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Wirtschaft - 11.03.2019

„Im Handwerk ist der Arbeitnehmer keine Nummer“

Stephan Schwarz tritt nach 16 Jahren als Präsident der Berliner Handwerkskammer ab. Im Interview zieht er Bilanz.

Stephan Schwarz ist Unternehmer und Präsident der Handwerkskammer Berlin. Dieses Amt gibt er nun auf.

Er wurde im Jahr 2003 jüngster Handwerkskammer-Präsident Deutschlands. Nun spricht Stephan Schwarz über seine Verbandstätigkeit in Berlin, über Flüchtlingshilfe und die Entwicklung der Hauptstadt.

Herr Schwarz, mit 53 Jahren treten Sie ab als Kammerpräsident. Warum jetzt schon?

Ich leite immer noch ein Unternehmen. Und im nächsten Jahr feiert die GRG den 100. Geburtstag. Darauf freuen wir uns, das will vorbereitet sein. Für ein Familienunternehmen ist so ein Geburtstag eine gute Gelegenheit, um sich bei den Mitarbeitern zu bedanken.

Wenn das Jubiläum nicht wäre, blieben Sie Handwerkspräsident?


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Nein. Ich mache das 16 Jahre. Eine solche Ehrenamtstätigkeit hängt auch ab von Ideen und ständiger Erneuerung. Neue Impulse müssen manchmal von neuen Menschen gesetzt werden.

Ihnen sind die Ideen ausgegangen?

Es macht mir immer noch großen Spaß, doch wenn der Verdacht der Routine aufkommt, werde ich misstrauisch. Dann ist der richtige Zeitpunkt für den Wechsel.

Wie sind Sie 2003 zu dem Amt gekommen?

Die Stimmung war sehr schlecht in der Wirtschaft insgesamt und im Handwerk. Der Zentralverband des Handwerks organisierte damals eine Demonstration, und man bat mich, als mittelständischer Unternehmer eine Rede zu halten am Veranstaltungsort im Tempodrom.

Und da haben Sie Stimmung gemacht?

Das war gar nicht nötig, weil die Leute so sauer waren. Ich bekam jedenfalls viel Applaus. Dann war der damalige Wirtschaftsminister Wolfgang Clement an der Reihe und wurde gnadenlos ausgepfiffen. Ich stand mit auf der Bühne und fand den psychischen Druck enorm, von dem sich Clement aber nichts anmerken ließ und einfach seine Rede hielt.

Ihr Auftritt war so gelungen, dass Sie der damalige Berliner Handwerkspräsident Hans-Dieter Blaese fragte, ob Sie sein Nachfolger werden wollten.

Dabei wusste ich bis dahin nicht viel über das Kammerwesen. Aber ich war immer politisch interessiert und neugierig, ließ mich also auf die Kandidatur ein und wurde gewählt.

Der damals 72-jährige Zimmerermeister Blaese war mehr als 20 Jahre Präsident gewesen. Dann kam ein Jungspund mit philosophischer Ausbildung in die doch eher konservative Organisation.

Ich habe mich dann erstmals mit der Selbstverwaltung der Wirtschaft befasst, und das gefiel mir. Auch den Sinn der Pflichtmitgliedschaft in den Kammern habe ich verstanden, denn das System funktioniert nur, wenn alle mitmachen.

Gab es keine Vorbehalte gegen den Grünschnabel?

Nein. Ich wurde als jüngster Kammerpräsident Deutschlands nett aufgenommen.

Berlin hing durch vor 16 Jahren und war die Arbeitslosenhauptstadt. IHK und Handwerkskammer forderten die Privatisierung der Wohnungsbaugesellschaften, von der Messe Berlin und der Charité.

So waren die Zeiten. Die Stadt hatte mehr als 60 Milliarden Euro Schulden, es ging nicht voran und wir versprachen uns vom privaten Kapital mehr Dynamik. Heute würde ich auch sagen, es wäre besser wir hätten die GSW und die GSG nicht verkauft. Die Dinge haben sich einfach verändert.

2007 forderten Sie ein Wachstumskonzept für die kommenden zehn Jahre vom Senat. Nach der Finanzkrise ging es dann von 2009 auch ohne Konzept rasant nach oben. Trotz oder wegen der Politik?

Die Politik hat dazu Grundlagen gelegt. Ohne die Entscheidung, den Regierungssitz nach Berlin zu legen, wäre hier wirtschaftliche Flaute. Und dann muss man Klaus Wowereit hoch anrechnen, dass er in Zeiten des extremen Sparens zwei Dinge nicht vernachlässigt hat: Kultur und Wissenschaft. Warum brauchen wir drei Opernhäuser und überproportional hohe Ausgaben für die Kultur? Weil wir in diesem Bereich exzellent sind. Das gilt auch für Universitäten, Fachhochschulen und Forschungseinrichtungen. Die Berliner Politik hat sich immer zum Wissenschaftsstandort bekannt.

Und das hat die Dynamik forciert?

Ein bestimmtes Reizklima ist entstanden, eine spezielle Dichte von Kultur und Wissenschaft, die spannende Menschen nach Berlin gezogen hat. Und diese Menschen geben wiederum wichtige Impulse für die Stadt. Doch wir liegen immer noch deutlich unter dem Bundesdurchschnitt beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf. Das gibt es in keiner anderen Hauptstadt. Heute liegt das Einkommen bei rund 38000, in Hamburg bei 64000 Euro. Da ist noch viel Luft nach oben.

Hat Ihrer Firma die Dynamik Berlins geholfen bei der Mitarbeiterakquise?

Durchaus. Von unseren 4200 Mitarbeitern sind knapp 2000 in Berlin beschäftigt. Insgesamt haben wir in unserer Belegschaft inzwischen mehr als 100 Nationen. Zunehmend auch Geflüchtete, wie im Handwerk insgesamt.

Sie haben einmal gesagt, ob Wirtschaftsflüchtling oder Asylbewerber aus Angst vor Krieg und Folter, sei Ihnen ziemlich gleichgültig, die deutsche Wirtschaft brauche schlicht viele Migranten.

Für diese Einstellung gab es nicht nur Applaus, doch im Handwerk war uns die Bedeutung von Zuwanderung immer klar. Wir waren die erste Kammer in Deutschland, die sich um die Integration von Flüchtlingen gekümmert hat: 2014, als wir mit Arrivo angefangen haben.

Eine Berliner Initiative zur Integration.

Arbeits- und Integrationssenatorin Dilek Kolat und ich haben damals überlegt, was mit den jungen Leuten zu machen wäre, die in Kreuzberg den Oranienplatz besetzten. Als 2015 immer mehr Bürgerkriegsflüchtlinge kamen, hatten wir mit Arrivo bereits ein Modell, das wir nutzen konnten. Das Handwerk war von Anfang dabei, wir brauchten ja Betriebe. Und es war eine meiner leichtesten Aufgaben, diese Betriebe zu finden. Arrivo läuft bis heute sehr gut und ist erweitert worden.

Wie funktioniert die Integration?

Arbeit ist der wichtigste Faktor dafür. Es funktioniert in den Betrieben und zunehmend auch in den Berufsschulen. Dort war verboten, zur Prüfung Bücher zu benutzen. Das gilt auch für Wörterbücher, was natürlich Quatsch ist. Inzwischen wurde das verändert. Oder die Prüfungszeit: Die Azubis mit Lese- und Schreibschwäche haben bei Prüfungen ein größeres Zeitkontingent. Für Flüchtlinge galt das ursprünglich nicht. Auch das haben wir geändert.

Wie viele Azubis aus Syrien, Afghanistan und dem Irak gibt es aktuell?

Im Berliner Handwerk haben wir inzwischen rund 700 Flüchtlinge in Ausbildung. Allein im ersten Ausbildungsjahr sind es 300 und damit immerhin zehn Prozent aller Azubis, die im vergangenen Herbst ihre Ausbildung begonnen haben. Ohne die Geflüchteten hätte wir die Ausbildungszahlen in den vergangenen Jahren nicht steigern können.

Weil das Handwerk immer noch unbeliebt ist bei jungen Menschen?

Seit den 1970er Jahren haben wir eine Verschiebung von der dualen hin zur akademischen Ausbildung. Doch ich beobachte einen Gegentrend: Junge Leute wollen sich nicht von der Arbeit entfremden lassen, und das ist im Handwerk mit echten Kollegen und Kunden gewährleistet und mit einem Produkt, das man auch sehen kann. Am Ende des Tages weiß der Handwerker, was er gemacht hat.

Warum erhöhen die Betriebe nicht die Ausbildungsvergütung, um Leute zu locken?

Es geht nicht vorrangig ums Geld. In Bauberufen beträgt die Vergütung mehr als 1000 Euro, trotzdem gibt es Nachwuchsprobleme. Die Höhe der Vergütung wird im Übrigen von den Tarifparteien ausgehandelt. Wo es keine Tarife gibt, sollte man Untergrenzen festlegen.

Bei dem Thema waren Sie 2007 weit vorn, als Sie für einen gesetzlichen Mindestlohn plädierten. Der kam dann 2015.

Wir haben das damals tatsächlich als einzige Kammer in Deutschland gefordert, weil Dumping schlecht ist für die Beschäftigten und die Betriebe. Es hat auch etwas mit Fair Play zu tun, Unternehmen sollten sich nicht mit Lohndumping Wettbewerbsvorteile verschaffen, weshalb ich auch für Tariftreue bin bei der öffentlichen Auftragsvergabe.

Was macht einen guten, attraktiven Arbeitgeber aus?

Nah an den Menschen sein und Verantwortung übernehmen für die Mitarbeiter. In Handwerksbetrieben wird man nicht mal eben 20 Prozent der Belegschaft rauswerfen, um den Aktienkurs zu pushen. Im Handwerk ist der Arbeitnehmer keine Nummer. Es gibt eine hohe Flexibilität, wenn ein Beschäftigter Zeit braucht für Kinder oder Angehörige. Und es kommt immer noch vor, dass der Meister Freitagnachmittag mit dem Lehrling für die Berufsschule paukt.

Unternehmensnachfolge ist ein Riesenproblem. Wie lässt sich das lösen?

Die Kinder in Handwerkerfamilien haben beobachten können, wie die Arbeit der Eltern aussieht und mit wie viel Formalien die sich rumschlagen müssen. Das beste Programm für mehr Handwerker wäre der Bürokratieabbau, weil dadurch die eigentliche Tätigkeit entlastet wird.

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