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Wirtschaft - 09.02.2019

Berlins Unternehmen entwickeln sich technisch zurück

Alle sprechen über Digitalisierung. Doch in den meisten Branchen macht die Technik sogar Rückwärtsschritte – besonders auf dem Bau und im Sozialwesen.

Die digitale Revolution mit Industrie 4.0 lässt noch auf sich warten.

Holzhüttchen, Tannenzapfen aus Metall als Gewicht und zu jeder vollen Stunde stürmt ein Piepmatz durch eine Holztür und sorgt für Unruhe – mehr Tradition als bei der Kuckucksuhr geht eigentlich kaum. Sollte sich ein Uhrmacher doch an einem exzentrischeren Design versuchen, bekommt er von den Schwarzwald-Puristen meist skeptische Blicke. Wieso experimentieren, wenn sich die Kuckucks-Kunst auch so hervorragend verkauft.

Ganz ähnlich sieht es bei der Digitalisierung in Berlins kleinen und mittelständischen Unternehmen aus. Anders als die Uhrenbauer aus dem Schwarzwald sind die Berliner jedoch nicht nur langsam mit der neuen Technik: Aktuell macht die Digitalisierung sogar Rückschritte.

Das geht aus einer noch unveröffentlichten Studie von DIW Econ im Auftrag der Berliner Sparkasse hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt. „Das Ergebnis ist spannend, weil es so frustrierend ist“, sagt der für die Befragung mitverantwortliche Anselm Mattes.

Einerseits würden Chefs die Digitalisierung deutlich häufiger als noch im vergangenen Jahr als Herausforderung der Zukunft akzeptieren. Auch würden Unternehmer vermehrt über Investitionen nachdenken. Andererseits hätten die Vertreter fast aller Branchen den Stand der Digitalisierung in ihren Unternehmen schlechter als die Befragten von 2017 bewertet. Im Durchschnitt liegt das Minus bei fünf Prozent.


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Handwerk ist Handwerk

In Teilen ließe sich das negative Ergebnis damit erklären, dass Unternehmen kritischer gegenüber sich selbst geworden sind, sagt Mattes. Was vor zwei Jahren noch als zukunftssichere Technologie erschien, „mag mittlerweile durch die vermehrten Diskussionen zum Thema veraltet wirken“. Doch für einige Branchen reiche diese Erklärung nicht aus. In der Industrie bewerteten sich die Unternehmer zehn Prozent schlechter, im Baugewerbe um 20 Prozent und im Gesundheits- und Sozialwesen sogar um 24 Prozent.

„Wir sind ein Handwerksbetrieb und da wird mit den Händen gearbeitet“, sagt Silvia Kulke. Sie ist Geschäftsführerin eines Berliner Dachdeckerbetriebs mit Schwerpunkt Denkmalrestauration. Ihre Jungs, wie Kulke ihre Mitarbeiter nennt, stehen auf Kirchendächern und Bibliotheken. Bereits der Vater war in der Branche. Bei ihrem Mann Karl-Heinz reicht die Familientradition bis 1911.

Immer mal wieder kämen bei ihr Firmen vorbei und würden irgendwelche digitalen Neuerungen anpreisen. Da war dieses Gerät, das erkennen konnte, wenn eine bestimmte Schraubenart im Lager zur Neige geht und dann automatisch nachbestellte. „Unser Unternehmen ist da nicht so diffizil. Wir müssen nicht jede einzelne Schraube per Software überwachen können“, erklärt Kulke.

Kein Innovationsdruck?

Die Art der Arbeit ist das eine. Mattes von DIW Econ sieht die Gründe noch woanders. Der Bauboom nehme Innovationsdruck von der Branche. Die Auftragsbücher sind gut gefüllt, warum also in große Änderungen investieren. Neugegründete Unternehmen mit schwacher Technik würden die Statistik zusätzlich nach unten ziehen. Auch Kulke ist bis August eingedeckt. Sie erwidert: „Wenn unsere Auftragslage schlechter wäre, hätten wir vielleicht mehr Druck, aber dafür weniger Geld zum Investieren.“

Jede neue Technik sei erstmal ein Risiko. Bei ihr bedeutet Digitalisierung, dass Aufträge nicht mehr als zentimeterdicke Stapel mit der Post kommen, sondern computertauglich per Mail. Ihre Jungs haben Diensthandys und dokumentieren ihre Arbeit per Foto. So spart sich der Bauleiter den Weg für Kontrollen: „Was soll ein Dachdecker mit künstlicher Intelligenz?“

Kulkes Aussagen decken sich mit den Ergebnissen der Studie. Jeder vierte Unternehmer zögert wegen hoher Investitionskosten. Ärger über öffentliche Infrastruktur wie der Netzabdeckung sind dagegen selten und haben im Vergleich zum Vorjahr sogar noch abgenommen. Das sei nicht verwunderlich, sagt Mattes. Industrie 4.0 sei bei kleineren und mittleren Unternehmen eine Seltenheit.

Meistens gehe die Technik nicht über Smartphones für die Mitarbeiter hinaus. Nur 23 Prozent der Firmen arbeiten mit einer Cloud, sechs Prozent mit Big Data und drei Prozent mit KI-Technologie. Die Berliner Unternehmerlandschaft bestehe nun mal nicht nur aus Startups, sagt Mattes „und ein Klempner geht nicht in seinen Beruf, um Computer-Experte zu werden.“

Berlins Digitalagentur

Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop will, dass sich das ändert. Für Handwerker und mittelständische Industriebetriebe sei die Digitalisierung wichtig „damit sie in Zukunft wettbewerbsfähig sind“, sagt Pop. Dafür will sie eine Digitalagentur gründen, die „Berührungsängste bei Unternehmen“ abbauen und Geschäftsmodelle weiterentwickeln soll. Auch die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass jene Unternehmen, die besonders stark wachsen, zuvor häufig in neue Technik investiert haben.
Trotzdem verzeichneten im Vergleich zu 2017 lediglich die Informations- und Kommunikationsbranche sowie Gastgewerbe und die Kreativwirtschaft ein Plus bei der Digitalisierung. Da arbeiten dann Designer wie Mendel Heit, die darüber nachdenken, ob eine Kuckucksuhr wirklich immer aus Holz sein muss – im Wortsinn.

Die Kuckucksuhr aus dem 3D-Drucker entstand für eine Messe und sollte Investoren anlocken.

Vor einigen Jahren entwarf er mit einem Team internationaler Kollegen eine Uhr für 3D-Drucker. Seit 2008 gestaltet er Produkte für Handwerksunternehmen: Whiskeytische, Schmuck, Lampen mit mundgeblasenen Glasschirmen. Die Entwürfe kommen bei ihm alle als greifbare Objekte aus dem Drucker. Oder er versendet die Dateien an die Handwerker und die drucken sich ihre Lampen-Modelle gleich selbst aus.

Auswirkung auf Arbeitszeiten

Mendel Heit schläft momentan nicht viel. Ein paar Stunden, dann muss er wieder los – zu Konferenzen, neue Aufträge reinholen. Er ist irgendwie in die Digitalisierung reingerutscht. Als Schüler waren es Videospiele, heute Designprogramme. Wie fast jeder zweite Studienteilnehmer klagt er über den hohen Zeitaufwand, der mit der neuen Technik einhergeht.

In der Umfrage ist Zeit das am häufigste genannte Hindernis bei der Umstellung zu neuen Techniken. Kleine Unternehmen können sich selten eine IT-Abteilung leisten. Oft muss sich der Chef selber kümmern. „Ich bin immer verbunden“, sagt Heit. „Das kann beängstigend und schwer zu kontrollieren sein.“

Digitalisierung ist für ihn nicht nur eine Frage des Wirtschaftswachstums. Wichtig sei auch, dass Arbeitszeiten und -bedingungen sich nicht verschlechtern. Er selbst sei bereits darauf angewiesen, fast ausschließlich mit Freiberuflern und Praktikanten zusammenzuarbeiten. „Auch das gehört momentan zur Digitalisierung.“

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