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Wirtschaft - 07.11.2018

Amazons Angriff

Der Konzern dringt in immer neue Bereiche vor – und wird so zum Schrecken ganzer Branchen.

Amazon wird immer größer, zuletzt stieg der Konzern ins Medizingeschäft ein.

Am Montag lockt Amazon Kunden wieder mit besonderen Angeboten. Mehr als eine Million Produkte werden am sogenannten „Prime Day“ günstiger angeboten. Mit 36 Stunden wird die Schnäppchenaktion noch einmal ausgeweitet. Verbraucherschützer warnen allerdings regelmäßig davor, dass die angepriesenen Rabatte teils „aufgeblasen“ seien und der Prime Day zu einem Abverkauf von „Ladenhütern“ diene.

Doch das dürfte die Kunden kaum abhalten. Für Amazon steigert das die Umsätze, vor allem aber die Zahl der Prime-Kunden. Denn die Angebote gelten nur für Mitglieder des kostenpflichtigen Abo-Dienstes Prime. Ursprünglich hatte Amazon diesen mit dem Vorteil eines schnelleren kostenlosen Versands eingeführt. Später fügte der Konzern unter anderem den Zugang zu seinem Video- und Musik-Streamingdienst hinzu. Das Kalkül ist es, die Kunden so eng wie möglich an sich zu binden. Dafür wird das Angebot auch ständig erweitert. Inzwischen hat Amazon mehr als 100 Millionen Prime-Kunden weltweit. Und kann sich offenbar leisten, die Preise zu erhöhen: Die Kosten des Jahresabos stiegen in Deutschland im Vorjahr von 49 auf 69 Euro. In den USA wird seit Kurzem sogar erstmals eine dreistellige Summe fällig, 119 Dollar pro Jahr.

Amazon-Chef Jeff Bezos ist im Vorjahr zum reichsten Menschen der Welt aufgestiegen. Sein Imperium baut er immer weiter aus und ist so zum Schrecken ganzer Branchen geworden. Unternehmenschefs in den USA reden mit Investoren häufiger über Amazon als über Trump oder Steuern, wie Protokolle zeigen. So ist der Konzern im Englischen zum geflügelten Wort geworden: „to be amazoned“ bedeutet, dass das eigene Geschäft durch den Eintritt des Unternehmens zerstört wird. Firmen wie Google werden durch ihr Produkt zum Verb, Amazon durch seine Wirkung auf andere.

Shopping: Lebensmittel und Läden

Bisher fing die Weihnachtssaison in den USA an, wenn das „Big Book“ von Toys ‚R‘ Us Ende Oktober im Briefkasten lag. Im Frühjahr meldete der Spielwarenhändler Insolvenz an, doch Millionen US-Haushalte werden im Herbst trotzdem einen dicken Spielzeugkatalog bekommen – von Amazon. Erstmals will der Online-Händler ein gedrucktes Prospekt verschicken. Dabei geht es nicht nur um Marktanteile im Spielzeugmarkt. Amazon kombiniert zunehmend auch Instrumente des stationären Handels mit seinen Modellen von der Zukunft des Shoppings. So kaufte Amazon im Juni für 13,7 Milliarden Dollar die Bio-Supermarktkette Whole Foods. Gleichzeitig betreibt das Unternehmen, auch in Berlin, mit Amazon Fresh einen Online-Shop für Lebensmittel sowie mit Amazon Pantry einen Versand für Artikel des täglichen Bedarfs, von Drogerieartikeln bis Haustierfutter. Anfang des Jahres eröffnete an Amazons Hauptsitz Seattle mit „Amazon Go“ der erste kassenlose Supermarkt: Kunden müssen die App Go installieren, sich am Eingang dann mit einem Code ausweisen. Danach wird mithilfe von Sensoren und Bilderkennung erfasst, wie viele Packungen Milch, Nudeln oder Schokolade sie in den Korb legen. Verlassen sie das Geschäft, wird die Endsumme von ihrem Amazon-Account abgezogen. Das spart das Schlange stehen, macht den Käufer aber zum gläsernen Kunden, weshalb es Kritik von Datenschützern gibt. Noch dieses Jahr will Amazon offenbar einen zweiten „Go“-Supermarkt eröffnen, wohl erneut in Seattle, auch in Chicago und San Francisco könnten solche Märkte entstehen.


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Medizin: Patienten und Pillen

Das jüngste Übernahmeziel von Jeff Bezos ist vergleichsweise klein. Gerade einmal 100 Millionen Dollar Umsatz erzielte Pillpack im vergangenen Jahr, diese Erlöse schafft Amazon in weniger als acht Stunden. Und trotzdem sorgte die Nachricht vor gut zwei Wochen wieder einmal für einen Börsenschock. Mehr als zwölf Milliarden Dollar an Börsenwert verloren die drei größten US-Apothekenketten auf einen Schlag.

Denn mit dem Kauf der Online-Apotheke Pillpack geschieht, was viele Beobachter schon länger erwartet hatten: Amazon steigt in das Medizingeschäft ein. Schon seit einiger Zeit heuert das Unternehmen Gesundheitsspezialisten an und sondiert in geheimen Projektgruppen Geschäftsmöglichkeiten in dem Bereich. Der Markt ist lukrativ. Allein der Handel mit Medikamenten hat in den USA jährlich ein Volumen von 400 Milliarden Dollar. Daher ließ sich Amazon die Übernahme eine Milliarde Dollar kosten und stach den Supermarkt-Konzern Walmart aus, der auch für Pillpack geboten hatte.

Doch Amazon will sich nicht auf den Versand von Medikamenten beschränken. Vertreter des Konzerns sind seit einiger Zeit auch in Krankenhäusern unterwegs, sie versuchen dort Amazon als Großhändler für Gebrauchsgegenstände wie Pflaster, Spritzen oder Latexhandschuhe ins Geschäft zu bringen.

Und dann arbeitet Amazon auch noch an einer eigenen Krankenkasse. Für das Projekt hat sich das Unternehmen prominente Unterstützung gesucht und mit der größten US-Bank JP Morgan und Waren Buffetts Holding Berkshire Hathaway zusammengetan.

Unterhaltung: Hobbits und Hertha

Schon lange bietet Amazon auch Musik und vor allem Videoinhalte zum Streamen. Im Gegensatz zu Konkurrenten wie Spotify oder Netflix ist das Geschäft mit Medieninhalten aber nur Teil der Kalkulation, vor allem sind sie Teil des Kundenbindungsprogramms. Denn Amazon versucht so mehr und mehr Nutzer in sein Prime-Programm zu locken.

Dafür investiert das Unternehmen auch immer mehr in exklusive Eigenproduktionen, wie die Serie „You are wanted“ mit Matthias Schweighöfer. Zuletzt sicherte sich Amazon die Rechte für eine Serie zu Tolkiens „Herr der Ringe“-Büchern.

Zudem konkurriert das Unternehmen auch verstärkt um Sportübertragungen. So zeigt Amazon schon länger Spiele der US-Footballliga NFL. Kürzlich schlug das Unternehmen auch im englischen Fußball zu. Von der Saison 2019/20 an wird Amazon erstmals jährlich 20 Spiele der Premier League live zeigen. Britische Prime-Kunden sollen die Spiele gratis verfolgen können. Auch die US Open und andere Tennisturniere kann man bald in Großbritannien auf Amazon schauen.

Aktuell liegt der Fokus der Sportoffensive auf Großbritannien. Doch auch in Deutschland dürfte das Angebot künftig wachsen. Einen Vorgeschmack gibt es seit der vergangenen Bundesligasaison: Alle Spiele der ersten und zweiten Liga überträgt Amazon seither im Audioformat. Doch irgendwann sollen auch Bilder folgen. So sagte Amazon-Deutschlandchef Ralf Kleber schon im Vorjahr dem Tagesspiegel: „ Es spricht nichts dagegen, dass wir uns Sportübertragungen in Deutschland widmen.“

Finanzen: Kontodaten und Kredite

Vom Händler entwickelt sich Amazon zunehmend zur Bank. Angefangen hat es mit dem eigenen Bezahldienst. Während andere Onlineshops dem Kunden die Wahl lassen, wie sie zahlen, müssen Käufer bei Amazon ihre Konto- oder Kreditkartendaten hinterlegen – und werden so automatisch Kunden von Amazon Pay. Alternativen wie Paypal oder Paydirekt schließt der Konzern aus. Aus Sicht von Amazon sei das schlau, meint Horst Rüter vom Handelsforschungsinstitut EHI. „Der Konzern spart sich so die Gebühren für andere Bezahlarten.“ Und er sammelt mehr Daten über die Kunden – vor allem dann, wenn sie auch noch die Amazon-Kreditkarte nutzen. Denn so erfährt Amazon nicht nur, wie gut die Bonität der Kunden ist, sondern auch was sie bei der Konkurrenz einkaufen.

Seinen Bezahldienst bietet Amazon zudem auch anderen Onlinehändlern an: Man kauft also bei der Konkurrenz ein, loggt sich zum Bezahlen aber in sein Amazon-Konto ein. Für den Kunden hat das den Vorteil, dass er seine Daten nur einmal eingeben muss. Amazon kassiert für den Bezahlvorgang Provisionen. Unter den Zahlarten, die deutsche Onlinehändler neu einführen wollen, steht Amazon Pay derzeit ganz oben, zeigt eine Umfrage vom EHI. Für Amazon ist es nun nur noch ein kleiner Schritt zur Bank. Zumal der Konzern seinen Geschäftskunden schon jetzt auch Kredite gewährt. Als Nächstes könnte nun das Amazon-Girokonto folgen. Daran soll der Onlinehändler derzeit bereits mit einer US-Großbank arbeiten.

Logistik: Flugzeuge und Fahrer

Bisher lässt Amazon einen Großteil seiner Sendungen vom Marktführer DHL zustellen – baut zunehmend aber auch eine eigene Infrastruktur auf. Auch auf Berlins Straßen sind vermehrt Lieferwagen und elektrische Lastenräder zu sehen, die das Amazon-Logo tragen. Gefahren werden die aber nicht von Angestellten des Konzerns: Amazon beauftragt Kurierdienste. Dabei geht meistens um die sogenannten „Same Day“- oder „Prime now“-Lieferungen, also Bestellungen, die am selben Tag oder innerhalb eines Zeitfensters wie zwei Stunden zugestellt werden. Wer einen Gewerbeschein besitzt, kann auch mit seinem Privatwagen Pakete ausliefern, „Amazon Flex“ heißt der Dienst, für den in München und Berlin rund 100 Fahrer tätig sind. Sie geben über eine App Zeitfenster ein, in denen sie zur Verfügung stehen. 68 Euro gibt’s für einen Vier-Stunden-Block. In Bochum läuft in Kooperation mit Mercedes und Innogy ein Projekt, bei dem Lieferdienste kostengünstig E-Vans leasen können. Ausprobiert werden dabei auch neue Kontrollfunktionen: Fährt der Fahrer durchs Tor, werden die Fahrzeugdaten ausgelesen, dadurch wird nachvollziehbarer, wie lange eine Tour dauert. Mit einem Kamerascan können neue Schäden am Fahrzeug schneller überprüft – und damit auch besser dem Fahrer zugeordnet werden. In den USA betreibt Amazon auch eine eigene Flugzeugflotte, um Waren zwischen Logistikzentren zu bewegen. Ebenfalls wird an der Zustellung mit Drohnen gearbeitet, erste Versuche waren bereits erfolgreich – dass „Prime Air“ in Serie geht, sei bisher aber nicht absehbar.

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