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Wirtschaft - 01.12.2018

Im Gleichgewicht

Im Wettbewerb um Fachkräfte setzt der öffentliche Dienst zunehmend auf das Argument einer ausgewogenen Work-Life-Balance. Aber noch ist die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit groß.

Die Füße baumeln lassen. Ein Grundsatz gilt für alle Arbeitnehmer: Pausen sind gesund.

Die meisten Menschen arbeiten gerne. Wenn ihnen ihr Job Spaß macht, das berufliche Umfeld stimmt, wenn sie von ihrer Arbeit leben können. Und wenn außer der Arbeit auch das Privatleben nicht zu kurz kommt – wenn also das Gleichgewicht zwischen beidem stimmt, die sogenannte Work-Life-Balance. Dieses Argument hat auch der öffentliche Dienst im Konkurrenzkampf um gut ausgebildetes Fachpersonal entdeckt. In Ausschreibungen betonen Bund, Länder und Kommunen zunehmend die Möglichkeit, durch Teilzeitlösungen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erleichtern.

In Berlin nimmt derzeit aber nur gut ein Fünftel der Landesbeschäftigten (21,3 Prozent) das Teilzeitangebot an, wie der Personalstatistik vom Januar 2018 zu entnehmen ist. Bundesweit sind es immerhin rund 28 Prozent der Beschäftigten, so die 2016 erschienene Studie „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA).

Für die Studie wurden rund 20 000 Erwerbstätige in ganz Deutschland zum Thema Work-Life-Balance befragt, etwa ein Fünftel der Interviewten, waren Beamte oder Tarifbeschäftigte. Mehr als 80 Prozent dieser öffentlich Beschäftigten gaben an, dass ihnen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sehr wichtig sei – und wünschten sich eine Wochenarbeitszeit von maximal 36 Stunden.

Teilzeit – ein Karrierehemmnis?

Die Diskrepanz zwischen Wunsch und praktischer Umsetzung habe viele Gründe, sagt Autorin Anne Marit Wöhrmann: „Zum einen befürchten die Mitarbeiter finanzielle Einbußen, die sich später auf die Rente auswirken.“ Zudem gelte Teilzeitarbeit immer noch als Karrierehemmnis. „Wer nicht da ist, wird nicht gesehen.“ Das schrecke vor allem männliche Beschäftigten ab.


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Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel von Markus Müller. Der Referatsleiter im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) arbeitet 30,75 Stunden, des entspricht 75 Prozent der üblichen Arbeitszeit. Seine Führungsaufgaben teilt er mit einer Kollegin. „Ich habe mich entschieden, die Arbeitsstunden zu reduzieren, weil ich eine Führungsposition in Teilzeit übernehmen wollte und meine Frau und ich gleichberechtigt unser Kind erziehen wollen“, sagt der Beamte.

Teilzeit und Jobsharing: In Führungspositionen ist das immer noch eine seltene Kombination. Doch die Kolleginnen und Kollegen akzeptieren das, berichtet Müller, der an vier Tagen in der Woche im BMAS arbeitet, aber auch mal Sachen vom Home-Office aus erledigen kann: „Aber man muss gut organisiert sein, die Kommunikation im Team muss stimmen, auch die technischen Voraussetzungen müssen gegeben sein. Das Wichtigste aber ist, dass unser Haus den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei der Umsetzung der Teilzeit sehr entgegenkommt.“

Für seinen Einsatz für eine „familien- und lebensphasenbewusste Personalpolitik“ ist das BMAS gerade zum vierten Mal mit dem „audit berufundfamilie“ ausgezeichnet worden. Audit-Beauftragte Manuela Wirth beschäftigt sich schon seit zehn Jahren mit neuen Arbeitsmodellen im Ministerium. „Wir sehen uns da auch in einer Vorbildfunktion. Wir können der Wirtschaft ja schlecht sagen, dass sie verstärkt Teilzeitmodelle einführen soll, und dann selbst nichts unternehmen.“

Die Arbeitszeitmodelle im öffentlichen Dienst sind sehr unterschiedlich. Geblockte Teilzeit bedeutet etwa, dass die Mitarbeiter nur an bestimmten Tagen Vollzeit arbeiten und mit den Kollegen absprechen, wann sie anwesend sind. Wer Telearbeit nutzt, kann bestimmte Arbeiten vom Home-Office aus erledigen. Es gibt auch die Idee der sogenannten Tagesflexibilität – das heißt zum Beispiel, man beginnt morgens zu arbeiten, kümmert sich am Nachmittag um die Familie und nimmt abends wieder Termine wahr. Es besteht auch die Möglichkeit eines Kurz-Sabbaticals: Man spart Arbeitszeit an oder reduziert über eine längere Zeit sein Gehalt, um die Eingewöhnungsphase des Kinds im ersten Schuljahr begleiten zu können oder sich um pflegebedürftige Angehörige zu kümmern.

Eine gute Work-Life-Balance sei durchaus ein Werbe-Argument für den öffentlichen Dienst, sagt Frank Zitka, Sprecher des Deutschen Beamtenbundes: „Verwaltungen haben den Vorteil, dass sie nicht der Gewinnmaximierung verpflichtet sind. Gerade bei der jüngeren Generation kann man mit Themen wie beruflicher Sicherheit, Gemeinschaftssinn und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie erheblich punkten.“

Mehr Stellen nötig

Allerdings seien in vielen Bereichen Präsenz und direkter Kontakt zu den Bürgern wichtig. Das macht die Umsetzung von Teilzeitmodellen schwierig. „Nehmen Sie alle Behörden, in denen Schichtdienst üblich ist, vom Polizeidienst über die Bereitschaft in Krankenhäusern, Feuerwehr, Justizvollzugsanstalten oder bei den Versorgungsbetrieben, da häufen sich sowieso schon die Überstunden. Ohne zusätzliche Stellen kann sich da wenig ändern“, sagt Zitka.

Die Überbelastung drückt zusätzlich auf das Wohlbefinden der Mitarbeiter. Vor allem Wochenendarbeit, ständige Erreichbarkeit und Überstunden machen es schwer, Job und Familienleben zu vereinbaren. „Wir sehen das auch am aktuellen Fehlzeitenreport im öffentlichen Dienst von 2017“, sagt Werner Mall von der AOK Nordost, „12,6 Prozent der Krankschreibungen haben psychische Gründe, 21,4 Prozent sind Muskelskeletterkrankungen, meist Rückenschmerzen, die stressbedingt sind“, so der Präventionsberater der Krankenkasse. Er und sein Team beraten Unternehmen und Verwaltungen zu Betriebsgesundheit und Vorsorge. „Die Unternehmenskultur verändert sich langsam“, sagt Mall. „Aber immer mehr Firmenchefs und Vorgesetzte sehen, dass flexiblere Arbeitszeitmodelle und neue Ansätze in der Arbeitsorganisation dazu führen, dass die Mitarbeiter viel motivierter und gesünder sind.“

Ein weiterer Schwerpunkt bei der Förderung der Work-Life-Balance ist deshalb auch ist das innerbetriebliche Gesundheitsmanagement, für das jeweils die einzelnen Dienststellen des öffentlichen Dienstes zuständig sind. Dabei geht es neben Programmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen auch um Angebote zur Gesundheitsförderung – von der Ernährungsberatung bis zur Raucherentwöhnung. Das Intranet der Verwaltungen hilft etwa bei der Suche nach Lauftreffs, Bowlingteams und Yogakursen.

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