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Wirtschaft - 08.06.2019

Das Smartphone aus dem Dorf in Nordhessen

Zwei Brüder aus Deutschland produzieren seit 2014 eigene Smartphones. Mit nachhaltigen Rohstoffen wollen sie sich von der Konkurrenz abheben.

Die Shift-Gründer Samuel (l.) und Carsten Waldeck.

Ein Hightech-Dorf ist Falkenberg nicht. Ältere Häuser, Bauernhöfe, neue Einfamilienhäuser. 800 Einwohner leben hier, rund 30 Kilometer südlich von Kassel. In einem zweistöckigen Neubau hat sich die Shift GmbH niedergelassen. Samuel Waldeck (39), kahl rasierter Kopf, gepflegter Vollbart, lächelt. In der Hand hält er das, um das im von ihm zusammen mit seinem Bruder Carsten (47) und dem Vater gegründeten Unternehmen geht. Das erste faire, nachhaltig produzierte Smartphone aus Deutschland: Das Shift-Phone.

Im ersten Stock sitzen fünf junge Männer, darunter auch Geflüchtete, entspannt an Bildschirmen, vor sich in Einzelteile zerlegte Smartphones. Ende 2014 hat Shift die ersten Geräte ausgeliefert, bislang wurden mehr als 30.000 verkauft. „Ende des Jahres sollen es 50.000 sein“, sagt Carsten, ebenfalls Vollbart, auf dem Kopf eine graue Schiebermütze. Zum Vergleich: Samsung hat im vergangenen Jahr weltweit rund 295 Millionen Smartphones verkauft, Apple 209 Millionen und Huawei 203 Millionen.

Dass sich das erste in Deutschland konzipierte nachhaltige Smartphone in nur fünf Jahren zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt hat, können die Brüder immer noch nicht so recht fassen. „Dass es das Shift-Phone gibt, ist eigentlich unrealistisch“. Aber das neueste Modell liegt vor Carsten auf dem Tisch, zerlegt in Sekunden in seine 13 Einzelteile. „Das ist im Prinzip wie Lego“, lacht er. Damit kann alles ausgetauscht oder das Gerät einfach aufgerüstet werden.

Nicht verklebt, verbacken und gelötet

Schon in den neunziger Jahren hatten die beiden, Mediengestalter und Kommunikationsdesigner, erste Ideen für ein Smartphone, vor sechs Jahren war es dann soweit. Bis dahin hatten auch sie Smartphones genutzt. „Aber bei den meisten ist alles verklebt, verbacken und gelötet. Ein einfacher Austausch von Teilen ist nicht möglich“, sagt Samuel. Genau das haben die Shift-Phone-Macher geändert. „Wir wollten und bauen jetzt leistungsstarke und zugleich ressourcenschonende und modular aufgebaute Geräte.“

444 Euro müssen aktuell bei Bestellung und späterer Lieferung für das kleinste Shift bezahlt werden, 733 Euro für das teuerste. Zehn Prozent ist es teurer, wenn das Gerät sofort gewünscht wird. Das Betriebssystem basiert auf Android, Windows Phone soll auch möglich sein. Neue Akkus gibt es ab 20, Displays ab 55 Euro. Das verlängert die Lebens- und Nutzungsdauer. „Bei anderen Herstellern verwenden Studien zufolge weniger als 20 Prozent der Nutzer das Gerät länger als zwei Jahre.“ Mit Nachhaltigkeit hat das in den Augen der Waldeck-Brüder nichts zu tun.

Auch Shift-Phones brauchen Rohstoffe aus Afrika

Extrem wichtig sind beiden auch die Herkunft der Rohstoffe und die Arbeitsbedingungen. Im Kongo hat sich Carsten 2017 zertifizierte Minen angeschaut, wo Coltan – aus dem Tantal für die Kondensatoren gewonnen wird – und Gold geschürft wird. Die für auch die Shift-Phones unverzichtbaren Metalle sollen unter menschenwürdigen Bedingungen gefördert werden. „Wir wollen zudem Arbeitsplätze schaffen, an denen wir selbst gerne arbeiten würden,“ sagt Samuel. Und verweist auf den Service in Falkenberg und die eigene kleine Manufaktur im chinesischen Hangzhou, wo die Smartphones hergestellt werden. Weil alles gesteckt wird, sind keine Reinräume nötig, es gibt keine schädlichen Dämpfe durch Löten und Kleben.

50.000 Shift-Phones wollen die Brüder bis zum Jahresende verkaufen.

Auch in China gilt für die derzeit zehn Frauen und Männer der Acht-Stunden-Tag und die 40 Stunden-Woche bei sozialer Absicherung, Fortzahlung bei Krankheit und Mutterschutz. Shift zahlt umgerechnet mindestens 1.000 Euro – und damit das Dreifache des Mindestlohns. In Deutschland gilt ein Gehaltsplan mit sechs Stufen – von 1.700 bis 3.600 Euro brutto. Warum aber produzieren sie in China? „Die empfindlichen Bauteile wie Platinen, Displays, Kameras und Sensoren müssten für die Luftfracht aufwendig verpackt werden. Es fiele also viel Verpackungsmüll an“, sagt Carsten.

Shift arbeitet mit Crowdfunding

Natürlich muss auch Shift rentabel arbeiten. Aber den Waldecks geht es nicht um Rendite. „Der Gewinn bleibt im Unternehmen und wird investiert oder wir unterstützen soziale Projekte.“ Um dies zu sichern, erwägen sie, die GmbH in eine Stiftung zu überführen. „Nicht Gewinn-, sondern Sinnmaximierung ist unser Ziel“, sagt Samuel. Shift arbeitet ohne Bankkredite und fremde Kapitalgeber. Grundlage dafür, dass es trotzdem klappt und bei einem Umsatz von 3,6 Millionen Euro im vergangenen Jahr (nach 1,6 Millionen davor) schwarze Zahlen geschrieben werden, ist Crowdfunding. Shift-Phone-Käufer zahlen vorab für ihr Gerät, das erst dann hergestellt wird. Damit kann das Unternehmen die Module beziehen, Beschäftigte bezahlen und andere Kosten begleichen ohne Kredit und Kapital von Investoren.

Lieferkette lässt sich nicht bis zum Ende nachvollziehen

Gespräche mit großen Mobilfunkanbietern laufen freilich zäh. Erst wollen die Waldecks mit WeTell, dem ersten nachhaltigen Mobilfunkanbieter aus Freiburg kooperieren. Der will im Herbst loslegen. Daneben arbeiten die Brüder an Tablet-Displays, größeren Bildschirmen und Tastaturen. Sie können per W-Lan mit dem Shift-Phone verbunden werden. Es fungiert als Rechner. „Smartphones werden Laptops überholen“, ist sich Samuel sicher. Benötigt der Kunde mehr Leistung, müsse man nur das Smartphone aufrüsten oder ersetzen – ein weiterer Schritt zu mehr Nachhaltigkeit.

Die Brüder würden gerne noch nachhaltiger arbeiten. Aber trotz aller Mühe lässt sich die Lieferkette nicht bis zum Ende nachvollziehen. „Sie ist einfach zu lang“, sagt Samuel. Die Messlatte in Falkenberg liegt hoch, sehr hoch. „So viel Gutes zu tun wie wir können und dabei so wenig Schaden anzurichten wie möglich. Diesen Weg beschreiten wir nicht ohne Erfahrungen zu sammeln und Erkenntnisse zu gewinnen“, sagen die beiden Jung-Unternehmer.

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