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Wirtschaft - 25.06.2019

Ein Ex-Grünen Politiker soll Bayer retten

Matthias Berninger war Spitzenpolitiker der Grünen. Jetzt ist er Cheflobbyist der Monsanto-Mutter Bayer. Ein Porträt.

Hoffnungsträger und Krisenmanager: Matthias Berninger soll den deutschen Konzern aus der Glyphosat-Krise befreien.

Für Matthias Berninger war es ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte. „Das hätte ich mir nie verzeihen können“, sagt der 48-Jährige. Gut ein Jahr ist es her, dass der Chef des Bayer-Konzerns, Werner Baumann, bei Berninger in Washington anrief und ein Jobangebot für ihn hatte. Ob er nicht Chef für „Public and Governmental Affairs“ – also oberster Politik-Lobbyist – bei Bayer werden wollte, fragte Baumann.

Um Berninger vom US-Süßwarenkonzern Mars wegzulocken, wo er zwischenzeitlich zum „Global Head of Public Policy“ aufgestiegen war, war Baumann sogar bereit, ihm den Umzug an den Rhein zu ersparen und ihn von Washington aus arbeiten zu lassen – da, wo die Familie lebt. Der so Umworbene sagte zu, zum Verdruss seiner Parteifreunde. Denn Berninger war einst grüner Spitzenpolitiker und hat auch heute noch ein grünes Parteibuch. Ein Grüner als Cheflobbyist von Bayer? Für viele in der Partei ist das ein Sündenfall– spätestens seitdem Bayer den US-Saatgutkonzern Monsanto übernommen hat.


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„Ich bin zu Bayer gegangen wegen Monsanto und nicht trotz Monsantos“, sagt Berninger. Seit Januar ist er bei Bayer. Der Konzern könne entscheidend dazu beitragen, die großen Probleme der Menschheit zu lösen, meint er, nämlich die Ernährung der wachsenden Bevölkerung und die medizinische Versorgung.

Um die Menschen satt zu bekommen, ohne der Natur immer mehr Flächen für die Landwirtschaft abzuringen, seien moderne Technologien nötig: wirksame Pestizide, das richtige Saatgut, der Einsatz digitaler Technik auf den Feldern. Die Grünen sehen das anders: Sie wollen die Öko-Agrarwende – möglichst ohne Gentechnik, Unkraut- und Insektenkiller. Also ohne alles, für das Monsanto steht.

Auch wenn Bayer große Hoffnungen mit Monsanto verbindet, macht die US–Tochter im Moment vor allem eines: Probleme. In den USA klagen mehr als 13.400 Menschen, weil sie glauben, dass das von Monsanto vertriebene Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat ihnen Krebs eingebrockt hat. Die ersten drei Prozesse gingen für Bayer verloren. Zwei Milliarden Dollar Schadensersatz sollen die Leverkusener allein einem der Kläger, dem Ehepaar Pilliod, zahlen. Es gibt Klagen in Frankreich und Australien wegen Glyphosat, Los Angeles will Bayer für die Reinigung von Gewässern zur Kasse bitten, die mit PCB aus dem Hause Monsanto verunreinigt sein sollen.

Der meistverkaufte Unkrautvernichter: das Glyphosathaltige Mittel Roundup aus dem Haus Monsanto.

Der Aktienkurs ist im Keller, die Aktionäre sind sauer. Auf der Hauptversammlung verweigerten die Anteilseigner dem Vorstand die Entlastung, ein Eklat. An der Börse ist Bayer nur noch 50 Milliarden Euro wert, weniger als die 63 Milliarden Dollar, die man einst für Monsanto bezahlt hatte. Übernahmegerüchte gehen um, 156 Jahre nach seiner Gründung kämpft Bayer um seine Existenz.

Und um seinen guten Ruf. Denn das Erbe von Monsanto zehrt auch am Image der Deutschen. Geheime Listen, auf denen die Amerikaner die Namen ihrer Kritiker geschrieben haben, von Monsanto bezahlte Kampagnen von Bauern, die sich für Gentechnik und Pestizide stark machen, und Knebelverträge für Bauern in der dritten Welt haben Monsanto zum Feind von Umweltschützern und Grünen-Politikern gemacht.

Die politische Karriere von Matthias Berninger

Und nun haben die Grünen es mit einem zu tun, der früher einer ihrer Hoffnungsträger war. Statt Lehrer für Chemie und Sozialkunde zu werden, zieht Matthias Berninger 1994 mit 23 Jahren in den Bundestag ein und ist der bis dato jüngste Abgeordnete der Republik. 2001 wird seine Parteifreundin Renate Künast Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Sie holt den Hessen als Parlamentarischen Staatssekretär ins Ministerium. 2005 verliert die rot-grüne Koalition ihre Mehrheit. Berninger wird wirtschaftspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, er schafft den Wiedereinzug ins Parlament, aber wechselt 2007 zu Mars und damit in die Wirtschaft.

So wie es auch viele andere aus seiner Partei nach dem Ende von Rot-Grün tun. Ex-Außenminister Joschka Fischer gründet eine eigene Beratungsfirma, die einstige Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium Magareta Wolf heuert bei einer Unternehmensberatungsfirma an. Rezzo Schlauch, einst Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, rettet sich sofort nach dem Regierungsaus 2005 zum Stromversorger ENBW.

Zwei Milliarden Dollar Schadensersatz: Das haben Alva Pilliod (links) und seine Frau Alberta von einer Geschworenenjury…

Einen Grünen zum Cheflobbyisten zu machen, ist ein Husarenstück von Bayer-Chef Baumann. Doch für viele Grüne ist Berninger schon lange nicht mehr einer von ihnen. Einige Menschen habe er vorgewarnt, bevor der neue Bayer-Job publik gemacht worden ist, erzählt Berninger. Allerdings sei das Verhältnis zu einigen Freunden seit dem Seitenwechsel „weniger herzlich“, räumt der fünffache Familienvater ein. Das dürfte auch für die Beziehung zu seiner einstigen Chefin und erklärten Glyphosat-Gegnerin Renate Künast gelten. „Matthias Berninger hat sich vor zwölf Jahren aus der Politik zurückgezogen“, sagt sie. „Dass ich mich heute wundere, ist unerheblich.“

Welchen Weg Berninger persönlich bei der Berufswahl gehe, „entscheidet er allein“, betont die Grünen-Politikerin. „Wir überprüfen nicht die Berufe unserer Mitglieder, das ist Privatsache, jedenfalls so lange man kein politisches Amt oder Mandat hat“, sagt auch Harald Ebner, Sprecher für Gentechnik- und Bioökonomiepolitik der Grünen-Fraktion. „Problematisch ist dagegen, dass Bayer diese private Eigenschaft ihres neuen Mitarbeiters herausstellt und für Imagewerbung missbraucht.

Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.“ Auch NGOs sehen die Karriere kritisch. „Nach eigenen Worten will Matthias Berninger durch sein Engagement bei Bayer den Welthunger bekämpfen. Wenn Herr Berninger wirklich den Welthunger bekämpfen will, dann hat er sich als ‚Baysanto‘-Lobbyist den falschen Job ausgesucht“, meint Oliver Huizinga von Foodwatch.

Konflikte scheut Berninger nicht

Berninger ficht das nicht an. Konflikte scheut er nicht. Als Realo war er einst Teil der Pizza-Connection – einer Gruppe von Grünen und Unionspolitikern, die sich beim Italiener zum Netzwerken trafen. Auch über Koalitionen mit der FDP, der SPD und der Union dachte er offen nach, zum Ärger vieler Parteimitglieder. Nun ist es Monsanto. Berninger glaubt an das Potential, das die Amerikaner mitbringen. Mit der Gentechnik hat er keine Berührungsängste. Bei Mars hat er durchgesetzt, dass Produkte mit Gentechnik klar gekennzeichnet werden – gegen den Willen Monsantos.

Bayer-Chef Werner Baumann steht unter Druck: Der Aktienkurs ist im Keller, die Aktionäre sind sauer.

Bayer sei eine „Schatztruhe, die allerdings auch mit Themen aus der Vergangenheit umgehen muss“, glaubt Berninger. Das gelte nicht nur für Monsanto, sondern auch für die Bayer-Vorläuferin IG Farben, die im Dritten Reich Konzentrationslager-Häftlinge als Arbeitssklaven eingesetzt hatte. Heute ist Bayer ein wertebasiertes Unternehmen, sagt Berninger, das für Führung, Integrität, Flexibilität und Effizienz stehe.

Wie Bayer „grüner“ werden will

Diese Werte soll er nach außen vertreten. Inzwischen hat sich sein Aufgabengebiet um den Punkt „Nachhaltigkeit“ erweitert. Es gibt erste Pläne: Um 30 Prozent will Bayer die Auswirkungen seiner landwirtschaftlichen Produkte auf die Umwelt senken, 25 Milliarden Euro will man in den nächsten zehn Jahren in die Forschung für eine nachhaltigere Landwirtschaft investieren, davon allein fünf Milliarden in zusätzliche Methoden zur Unkrautbekämpfung als Alternativen zu Glyphosat.

Alternativen zu Glyphosat: Bayer investiert fünf Milliarden Euro in die Forschung.

Berninger will Kritiker einbinden und Studien allen zugänglich machen. Er sucht den Kontakt zu Glyphosat-kritischen Regierungsmitgliedern in Frankreich, Österreich und Deutschland. Und er plant eine Selbstverpflichtung, die nicht nur Bayer, sondern die gesamte Agrotechnikbranche unterschreiben soll: „Wir wollen, dass Pflanzenschutzprodukte in Entwicklungsländern nur dann eingesetzt werden, wenn sie sowohl lokale Sicherheitsstandards erfüllen als auch die Anforderungen einer Mehrheit der weltweit führenden Zulassungsbehörden“, sagt er.

Berninger weiß, dass schnell etwas geschehen muss, um das Ruder herumzureißen. Er ist viel unterwegs, in Washington beginnt der Arbeitstag früh. Sein Vertrag ist unbefristet, er berichtet direkt an den Vorstandschef.
Der Familienvater ist in dritter Ehe verheiratet, die Kinder sind zwischen zehn und 24 Jahre alt. In Washington will er bleiben. Doch Monsanto ist auch für das Familienleben eine Zeitbombe. Denn eigentlich wollte Berninger im Mai den Muttertag mit seiner Frau feiern, doch dann musste er sich in den Flieger nach Deutschland setzen.

In Frankreich waren die Spitzellisten von Monsanto bekannt geworden, für Berninger war das eine böse Überraschung – aber auch die Gelegenheit zu zeigen, dass Bayer solche Praktiken ablehnt. Von Freitag bis Sonntag arbeitete er durch, am Montag hielt er eine Telefonkonferenz mit Journalisten ab. Und distanzierte sich von Monsanto. Es gebe viele Beispiele, „in denen Monsanto nicht den Ball gespielt hat, sondern auf den Mann oder die Frau gegangen ist“, räumte Berninger ein. Zumindest das werden die Grünen gern gehört haben.

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