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Wirtschaft - 15.02.2019

BVG und Kitas – ein bisschen Krawall muss sein

Warnstreik bei den Berliner Verkehrsbetrieben, in Kitas und öffentlichen Verwaltungen. Welche Strategie hat Verdi? Wann gibt es einen Kompromiss?

Was ist fair? Arbeitgeber und Gewerkschaften haben da naturgemäß unterschiedliche Auffassungen. Tarifverhandlungen sind…

Bis zum 5. März kann noch viel passieren. Für den Tag sind die nächsten Tarifverhandlungen bei der BVG angesetzt. Das wird die dritte Runde sein, und die vierte ist auch schon terminiert: Am 28. März sollten Verdi und die Arbeitgeber dann eine Lösung finden für die gut 12.000 Beschäftigten bei der BVG und weitere 2000 bei der Berlin Transport (BT), deren Fahrer rund ein Drittel des Verkehrs mit Bussen und U-Bahnen in der Stadt abwickeln.

Ungewöhnlich ist der große Warnstreik am Vormittag des 15. Februar, mit dem der Berufsverkehr hart getroffen wird. Die Tarifstrategen von Verdi haben sich entschieden, die komplette Frühschicht zum Warnstreik aufzurufen. Zwei oder drei Stunden hätten auch wehgetan, doch Verdi greift gleich zur großen Keule.

Überraschend ist ferner der Zeitpunkt: Schon einige Tage vor der zweiten Gesprächsrunde am 11. Februar hat die Gewerkschaft den Warnstreik am 15. beschlossen – also ganz unabhängig vom Verhandlungsstand. Das gehört zur Gewerkschaftsstrategie, die sich in den vergangenen Jahren gewandelt hat: Umfangreiche Warnstreiks werden durchgezogen, um die Mitglieder zu mobilisieren und idealerweise auch neue Mitglieder im Verlauf der Tarifauseinandersetzung zu gewinnen.

30.000 neue Gewerkschaftsmitglieder

Die Tarifführerschaft hierzulande hat die IG Metall mit ihren 2,3 Millionen Mitgliedern, die selbstbewusst und kampfbereit die größte Durchsetzungsmacht repräsentieren. Die IG Metall ruft seit Jahren in ihren Tarifbewegungen Hunderttausende zu Warnstreiks auf. So zuletzt vor gut einem Jahr, als es um Geld und Zeit ging. Am Ende stand dann nicht nur ein neuer Tarif, sondern die IG Metall hatte im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung auch 30.000 neue Mitglieder gewonnen. Dieses Kalkül bewegt auch die Verdi-Strategen, bei der BVG ebenso wie im öffentlichen Dienst insgesamt.


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Deshalb werden die Warnstreiks vom Mittwoch in Berlin in den nächsten Wochen noch ergänzt und sogar forciert werden durch viele ähnliche Aktionen im gesamten Bundesgebiet, bevor es dann am 28. Februar in die entscheidende Verhandlungsrunde für insgesamt rund drei Millionen Angestellte, Beamte und Versorgungsempfänger der Bundesländer geht. Das Tagungshotel am Templiner See in Potsdam hat man gleich für ein paar Tage gebucht. Vermutlich werden sich die Verhandlungsführer Frank Bsirske (Verdi) und der Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) für die Tarifgemeinschaft der Länder bis Sonnabend einigen – dann können sich alle am Sonntag vom tagelangen Tarifpoker erholen.

Kollatz spart Geld durch Streik

„Ich möchte eine Lösung am Verhandlungstisch“, kommentierte Kollatz in diesen Tagen betont zurückhaltend die Warnstreiks in Berlin, die er „im aktuellen Verhandlungsprozess auch nicht für gerechtfertigt hält“. Das muss er so sagen. Er profitiert indes auch von den Warnstreiks, denn wer nicht arbeitet, der bekommt auch kein Geld, und der öffentliche Dienstherr spart also ein paar Euro. Dafür zahlt Verdi Streikgeld – an die Gewerkschaftsmitglieder. Je nach Höhe des Gewerkschaftsbeitrags, der ein Prozent des Bruttolohns ausmacht, bekommen die Streikenden einen Lohnersatz, der im Schnitt rund drei Viertel des Nettos ausmacht.

Bei langen Tarifauseinandersetzungen wird das teuer für Verdi. Jeder Streik muss deshalb frühzeitig beantragt und vom Bundesvorstand genehmigt werden. Nach den jeweils zweistellige Millionenbeträge beanspruchten Streiks in den Kitas und bei der Post 2015 agiert die Dienstleistungsgewerkschaft vorsichtiger. 2015 und 2016 wurden vom Vorstand jeweils 160 Arbeitskämpfe, 2017 159 und im vergangenen Jahr nur noch 129 genehmigt. Manchmal reicht auch schon die Drohung: Nach Angaben der Gewerkschaft kam es in rund einem Drittel der genehmigten Fälle nicht zum Arbeitskampf, weil es zuvor eine Einigung mit den Arbeitgebern gab.

Bei der BVG geht es noch nicht um Geld

Die ist bei den Berliner Verkehrsbetrieben nicht in Sicht. Denn im aktuellen Streit geht es gar nicht primär um Geld, das im Entgelttarif geregelt ist, sondern um die Zeit und damit um den Manteltarifvertrag. Der Mantel ist zum Ende 2018 gekündigt worden, weil Verdi die Arbeitszeit bei der BVG von 39 auf 36,5 Wochenstunden reduziert haben will. Ferner möchte die Gewerkschaft überhaupt die Entgeltordnung verändern mit dem Ziel „einer Aufwertung aller Berufsgruppen“. Darüber hinaus „erwarten wir eine Einmalzahlung in Höhe von 500 Euro für unsere Mitglieder“.

Ein bisschen geht es also doch ums Geld, wenn auch nur für die Verdi-Mitglieder, die gewissermaßen für ihre Streikbereitschaft belohnt werden sollen. Und wenn die besser abschneiden als die Nicht-Mitglieder, erhöht das wiederum die Attraktivität einer Verdi-Mitgliedschaft. Doch alles in allem liegt eine Entgeltforderung für die 14.000 BVG- und BT-Beschäftigten noch nicht auf dem Tisch und ist erst für Anfang März angekündigt.

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Die aufgerufenen Lohnprozente werden die Arbeitgeber dann zusammen mit der Arbeitszeitforderung in einen Topf werfen und dann für alle Themen ein verträgliches Menü anzurichten versuchen mit mehr Geld und etwas weniger Zeit. Ein schwieriges Unterfangen bleibt das allemal, denn auch die BVG hat Mühe, Leute zu finden, und eine Arbeitszeitverkürzung wie von Verdi gefordert würde mit einem Schlag die Personallücke um 500 Stellen vergrößern. Von 2021 an, so das bisherige Angebot der BVG, könne man in Stufen die Arbeitszeit reduzieren.

Busfahren für 2500 Euro brutto

Um nicht noch mehr Öl ins Feuer des Tarifstreits zu gießen, hat der Vorstand der BVG die Führungskräfte aufgefordert, an diesem Freitag „mit Augenmaß“ auf die tatsächliche oder vermeintliche Streikbeteiligung der eigenen Leute zu schauen. Soll heißen: Wer zu spät kommt, weil Bus oder Bahn nicht fährt, bekommt trotzdem Gehalt.

Das beträgt bei der BVG für einen 30-jährigen Fahrer, verheiratet und vier Jahre beim Unternehmen, derzeit knapp 2500 Euro brutto. Eine Fahrerin, 55 Jahre alt, verheiratet und 17 Jahre dabei, kommt nach Angaben von Verdi auf 2600 Euro. Und ein Fahrzeughandwerker, 40 Jahre alt, seit zehn Jahren bei der BVG und in Wechselschicht tätig, verdient derzeit 2900 Euro brutto. Das soll nach den Willen der Warnstreikenden deutlich mehr werden und die Arbeitszeit dazu weniger. Nach dem Streik am 15. Februar dürfte es deshalb noch mindestens eine weitere Aktion geben bis zu den Verhandlungen am 5. März. Es sei denn, die BVG signalisiert zwischenzeitlich Entgegenkommen.

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