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Wirtschaft - 10.05.2019

Die falsche Angst der Deutschen vor der Zerschlagung

Wenn von Zerschlagung eines Konzerns gesprochen wird, dann immer auch vom Ende einer Tradition und dem Verlust von Arbeitsplätzen. Ist das so richtig? Nein. Ein Kommentar.

Schwarzseher. Bei Thyssenkrupp herrscht die Angst vor der Zerschlagung – ebenso bei Siemens.

In Deutschland gibt es eine geradezu panische Angst vor Veränderungen. Und bezogen auf Unternehmen ist diese nochmal besonders stark ausgeprägt. Immer ist sofort von Zerschlagung die Rede, wenn ein Konzern seine Struktur verändern will. Kommt der Veränderungswunsch von Investorenseite wird, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, wieder der einst von Ex-SPD-Chef Franz Müntefering erfundene Heuschrecken-Vorwurf erhoben.

Beispielhaft lässt sich das gerade beim Gemischtwarenkonzern Thyssenkrupp beobachten. Das Unternehmen steht jetzt auch offiziell ohne echte Führung da, nachdem Aufsichtsratschef Ulrich Lehner sein Mandat Ende Juli niedergelegt hat. Ein Nachfolger für ihn ist bisher nicht in Sicht. Vorstandschef Heinrich Hiesinger hatte bereits Anfang Juli hingeschmissen. Schuld daran sind angeblich, auch das nicht untypisch für die deutsche Debatte, ausländischen Investoren wie der US-Hedgefonds Elliott und die schwedische Investmentfirma Cevian. Ein weiterer Ex-SPD-Vorsitzender, Sigmar Gabriel, verstieg sich sogar dazu, die Investoren wie Elliott als „Feinde der Demokratie“ zu bezeichnen. Geht es vielleicht auch etwas kleiner oder gar differenzierter?

Die heilige „Einheit des Konzerns“

Schon der Begriff Zerschlagung erfüllt alle Kriterien dessen, was spätestens seit Donald Trumps Amtsantritt auch eine breitere Öffentlichkeit unter dem Bezeichnung Framing kennt. Zerschlagen, das kann ja gar nichts Gutes bedeuten. Ein altes Traditionsunternehmen wird zerstört, viele Arbeitsplätze sind gefährdet – derartige Assoziationen lassen sich kaum vermeiden, und das ist genau in der Absicht derjenigen, die eine drohende Zerschlagung beklagen.

Aber hält eine solche Betrachtung objektiven Kriterien stand? Wohl eher nicht. Weder Cevian noch Elliott haben eine Zerschlagung von Thyssenkrupp gefordert. Sie haben frühzeitig die Konditionen kritisiert, zu denen Thyssenkrupp seine Stahlsparte in ein gemeinsames Joint-Venture mit dem indischen Stahlunternehmen Tata eingebracht hat. Das heißt, sie hielten die Auslagerung des Stahlgeschäfts grundsätzlich für richtig, haben aber vergeblich davor gewarnt, dass die Deutschen ihre Stahlsparte bei diesem Deal unter Wert in das neue Gemeinschaftsunternehmen abgeben.

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Diese Kritik lässt sich nicht so einfach als unberechtigt von der Hand weisen. Hinzu kommt, dass man bei Thyssenkrupp auch nach der Ausgliederung der Stahlsparte weiter auf die Idee des Konglomerats setzen wollte. Dahinter steckt die Idee, dass ein breiter Branchenmix innerhalb eines Konzerns Krisen besser abfangen kann, weil die jeweils gut laufenden Branchen zeitweise schlechter laufende Unternehmensteile quersubventionieren können. Ob das im Zeitalter der Digitalisierung noch funktioniert, darf bezweifelt werden. Hier zählen Schnelligkeit, Anpassungsfähigkeit an disruptive Entwicklungen und das Fokussieren auf Stärken. Bestes Beispiel dafür ist die Aufzugssparte von Thyssenkrupp. In diesem Bereich hätte der Konzern das Potenzial, Weltspitze zu sein. Es gelingt aber nicht, den Abstand zu den Wettbewerbern zu verringern, weil stattdessen viel Geld intern verschleudert wird, um die heilige „Einheit des Konzerns“ zu erhalten.

Vorstellungen aus den 60er Jahren

Wie willkürlich das Zerschlagungs-Argument eingesetzt wird, zeigt sich auch bei Siemens. Dort setzt Vorstandschef Joe Kaeser seit längerem auf Verkäufe von nicht profitablen Unternehmensteilen, Börsengänge von Töchterunternehmen (wie im Falle der Medizintechniksparte) oder Auslagerung von Geschäftsfeldern wie der Zugsparte in ein Join-Venture mit dem französischen Alstom-Konzern. Dagegen hat Sigmar Gabriel offenbar nichts, will er doch bei Siemens- Alstom ab März 2019 einen Sitz im Verwaltungsrat übernehmen.

Siemens will jetzt noch einen Schritt weitergehen und den einzelnen Bereichen mehr unternehmerische Verantwortung einräumen. Dazu soll die Zentrale in München verschlankt werden, operativ will man sich auf drei weitgehend unabhängig agierende Kernbereiche konzentrieren: „Gas and Power“, „Smart Infrastructures“ und „Digital Industries“. Darüberhinaus behält man strategische Beteiligungen wie die an Siemens-Alstom. So schafft Kaeser einen agilen, wendigen Flottenverband unabhängiger Unternehmen, anpassungsfähig im Zeitalter der Digitalisierung. Das könnte auch für Thyssenkrupp eine strategische Blaupause sein. Aber in Duisburg richtet man sich auch im 21. Jahrhundert lieber noch nach den Vorstellungen des ehemaligen Eigentümer Alfred Krupp aus den 60er Jahren. Damit ist aber niemandem geholfen, weder Investoren noch Arbeitnehmern.

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