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Wirtschaft - 20.11.2018

Finanzamt nimmt mit Trick 215 Millionen Euro mehr ein

Mit der Luftverkehrsteuer will der Bund jedes Jahr eine Milliarde Euro einsammeln. Tatsächlich ist es viel mehr. Airlines und Passagiere müssen zahlen.

Die Airlines belastet die Steuer stark.

Haben Haushaltspolitiker und Finanzminister einmal eine Steuer eingeführt, können sie sich nur schlecht davon trennen. Der Solidaritätszuschlag („Soli“) ist ein Beispiel dafür. Oder man denke an die im Jahr 1902 vom Reichstag eingeführten Schaumweinsteuer: Die Einnahmen daraus sollten beim Aufbau der kaiserlichen Kriegsflotte helfen. Im Jahr 1905 steuerte die Abgabe zwar nur mickrige 0,6 Prozent der benötigten Summe bei, doch bisher hielt jede Regierung seither an ihr fest. Heute gibt es weder Kaiser noch kaiserliche Flotte, die Schaumweinsteuer aber sprudelt weiter: 2017 spülte sie knapp 384 Millionen Euro in den Bundeshaushalt.

 Nach diesem Muster hatte der Bundestag vor acht Jahren mit Mehrheit der Union und FDP die Einführung der Luftverkehrsteuer beschlossen. Die Fluggesellschaften sollte damals einen Beitrag in Höhe von einer Milliarde Euro jährlich „zur Konsolidierung des Bundeshaushalts und zum Abbau des Haushaltsdefizits“ leisten, lautete die Begründung. Die Politik versprach auch regelmäßige „Evaluierungen“, man wolle die heimischen Unternehmen ja nicht zu stark belasten. Doch weder ein historisch langer Konjunkturaufschwung mit entsprechenden Rekordsteuereinnahmen noch die Pleite der Air Berlin veranlassten die Bundeshaushälter, auf diese Einnahmen zu verzichten.

  Der Bundestag stimmt über den Steuersatz für 2019 ab

Es ist ein Lehrstück, wie eine Regierung ihre Steueransprüche stetig ausweitet, sich nicht an vorherige Absprachen oder gar Gesetzestexte hält. Unternehmen und deren Kunden haben wenig bis keine Handhabe, das zu ändern. Am heutigen Dienstag stimmt der Bundestag über den Steuersatz für 2019 ab.


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 Alle Fluggesellschaften müssen seit Januar 2011 für Passagiere, die auf einem deutschen Flughafen ihre Flugreise beginnen, einen nach Entfernung zum Zielort gestaffelten Betrag an den Fiskus abführen – derzeit sind es 7,46 Euro, 23,31 beziehungsweise 41,97 Euro pro Passagier und Flug. Entsprechend des Luftverkehrssteuergesetzes sollen die Sätze jedes Jahr angepasst werden, so dass die Gesamtbelastung der Branche aus der Steuer und dem EU-Emissionshandel bei besagter einer Milliarde Euro faktisch gedeckelt wird. 

  Eigentlich müsste der Steuersatz sehr viel stärker sinken

Der Bundestag, der am Dienstag abschließend über den Verkehrsetat beraten wollte, sollte beschließen, dass die Steuersätze jeweils um wenige Cent auf 7,38 Euro, 23,05 und 41,49 Euro pro Passagier und Flug sinken. Das entspricht einem Minus von 1,63 Prozent. Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) rechnet aber vor, dass die Sätze eigentlich um 19,3 Prozent sinken müssten, damit der Staat „nur“ die angekündigte Milliarde einnimmt.

Der „Trick“ des Finanzministeriums: Es rechnet bei der Festsetzung der Steuersätze zwar die Einnahmen aus dem Emissionshandel dagegen, berücksichtigt aber nicht das Verkehrswachstum. Da der Verkehr aber auch hierzulande leicht zunimmt, steigen die Einnahmen. Würden die Beamten diesen Effekt berücksichtigen, würde sich ein Langstreckenflug immerhin um 7,46 Euro pro Strecke verbilligen. Das geht aus dem aktuellen und bisher unveröffentlichtem Evaluierungsbericht des Branchenverbandes hervor, der dem Tagesspiegel vorliegt.

  Der Staat nimmt mehr als eine Milliarde Euro ein

Nachdem die Steuer in den ersten Jahren jeweils etwas weniger als eine Milliarde einbrachte, waren es seit dem Jahr 2015 stets mehr. So nahm der Bund 2017 exakt 1,141 Milliarden Euro ein. Vier deutsche Luftfahrtunternehmen (Lufthansa-Gruppe, Air Berlin, Condor, TUIfly und Germania) zahlten hiervon mehr als 50 Prozent, über 100 meist ausländische Fluggesellschaften, respektive deren Passagiere, brachten den Rest auf. In diesem Jahr dürfte der deutsche Staat 1,175, im kommenden Jahr sogar 1,215 Milliarden einnehmen, heißt es in dem Papier weiter.

 „Das wird auf der einen Seite die Flugpreise etwas ansteigen lassen. Vor allem aber wird es die Wettbewerbsfähigkeit und Investitionskraft der deutschen Luftverkehrsunternehmen noch weiter schwächen, denn diese können aufgrund des intensiven Wettbewerbs nur Teile dieser schleichenden Erhöhung des Steueraufkommens an die Kunden weitergeben und müssen diese zu großen Teilen aus ihrer Bilanz begleichen“, erklärt ein Sprecher des Branchenverbandes dazu.

 Für Air Berlin war die Steuer eine enorme Belastung

Der einzelne Fluggast zahlt in Deutschland pro Flug wegen der Steuer ein paar Euro Fuffzig pro Flug mehr, was im Einzelfall vielleicht zu verkraften ist. Für die Branche aber entpuppt sie sich als extreme Belastung: So flog die Air Berlin über die Jahre seit 2001 bis zum ersten Halbjahr 2017 in der Summe Verluste von 2,1 Milliarden Euro ein. In demselben Zeitraum musste die Airline rund eine Milliarde Euro Luftverkehrsteuer abführen, was also knapp der Hälfte ihrer roten Zahlen ausmachte. Sicher hatte die Airline auch andere Defizite, aber wäre die Air Berlin ohne diese Steuer heute womöglich noch am Markt?

Seit Einführung der Steuer 2011, rechnet der BDL vor, nahm der Luftverkehr in den Benelux-Ländern um 56 Prozent zu, in Skandinavien im Schnitt um um 39 Prozent. Dort gibt es eine derartige Steuer nicht – beziehungsweise nicht mehr. In Deutschland und in Österreich (wo man mittlerweile eine Halbierung dieser Steuer beschlossen hat) wuchs der Luftverkehr im selben Zeitraum nur um 23 beziehungsweise 18 Prozent.

  Laut Koalitionsvertrag soll die Branche entlastet werden

„Union und SPD haben sich mit ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, die Fluggesellschaften und Flughäfen von einseitigen nationalen Kosten zu entlasten. Faktisch geschieht nun das Gegenteil“, sagt BDL-Hauptgeschäftsführer Matthias von Randow. „Statt Belastungen abzubauen wird auf dem Verordnungswege das Aufkommen aus der Luftverkehrsteuer sogar erhöht. So wird der Luftverkehrsstandort Deutschland im internationalen Wettbewerb weiter geschwächt und unseren Unternehmen werden noch mehr Mittel für Investitionen in energieeffiziente und lärmreduzierte Flugzeuge entzogen.“

 Für die 3,8 Milliarden Euro, die die heimischen Airlines seit 2011 wegen dieser Steuer zahlen mussten, hätten sie auch rund 45 spritsparendere und leisere Flieger vom beliebten Typ Airbus A320neoanschaffen können, um die Flotten zu modernisieren, rechnete von Randows Verband vor. Ob diese Rechnung so aufgeht, steht auf einem anderen Blatt. Aber der Kaiser hätte sicher seine Freude daran gehabt.

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