berlinern die Daumen. Er glaubt, dass Union der Bundesliga etwas geben kann, wonach Fußball-Deutschland lechzt. Über das und mehr haben wir mit ihm gesprochen.

Herr Peitz, sind Sie eigentlich zusammengezuckt, als Liverpools Divock Origi kürzlich zwei Tore im Halbfinale der Champions League gegen Barcelona geschossen hat?

Ich habe viele Nachrichten bekommen, weil in der Presse stand, dass Origi noch vor einem Jahr mit Wolfsburg in der Relegation gegen Kiel gespielt hat.

Unter anderem gegen Sie!

Da kommen dann sicher nochmal Erinnerungen hoch, ganz klar, weil es Fotos von einem Zweikampf mit ihm und mir gab.

Und jetzt steht er im Champions-League-Finale. Gegen Barcelona hat Origi zweimal getroffen, gegen Kiel in zwei Spielen nur einmal. Spricht für Sie, oder?
Das ist so nicht zu vergleichen, zumal wir leider die Relegation verloren haben.

Zumindest gab’s kein 0:4.
Darauf bilde ich mir nichts ein, weder auf die Duelle gegen Origi noch darauf, zweimal an Relegationsduellen beteiligt gewesen zu sein. Es war natürlich schön, gegen solche Spieler antreten zu dürfen. Wenn Sie mir vor 15 Jahren gesagt hätten, dass ich mal gegen Spieler spiele, die es ins Finale der Champions League schaffen, hätte ich Sie für verrückt erklärt.

Würden Sie die Relegationsspiele zwischen Union und Stuttgart auch mit Bruno Labbadia schauen, wenn er Zeit hätte?
Mit der Relegation haben wir ja beide nichts zu tun in diesem Jahr.

Immerhin trifft ihr Ex-Verein, Union, auf den früheren Labbadias.
Ja, das stimmt natürlich.

Und Sie haben im vergangenen Jahr, als Sie ein zweites Mal an einem von Labbadia trainierten Klub in der Relegation scheiterten, betont, ihn trotzdem gern auf einen Kaffee zu treffen. Hat er sich inzwischen denn mal bei Ihnen gemeldet?
Ich warte heute noch auf einen Anruf von ihm (lacht). Aber das Kaffeetrinken auf den Abend zu verschieben und dann beim Abendessen das Spiel zu schauen, wäre auch eine Möglichkeit.

Für Union dürfte es am Donnerstag ziemlich aufreibend werden. Wie hart ist diese Aufgabe gegen Stuttgart, gerade nach dem so knapp verpassten direkten Aufstieg?
Man muss die Dinge so nehmen, wie sie sind. Nochmal vom Bochum-Spiel zu reden oder davon, gescheitert zu sein, wäre der falsche Gedankenansatz. Die Teilnahme an der Relegation ist ein Erfolg. Union hat in der Vereinsgeschichte, zumindest nach der Wende, nie besser dagestanden. Das sollte für einen positiven Blick sorgen. Sich auf die letzten fünf Minuten in Bochum zu versteifen, wäre falsch.

Klingt schön und schön einfach. Wie schwer fällt es einem Trainer, das den Spielern auch glaubhaft zu vermitteln?
Es darf gar kein Gedanke mehr aufkommen, der mit dem Scheitern verknüpft ist. Das ist einfach so. Jetzt stehen zwei Spiele an, die Pokalcharakter haben. Das kann für den vermeintlich schwächeren Verein ein Vorteil sein – auch wenn ich meine beiden Relegationsduelle mit dem KSC und Kiel verloren habe. Egal, was war: Jetzt gilt, dass man auswärts beim Bundesligisten startet, der eine viel schlechtere Saison hinter sich hat, und der viel, viel mehr zu verspielen hat als der Dritte der Zweiten Liga; das muss man sich bewusst machen.

Schildern Sie doch bitte mal, wie ein Spieler die kurze Zeit zwischen dem letzten Spieltag am Sonntag und dem ersten Relegationsspiel am Donnerstag erlebt.
In Karlsruhe bekam man Gänsehaut, wenn man zum Training ging, da standen schon morgens um zehn 1500 Menschen vorm Ticketcenter und haben uns beklatscht und bejubelt und sich auf die Relegation gefreut. Das sind richtig schöne Gefühle; das gab viel Euphorie, die man mitnehmen muss in diesen Tagen.

Ist Stuttgart gegen Union ein so klarer Favorit wie es Wolfsburg gegen Kiel war?
Das Duell dürfte ausgeglichener verlaufen, eher so wie die Spiele zwischen HSV und KSC. Ob im Umfeld, beim Personal, in der Mannschaft – Union macht immer und immer wieder einen Schritt nach vorn, das ist viel entscheidender.

Beim VfB scheint das Gegenteil der Fall.
Der VfB hat seine Probleme in den vergangenen Jahren nicht in den Griff bekommen. Man hat einen Abstieg erlebt, der reinigend wirken sollte – und zwei Jahre drauf spielt man erneut gegen den Abstieg. Das sind Entwicklungen, ähnlich wie beim HSV, die aus Vereinssicht sicher nicht dem Wunsch entsprechen.

Was heißt das für Unions Erfolgschancen?
Dass es eben Momente gibt, in denen man in den 180 Minuten kaltschnäuzig sein muss, die Chance nutzen muss. Dann kann so ein Spiel ganz schnell in die richtige Richtung gehen.

Wer sind bei Union die Mentalitätsspieler, die vielleicht so wie Sie ticken, und dem Team Stärke vermitteln können?
Ich bin natürlich nicht so nah dran, glaube aber, dass Sebastian Polter mit seiner Ausstrahlung und Aura auf dem Platz, mit seiner Wucht, die er hat, definitiv dafür sorgen kann, die Mannschaft mitzureißen und diese Momente zu ergreifen, in denen man sich mit den Führungsspielern in die Augen schaut und sagt: Jetzt müssen wir da sein, jetzt ziehen wir das Ding durch und legen nochmal eine Schippe drauf. Auch Typen wie Grischa Prömel können den Ausschlag geben. Ich kenne ihn noch aus Karlsruher Zeiten. Er ist ein Spieler, der Verantwortung übernehmen kann und auch will. Er ist noch jung und steht zum ersten Mal in so einem Spiel – hat aber auch schon Olympia erlebt. Er wird dieser Situation gewachsen sein, genauso wie der Rest.

Innenverteidiger Florian Hübner fehlt gelbgesperrt, fünf Spieler, darunter Kapitän Christopher Trimmel und Mittelfeldabräumer Manuel Schmiedebach, sind vorbelastet. Wie sehr hemmt das, vielleicht auch vom Kopf her?
Das darf es nicht.

Sie gingen 2015 vorbelastet in das Duell beim HSV, erhielten Gelb und fehlten dem KSC dann im Rückspiel.
Auch da zählt’s wieder: Wenn man nicht viel falsch gemacht hat, dann ist man als Mannschaft so zusammengewachsen, dass persönliche Interessen hinten anstehen. Womöglich holt man sich die fünfte Gelbe Karte ab und fehlt. Dann darf der Kollege eben ran, der auch den Anspruch hat zu spielen.

Kein gutes Pflaster. Dominic Peitz feierte 2015 seine Relegations-Premiere mit dem KSC und scheiterte knapp an Gojko Kacar.

„Der Druck wird brutal sein“, sagt VfB-Torwart Ron-Robert Zieler. Wie sehr spürt man auch als Gegenspieler, dass der Favorit so viel zu verlieren hat?

Das ist sehr ausgeprägt und zwangsläufig so. Mit dem KSC haben wir damals in Hamburg schon nach zehn Minuten 1:0 geführt. Da hat man auf jeden Fall gespürt, wie es beim HSV geknistert hat.

Und ganz konkret macht sich das wie bemerkbar?
An Stockfehlern, an Fehlpässen, Missverständnissen. Aber die individuelle Klasse liegt natürlich immer beim Bundesligisten, das darf man nicht vergessen. Ich denke da zum Beispiel an Stuttgarts Donis: Der hat in den letzten drei, vier Spielen davon gesprochen, dass der alte Trainer ihm nicht die Freiheit gegeben habe. Jetzt ist ein neuer Trainer da und plötzlich spielt er befreiter sehr kreativ auf. Auch Didavi ist für mich ein sehr guter Spieler, der in einzelnen Spielen natürlich den Unterschied ausmachen kann.

Und diese Spieler waren, wie damals die Wolfsburger, „bisher mit Geld zählen beschäftigt“, wie Sie es 2018 süffisant formuliert haben?
(lacht) Das kann man gerne nochmal aufgreifen, aber das Thema habe ich bereits mehrfach erklärt. Ich bleibe dabei: Wenn Klubs wie Hamburg, Wolfsburg oder Stuttgart in die Relegation müssen, dann haben sie ihre Hausaufgaben in der Saison nicht gemacht, sonst würden sie nie in die Relegation kommen. Anders liegt der Fall bei Teams wie Mainz oder Freiburg. Für sie wäre das keine große Überraschung. Fakt bleibt: Aus Stuttgarter Sicht kann man das Ganze in zwei Spielen jetzt noch gerade biegen. Und aus Union-Sicht kann man ein Jahr krönen.

Hat Union auf der Trainerposition mit Urs Fischer, der ruhig und ausgeglichen wirkt, einen Vorteil gegenüber Stuttgart mit dem eher unerfahrenen Coach Nico Willig?
Zu viel Interpretation! Wichtig ist einfach, dass der Trainer, die Mannschaft erreicht, wie es immer so schön heißt. Die Trainer werden auf ihre Art ihre Mannschaften ansprechen und einen Weg finden, sie zu motivieren. Ich bin gespannt, wer dabei den richtigen Weg finden wird.

Sie spielten von 2009 bis 2011 für Union. Wie haben Sie den Klub erlebt?
Ich habe Union als ehrlichen Verein kennengelernt. Und wenn ich an das Gros der Fans denke, dann interessiert es einen echten Unioner nicht, ob man Erste, Zweite oder Dritte Liga spielt. Es geht darum, was die Spieler auf den Platz bringen. Nur so kann ich mir erklären, warum sie mir zum Beispiel bis heute wohlgesonnen gegenüberstehen.

Eisern. Für den 1. FC Union lief der defensive Mittelfeldspieler zwischen 2009 und 2011 in 49 Zweitligaspielen auf.

Angenommen Union packt den Aufstieg – was würde sich dann verändern?
Ich hoffe nicht viel. Union ist Union und genau das würde der Bundesliga wunderbar zu Gesicht stehen.

Was könnte Union der Bundesliga geben, was es dort vielleicht nicht gibt?
Union bringt etwas mit, wonach wir in Deutschland lechzen: Tradition, die bei Union auf sehr spezielle Art verkörpert wird. Der Klub hat Flair, das nicht so abgedroschen rüberkommt, Union ist ein Erlebnis. Natürlich geht man auch den Weg der Professionalisierung und passt sich den Normen an, aber immer ein Stück weit auf die eigene Art. Union passt einfach in die Gesellschaft. Ich bin stolz, dass ich dieses Trikot tragen durfte.

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