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Wirtschaft - 05.01.2019

Abfahrt ins Ungewisse

Die Zukunft der Automobilindustrie hat begonnen – im Jahr 2019 nimmt die Transformation der Schlüsselbranche Tempo auf.

Visionen, Hoffnungen, Ängste. Auf der Unterhaltungselektronik-Messe CES stellt der koreanische Autohersteller Kia die weltweit…

Las Vegas ist für die Automobilindustrie das neue Detroit. In der kommenden Woche wird in der US- Spielerstadt die CES, die Consumer Electronics Show, eröffnet. Auf einer der weltweit größten Fachmessen für Unterhaltungselektronik spielen die Hersteller von Spielekonsolen, TV- und Hifi-Geräten oder anderer Home-Entertainment- Technik eine immer geringere Rolle. Stattdessen nutzen Autohersteller und ihre Zulieferer die CES als Neuheitenschau zum Jahresauftakt. Früher war das die Detroit Motor Show, die ein paar Tage später, am 19. Januar, beginnt. Ab 2020 soll sie in den Sommer verlegt werden, um sich besser von der CES abzusetzen.

Die neuen Prioritäten zeigen, wohin sich die Autoindustrie entwickelt. Ein Trend, der 2019 noch deutlicher zu erkennen sein wird: Die klassischen Hersteller von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor erleben den Beginn der größten Transformation ihrer mehr als 100-jährigen Geschichte. Die aufwendigen Shows rund um die Premieren neuer Autos bleiben zwar wichtig. Noch wichtiger aber sind die großen Zukunftsthemen: Elektromobilität, autonomes Fahren, Vernetzung, Digitalisierung und KI, neue Mobilitätsdienstleistungen.

Damit verbinden sich Visionen und Hoffnungen, aber auch Ängste – vor dem Abbau von Jobs, dem Angriff branchenfremder Wettbewerber (Google, Apple & Co.), dem Verlust der Marktstellung.

TRENDS IM NEUEN JAHR


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Elektromobilität wird 2019 nach Meinung vieler Experten endlich einen Durchbruch erleben. Tesla bringt sein Model 3 nach Europa, Audi, Mini, Mercedes und VW verkaufen eigene E-Modelle. Hinzu kommen neue staatliche Förderinstrumente – etwa für Dienstwagen oder die Erneuerung öffentlicher Flotten. Mit milliardenschweren Investitionen und ambitionierten Absatzprognosen bis 2025 unterstreichen die deutschen Hersteller ihren Willen, mit lokal emissionsfreien Antrieben den Markt zu überzeugen – und dominieren zu können. Aber: Sie starten spät, die Nachfrage ist gering, der Marktanteil in Deutschland liegt bei gerade einmal zwei Prozent. Spannend bleibt, ob und wann sich 2019 ein deutsches Konsortium zum Aufbau einer Batteriezellen-Fertigung formieren wird.

Das alles wird auf einem vielerorts erneut schrumpfenden Automarkt stattfinden. Die Neuwagen-Nachfrage werde einbrechen, prognostiziert das CAR-Center der Uni Duisburg-Essen. Dabei ist sie bereits Ende 2018 wegen der von den Herstellern verpatzten Umstellung auf den neuen Abgasstandard WLTP schon deutlich gesunken. International wird vor allem China, der größte Automarkt, die Branche 2019 bremsen. CAR rechnet damit, dass dort 1,9 Millionen Neuwagen weniger als 2017 (24,2 Millionen) verkauft werden. Etwa ein Fünftel der chinesischen Produktionskapazität werde 2019 „ungenutzt“ bleiben. Hinzu kommt der Handelskrieg zwischen den USA und China. Deutsche Autobauer, vor allem BMW, zahlen inzwischen hohe Zölle beim Export ihrer in den USA produzierten SUV in die Volksrepublik. Konnten sich die Unternehmen früher auf China verlassen, wenn es in den USA und Europa schlechter lief, fällt diese Stütze 2019 wohl aus. In Europa erlebt die Autonachfrage vor allem in Großbritannien wegen des Brexits einen „regelrechten Crash“, wie die Berater von PwC voraussagen. Auch 2019 sei hier keine Erholung in Sicht. So gilt insgesamt: Hohe Investitionen und die sinkende Nachfrage werden den Margendruck erhöhen. „Die Party macht Pause“, zieht CAR ein Fazit.

ALTLASTEN

Die Nachwirkungen der Diesel-Krise werden die Autobauer in Deutschland an vielen Stellen weiter beschäftigen. Es ist nicht nur der Marktanteil des Diesels auf kaum ein Drittel gesunken, Neuwagen verkaufen sich inzwischen auch nur noch mit hohen Prämien und Rabatten. Steigt aber der Benziner-Anteil, steigt auch der CO2-Ausstoß der Flotte – mit fatalen Folgen für die Klimabilanz der Konzerne.

Eine Altlast aus dem Jahr 2018, die erst 2019 zur echten Belastung wird, sind Fahrverbote wegen zu hoher Stickoxid- Belastungen. Hat die Deutsche Umwelthilfe vor den Gerichten weiter Erfolg, dürften Einschränkungen bald in 30 deutschen Städten gelten – auch in Berlin. Obwohl die Hersteller noch nicht einmal mit den Software-Updates für alle jüngeren Diesel fertig sind, stehen nun Hardware-Nachrüstungen für ältere Modelle an. Hier sind viele technische Fragen noch unbeantwortet, ebenso wie die Frage, wer die Kosten übernimmt. Die Unternehmen spielen auf Zeit und hoffen, mit dem Verkauf von Neuwagen die Luft in den Städten zu verbessern.

DIE ROLLE DER POLITIK

Schwierig bleibt 2019 das Verhältnis zwischen Industrie und Politik. Nach den heftigen Diesel-Debatten bekam die Branche dies vor der Jahreswende noch einmal zu spüren: In der EU sollen ab 2021 deutlich strengere CO2-Grenzwerte für Neuwagen gelten. Ohne einen großen Anteil von Elektroautos werden die Konzerne die Vorgaben des europäischen Regulierers nicht einhalten können, es drohen Milliarden-Strafen. Volkswagen und andere kündigten an, der Umbau müsse nun noch schneller und tiefgreifender erfolgen. VW-Chef Herbert Diess warnte vor dem Verlust von 100 000 Arbeitsplätzen.

Der Bundesverkehrsminister verdarb den Unternehmen zusätzlich die Stimmung, indem er vor Weihnachten die rechtlichen und technischen Grundlagen für Hardware-Nachrüstungen älterer Diesel vorlegte. VW, bislang immerhin zur Kooperation bereit, riet prompt seinen Kunden von Nachrüstungen ab und will technische Daten für die Nachrüstfirmen nicht preisgeben. Der Streit wird im neuen Jahr weitergehen.

Das dürfte auch Andrea Nahles wohl nicht verhindern. Die SPD-Vorsitzende hat der Kanzlerin per Brief vorgeschlagen, eine „Industriepartnerschaft Automobilindustrie 2030“ auf den Weg zu bringen. Ähnliches hat die Bundesregierung mit insgesamt fünf Diesel-Gipfeln und der Schaffung einer Nationalen Plattform „Zukunft der Mobilität“ schon versucht. Herausgekommen ist dabei wenig, stattdessen zeigt sich die Regierung – vor allem das Umwelt- und Verkehrsministerium – selbst darüber zerstritten, wie hart man die Branche anfassen soll.

Alle wissen: Nahles’ Hinweis, die Autoindustrie sei das „Rückgrat der deutschen Wirtschaft“, ist zutreffend. 850 000 Beschäftigte haben Hersteller und Zulieferer direkt, Hunderttausende weitere Jobs hängen indirekt an der Branche. Die automobile Transformation wird Arbeitsplätze vernichten – ähnlich wie die Energiewende oder das Ende der Kohle. Aber es werden auch neue entstehen. Die Prognosen, welche Wirkungen etwa die Elektromobilität unter dem Strich hat, gehen auseinander. Das Ifo-Institut sieht 620 000 Jobs „gefährdet“, sollte der Verbrennungsmotor 2030 verboten sein. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und das Fraunhofer-Institut rechnen im schlechtesten Fall mit dem Netto-Verlust von mehr als 100 000 Arbeitsplätzen.

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