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Wirtschaft - 19.02.2019

„Meetings finden spätestens bis 16 Uhr statt“

Die Amorelie-Chefin Lea-Sophie Cramer spricht im Interview über Sexspielzeug, Notfall-Nannys und Stillzeiten im Büro.

Chefin. Vor gut sechs Jahren gründete Lea-Sophie Cramer den Online-Shop Amorelie.

Frau Cramer, wie spannend geht es in den deutschen Schlafzimmern zu?

Einmal im Jahr machen wir dazu eine Umfrage. Beim letzten Mal meinten 25 Prozent, dass sie in den vergangenen sechs Monaten über Sex-Toys gesprochen hätten. 59 Prozent finden, man spricht heute offener darüber. 2017 waren es 39 Prozent. Von daher werden die Deutschen zwar lockerer, aber sie deuten Vorlieben beim Partner oft noch vorsichtig an.

Sind die Menschen heute konservativer als vor 50 Jahren?

Die 68er Generation war tatsächlich weiter, hat sich wohler in ihren Körpern gefühlt, allein mit ihrem FKK-Kult. Heute diskutieren wird über Body Positivity. Warum? Weil viele Frauen ein Problem mit ihrem Aussehen haben, vor allem wenn sie nackt sind. Deswegen finde ich es gut, dass wir über gängige Schönheitsideale, über Sexspielzeug, über andere intime Dinge reden.

Wir sollten also beim Mittagessen über Liebeskugeln reden?

Unser Anspruch ist es nicht, alle so zu missionieren. Anfangs wollten wir, dass Toys aus der Schmuddelecke rauskommen. Da haben wir einiges erreicht. Inzwischen ist unsere Botschaft: Wir machen Paare glücklicher. Das Sexleben gehört für viele zu den Top-Drei-Faktoren für eine gute Beziehung. Ich kenne aber wenig Leute, die sagen: Es ist gerade echt schwierig, aber im Bett läuft es bombastisch. Die meisten Käufer holen auch nichts für sich allein, sondern für Spaß zu zweit. Mit unseren Produkten können sie was Neues, Aufregendes erleben.


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Was verkauft sich am besten?

Unser Amorelie Adventskalender.

Die wichtigsten Kunden sind Frauen zwischen 20 und 40, die ihre Produkte kaufen. Was ist mit den Männern los?

Sieben von zehn Frauen sagen, sie können vaginal nicht zum Orgasmus kommen. Deswegen brauchen die meisten Hilfe. Bei Männern ist die Sexualität biologisch bedingt einfacher. Trotzdem können Männer auch was in unserem Shop finden, aus Routinen ausbrechen. Eine Hand wird nie vibrieren.

Im Internet gibt es unzählige Pornos, in jeder mittelgroßen Stadt kann man an Orgien teilnehmen. Gibt es keine Tabus mehr?

Klar kann man auf Sexpartys gehen, aber wie viele machen das? Wie viele reden darüber, ob sie Pornos gucken – und welche? Masturbation ist ein Bereich, der immer noch sehr schambehaftet ist. Dann stimmt doch was in der Beziehung nicht! Es gibt genügend Tabus. Deswegen starten wir in diesem Monat einen Podcast für Beziehungen, in dem Paar- und Sextherapeuten zu Wort kommen.

Werden Sie oft um Rat gefragt?

Ich werde nach Gründungstipps gefragt, meiner Meinung zu Geschäftsmodellen, zu Frauen in Führungspositionen, aber ganz wenig nach Sexthemen. Vielleicht deswegen, weil ich mich da bedeckt halte. Ich bin schon öffentlich genug, da würde mir mein Freund einen Vogel zeigen, verständlicherweise.

Sie sind Unternehmerin, Partnerin, Mutter von zwei kleinen Kindern: Wie organisieren Sie das?

Mit viel Hilfe. Meine Mutter kommt einmal in der Woche und nimmt die Kleinen auch mal sonntags. Wir haben eine Kinderfrau und ein Au-Pair aus Kolumbien.

Dass Sie Ihre Kinder tagsüber nicht betreuen, hat Ihre Oma nicht verstanden…

Das mit der Kinderfrau ging noch, Au-Pairs kannte sie gar nicht. Für sie ist es auch ungewöhnlich, dass ich kaum einkaufe, koche, putze. Dafür kommt eine Reinigungskraft. Abends essen wir Brot.

Für viele Frauen wird das nach einem Luxusleben klingen.

Natürlich ist es ein Privileg, dass wir uns das leisten können, aber ich verdiene mir diese Dinge mit meiner Arbeit. Es wäre kein Problem für mich, wenn ich meinen Job verlieren und plötzlich alles selbst machen müsste. Ich habe nicht verlernt, wie man ein Klo putzt und bügelt. Mich und meinen Freund macht es aber einfach glücklich, uns so in unserem Beruf auszuleben – und Kinder zu haben. Ich kenne trotzdem das Gefühl, immer halb zerrissen zu sein.

Wer bringt die Kinder ins Bett?

Ich mache hier spätestens um sechs Uhr Schluss und bin um halb sieben zu Hause. Natürlich hätte ich gern noch mehr Zeit, aber der Tag hat nur 24 Stunden und ich kann hier nachmittags noch nicht gehen. Was ich verändert habe, ist, mehr Urlaub machen. In den ersten Jahren haben wir gar keinen genommen, dann für höchstens 14 Tage. Diesen Sommer sind wir drei Wochen in Brandenburg. Mit Kindern muss man nicht weit weg. Die brauchen einen See und Sonnencreme.

Ihre Mitarbeiter wollen Job und Privatleben auch miteinander vereinbaren.

Wir haben einen Kinderraum, damit Mütter Kinder mit einem Schnupfen oder ihr Baby mitbringen können. Ich war auch nach ein paar Wochen mit dem Au-Pair wieder hier und bin zum Stillen kurz hinter einem Paravent verschwunden. Wir haben eine Kooperation mit einer Notfall-Nannys-Organisation abgeschlossen, die einspringen, wenn die Kita zu ist, und eine weitere mit einem Kita-Träger. Zwar kriegen Kollegen nicht garantiert einen Platz, aber vorrangig. Was wir noch geändert haben: Meetings finden morgens oder spätestens bis 16 Uhr statt.

Haben Investoren mal seltsam reagiert?

Nö. Neulich sagte einer zu mir, du, wir erwarten unser viertes Kind. Eigentlich haben wir nur drei geplant, aber dann kam euer Adventskalender …

Wenn Sie sich etwas von der Politik wünschen könnten: Was wäre das?

Es ist schön, dass es das Elterngeld gibt, aber warum nur, wenn man arbeiten geht? Spannend wäre es doch, wenn eine Frau es so oder so bekommt und – wenn sie wieder zügig arbeiten möchte – in Betreuung investieren kann.

Warum ärgern Sie sich über die Voraussetzungen für eine Betriebskita?

Wenn du was in Deutschland machen willst, musst du erst mal 5000 Auflagen erfüllen. Für einen Quadratmeter Innenfläche braucht man zehn Quadratmeter Außenfläche. Wer hat das in Berlin?

40 Prozent der Plätze müssen an externe Kinder vergeben werden. Auch das ist unmöglich. Ich verstehe nicht, warum es einem der Staat so schwer macht, wenn knapp 300 000 Kitaplätze fehlen.

Familienministerin Franziska Giffey musste sich von einer Freundin mal sagen lassen: „Für das, was du machst, habe ich meine Kinder zu lieb.“ Kennen Sie solche Kommentare?

Nicht von Freunden, aber aus Kommentaren unter Artikeln. Es gibt diesen Spruch: Man erwartet, dass eine Frau so arbeitet, als hätte sie keine Kinder und dass sie Mutter ist, als hätte sie keine Arbeit. Da ist was dran. Die Erwartungen sind nicht zu erfüllen – und das macht jungen Frauen Angst, Kinder zu bekommen oder einen Führungsposten anzunehmen.

Haben Sie ein schlechtes Gewissen?

Manchmal habe ich das. Man kann es nicht perfekt machen.

Sie bezeichnen sich als freiheitsliebend: Wie passt das zu einem übervollen Terminkalender?

Früher habe ich stark nach dem Motto „young, wild and free“ gelebt. Jetzt frage ich mich oft, mit so viel Verantwortung, wo diese Seite geblieben ist. Hin und wieder habe ich ein Wochenende für mich, gerne in Barcelona. Mein Freund ich und fahren manchmal mit dem Boot raus, segeln. Wenn der Wind mir ins Gesicht bläst, habe ich das Gefühl von damals. Wir feiern auch mal etwas zu lang, fragen das Au-Pair, ob es morgens bis zehn einspringen kann. Aber all das ist selten geworden.

Das klingt frustrierend.

Ich habe mich ja für dieses Lebensmodell entschieden – und jeder Tag im Büro und zu Hause lohnt sich. Es ist eine Phase. Unsere Kinder sind eins und drei. Wenn die sechs sind, übernachten sie auch mal bei einem Freund. Dann kommt die Zeit wieder, für Sport, uns, und mich allein.

Lea-Sophie Cramer (31) hat Ende 2012 den Online-Shop Amorelie mitgegründet. Geboren und aufgewachsen in Berlin schloss sie ihr BWL-Studium an der Uni Mannheim 2009 ab. Erste Berufserfahrung sammelte sie als Beraterin bei der Boston Consulting Group, dann an der Seite von Oliver Samwer bei Rocket Internet. Mit 23 fing Cramer bei dem Gutscheinportal Groupon an und stieg zum Vice President International für den asiatischen Markt mit 1200 Mitarbeitern auf. Amorelie vertreibt hauptsächlich Sexspielzeug. 120 Frauen und Männer arbeiten für die Firma. 2017 betrug der Umsatz 56 Millionen Euro. ProSiebenSat.1 hält 98 Prozent der Anteile, Lea-Sophie Cramer zwei Prozent.

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