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Wirtschaft - 07.06.2019

Darum gilt Nestlé als besonders verantwortungslos

Umwelt- und Verbraucherschützer kritisieren den weltgrößten Lebensmittelkonzern oft für seine Geschäftspraktiken. Doch Nestlés Macht hat auch Grenzen.

In Nestlés Kitkat-Schokoriegeln steckt Palmöl. Von welchen Plantagen es stammt, ist nicht immer klar.

Zumindest Aktionäre dürften an Nestlé in letzter Zeit ihre Freude gehabt haben. Denn seit einem Jahr kennt der Kurs des Lebensmittelkonzerns nur eine Richtung: aufwärts. Von 63,20 Euro das Papier am Freitag auf über 90 Euro. Wer guckt schon genauer hin, wenn die Rendite stimmt?

Das 1886 in der Schweiz gegründete Unternehmen hat ein kaum zu überblickendes Markennetz aufgebaut; die Produktpalette reicht von Bübchen-Babypuder über Maggi bis hin zu San-Pellegrino-Wasser. Mit einem Umsatz von knapp 82 Milliarden Euro 2018 ist Nestlé der weltgrößte Lebensmittelkonzern. Allein in Deutschland arbeiten 10 300 Mitarbeiter an insgesamt 15 Standorten.

Shitstorm für Klöckner

Dass Nestlé allerdings viele Kritiker hat, zeigte sich in dieser Woche wieder deutlich, als ein Twitter-Video von Ernährungsministerin Julia Klöckner zum Eklat wurde. Die CDU-Politikerin hatte dem Deutschland-Chef des Konzerns Platz auf dem offiziellen Ministeriumsaccount gegeben, Nestlés Bemühungen zur Fett- und Zuckerreduktion in Lebensmitteln zu loben. Daraufhin brach ein Shitstorm über der Ministerin herein, der man Schleichwerbung vorhält. Es geht aber auch gegen Nestlé, weil dem Konzern zahlreiche verwerfliche Geschäftspraktiken vorgeworfen werden.

Das gilt vor allem beim Wasser. Gut sieben Milliarden Euro hat das Unternehmen im vergangenen Jahr mit den abgefüllten Flaschen seiner 51 Marken umgesetzt. Was sich in der Konzernbilanz gut macht, gehe aber zulasten der Abgrabungsorte, beklagen Umweltschützer. Sie werfen Nestlé vor, die Quellen auszubeuten. Im französischen Ort Vittel etwa, nach dem Nestlé auch sein Mineralwasser benannt hat, füllt der Konzern täglich rund zwei Millionen Liter ab.

Nestlé gräbt, wo Wasser knapp ist

Die Folge: Der Grundwasserpegel sinkt dramatisch, dem Ort geht das Wasser aus. „Dieser Quelle wird aktuell mehr Wasser entnommen, als ihr natürlich zufließt“, muss der Konzern selbst einräumen. Deshalb wolle man die Abgrabungsmengen weiter freiwillig reduzieren – bis zum kommenden Jahr um insgesamt 100 Millionen Liter. Doch der Lebensmittelriese weiß selbst, dass auch das nicht reicht, um die Wasserknappheit zu beheben. Bald soll eine Pipeline überschüssiges Wasser aus anderen Regionen nach Vittel bringen.

Nicht nur in Frankreich sieht sich Nestlé starker Kritik ausgesetzt. Weltweit kauft der Konzern die Rechte von staatlichen Behörden, um Grundwasser abzupumpen. Seine Flaschen befüllt der Lebensmittelriese an insgesamt 95 Produktionsstätten, darunter in Südafrika, Pakistan und Kalifornien. Der Vorwurf: Dort, wo das Wasser ohnehin knapp ist, macht Nestlé ein Geschäft. Der Konzern verweist auf sein Nachhaltigkeitsprogramm. Bis zum Jahr 2025 will der Hersteller alle seine Standorte von der Initiative „Alliance for Water Stewardship“ zertifizieren lassen. Damit verpflichtet sich Nestlé zu mehr Nachhaltigkeit.

Palmöl lässt sich nicht immer zurückverfolgen

Doch auch bei anderen Umweltvergehen steht Nestlé immer wieder im Fokus. Schon im Jahr 2010 bezeichneten die Umweltschützer von Greenpeace den Konzern als einen Komplizen bei der Vernichtung des Regenwaldes. Denn auf den abgeholzten Flächen wird Palmöl angebaut, das in Nestlés Produkten wie Kitkat steckt. Das Unternehmen versprach Besserung, schuf Standards zum Schutz der Wälder und kündigte an, seine Lieferanten besser zu kontrollieren. Den gesamten Palmöleinkauf bis zur Plantage zurückverfolgen kann Nestlé nach eigenen Angaben aber noch immer nicht.

Kritik von Verbraucherschützern erntete Nestlé auch für seinen Vorstoß in Sachen Lebensmittelampel. Die Ampel, die in Großbritannien benutzt wird, soll zeigen, ob Lebensmittel viel Zucker, Fett oder Salz enthalten. Auch in Deutschland war über das Modell diskutiert worden, inzwischen hat sich das jedoch erledigt. Die Ampel markiert den Gehalt der Inhaltsstoffe mit Rot (ungesund), Gelb (unauffällig) oder Grün (gesund). Der Fett-, Salz- und Zuckergehalt wird dabei jeweils auf 100-Gramm-Portionen berechnet. Nestlé, Coca-Cola, Mondelez, Unilever und Pepsi hatten sich die Ampellösung zu eigen gemacht, aber mit einer Besonderheit: Sie wollten mit deutlich kleineren Portionsgrößen rechnen. Danach hätten selbst Chips und Nutella kein „Rot“ bekommen, hat die Organisation Foodwatch ausgerechnet.

Vom Wurstverkäufer zum veganen Lifestyle

Nestlé hat auf die öffentliche Kritik reagiert. „Wir sprechen mit jedem“, sagt Sprecher Alexander Antonoff, auch mit den Kritikern. So gibt es inzwischen einen NGO-Beirat, in dem sich Nestlé rund drei bis vier Mal im Jahr mit Vertretern von Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen trifft. Ähnlich häufig tagt der Verbraucherbeirat.

Zudem versucht der Konzern, gesellschaftliche Strömungen aufzugreifen. Von der Wursttochter Herta will man sich trennen, stattdessen hat man mit dem „Incredible Burger“ den ersten veganen Burger in die Supermärkte und in die Filialen von McDonald’s gebracht. Der Grund, warum sich Klöckner mit Nestlé getroffen hat: Der Konzern hat bereits einiges an Zucker, Fett und Salz in seinen Fertiggerichten, Müslis und Schokoriegeln eingespart – ganz so, wie es die Ministerin sich wünscht. Dabei setzt sie bislang aber nur auf freiwillige Lösungen statt auf verbindliche Vorgaben oder Steuern – vielleicht auch ein Zeichen der Macht von Nestlé.

Im Streit mit Edeka

Doch diese Macht kennt offenbar auch Grenzen. Deutlich wurde das im vergangenen Jahr, als ein Streit mit der Händlerallianz Agecore eskalierte, zu der auch die deutsche Supermarktkette Edeka gehört. Die Händler wollten damals die von Nestlé vorgeschlagenen Lieferkonditionen nicht akzeptieren und forderten niedrigere Einkaufspreise. Weil der Produzent nicht nachgab, warfen Edeka und Co. kurzerhand 30 Prozent der Nestlé-Produkte aus ihren Regalen. Plötzlich blieben die Plätze, an denen sonst Wagner-Pizza oder Kitkat-Riegel lagen, leer – und wurden nach und nach mit Konkurrenzprodukten befüllt.

Angesichts von rund zwei Milliarden Umsatz, die die Händlerallianz mit Nestlé-Produkten erwirtschaftet, ein herber Schlag, selbst für den Großkonzern. Nach mehreren Monaten kam es zur Einigung. Der Streit zeigte jedoch eine Entwicklung auf, die nicht nur Nestlé, sondern auch Unilever und anderen Markenherstellern Sorge bereiten dürfte. Dank immer vielfältigerer Eigenmarken, Food-Start-ups und eigenen Marketings wird der Handel selbstbewusster. Die Zeit, in der Marken von Nestlé allein wegen des großen Namens unverzichtbar für Kunden sind, scheint vorbei zu sein.

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