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Sport - 10.07.2019

Unsere Gesellschaft steckt im Selbstoptimierungswahn

Viele Menschen sind in den eigenen Körper so verliebt, dass sie ihm Schaden zufügen. Das belegen die beschlagnahmten 24 Tonnen Steroidpulver. Ein Kommentar.

Immer mehr Hobbysportler in Fitnessstudios greifen zu Anabolika-Mitteln.

An heißen Tagen, wie es sie in diesem Sommer hierzulande immer wieder gibt, fällt es auf. Im Freibad, am See, im Park. Überall dort, wo gerne mal Oberkörper entblößt werden: Die Menschen sind – wenn man so will – vorzeigbarer geworden. Ihre Bodys werden muskulöser, ausdefinierter.

Den Plauzenträger gibt es immer noch. Aber er fühlt sich immer stärker dem Erwartungsdruck ausgesetzt, sein Bäuchlein loszuwerden. Das könnte man grundsätzlich gut finden, wenn dies nicht auch mit einem wahren Selbstoptimierungswahn korrespondierte. Die Verliebtheit in den eigenen Körper geht bei manchen leider so weit, dass sie ihm paradoxerweise Schaden zufügen.

Vor allem Fitnesscenter-Süchtige und Bodybuilder pilgern demnach als Stammkunden zu Doping-Dealern. Europol – die Polizeibehörde der Europäischen Union – hat jetzt in 33 Ländern rund 24 Tonnen Steroidpulver beschlagnahmt. Die „Operation Viribus“ war der größte Antidopingeinsatz, der jemals durchgeführt worden ist. 17 internationale Verbrecher-Gangs wurden ausgehoben. Laut Europol hat der weltweite Handel mit Anabolika in den vergangenen zwanzig Jahren dramatisch zugenommen.

Das Anabolika-Hoch wiederum speist sich aus einem Boom bei den Fitnessstudios. Dem aktuellen Eckdaten-Bericht der Deutschen Fitness-Wirtschaft aus dem Jahr 2018 zufolge stieg die Mitgliederzahl in der Fitnessbranche im Vergleich zum Vorjahr um 4,5 Prozent auf insgesamt knapp über elf Millionen Kundinnen und Kunden. Der Umsatz klettert um 2,5 Prozent auf insgesamt 5,33 Milliarden Euro.

Sport als Hobby hat sich verändert. Die klassischen Vereine, die Werte wie Gemeinschaft und Integration hochhalten, müssen um jedes Mitglied kämpfen. Den teuren Fitnessstudios laufen die Kundinnen und Kunden in Massen zu. Und es gibt Studien, wonach jeder fünfte Bodybuilder Dopingmittel zur Leistungssteigerung einnimmt.

Fitnessstudios müssen über Dopinggefahren aufklären

Die körperliche Selbstoptimierung ist mehr als ungesund – sie ist gefährlich. Da ist es zunächst einmal löblich und für viele andere Bereiche der Strafverfolgung vorbildlich, wie international der jüngste Schlag gegen das Doping gelungen ist. Sage und schreibe 33 Staaten haben für die „Operation Viribus“ unter der Federführung von Italien und Griechenland und gemeinsam mit der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada zusammengearbeitet. Auch die Ermittlungserfolge gegen gedopte Leistungssportler und deren Hintermänner bei der Ski-WM im Februar dieses Jahres waren auf die Zusammenarbeit deutscher und österreichischer Behörden zurückzuführen.

Mehr noch als konzertierte, länderübergreifende Razzien gegen Doping-Banden hilft im Kampf gegen Doping aber eine bessere Aufklärung über die Wirkung und Nebenwirkung von leistungssteigernden Präparaten. Fitnessstudios sollten diesbezüglich in die Pflicht genommen werden.

Ganz wesentlich aber ist, dass sich das Körperbild verändert. Es ist in Ordnung, wenn gegen die Plauze angekämpft wird. Es ist aber nicht mehr in Ordnung, wenn der Körper in einen Zustand gebracht wird, den er mit natürlichen Mitteln schwerlich erreicht. In Zeiten wie diesen, in denen sogenannte Fitness-Models mit einem Fettanteil nahe dem Nullpunkt hunderttausende Follower auf Instagram haben und ein absurdes Verständnis vom idealen Körper vorleben, kann sich schnell das Gefühl einschleichen, mit dem Umfeld physisch nicht mehr mitzuhalten. Von daher: Ein Bekenntnis zum Bäuchlein ist gar nicht so verkehrt.

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