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Wirtschaft - 03.11.2018

Schluss mit der Angst vor Künstlicher Intelligenz

In einem Fünf-Punkte-Plan fordert der SPD-Generalsekretär Milliarden für Künstliche Intelligenz und mehr Offenheit für Technologien. Ein Gastbeitrag.

Aus Filmen, Büchern und Zeitungen sind uns die verschiedensten Horrorszenarien zur Künstlichen Intelligenz bekannt.

Kurz vor Ostern 2018: Emmanuel Macron präsentiert in Frankreich eine vielbeachtete Strategie für Künstliche Intelligenz (KI). Über 1,5 Milliarden Euro will Frankreich investieren. Ortswechsel, fast zur gleichen Zeit: Digitalminister Andreas Scheuer präsentiert in Deutschland die Funkloch-App, mit der Nutzerinnen und Nutzer bestehende Löcher in der Mobilfunkverbindung melden können. Diese Szene steht für sich und beschreibt doch zugleich, worauf es nun ankommt.

Die nächsten zwei bis drei Jahre werden entscheidend sein für die Frage, welche Rolle Deutschland und Europa im Bereich der Künstlichen Intelligenz spielen werden. Während wir uns seit 2015 immer und immer wieder öffentlichkeitswirksam und leider nahezu hysterisch über die Flüchtlingspolitik streiten, basteln andere Länder fleißig daran, die Zukunftsentwicklung der Künstlichen Intelligenz in ihrem Sinne zu beeinflussen. Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand werden maßgeblich an dieser Entwicklung hängen.

Wir erleben in diesen Tagen das vom Silicon-Valley-Kapitalismus getriebene US-Modell auf der einen Seite, das unternehmensgetrieben und frei von staatlicher Regulierung ist. Auf der anderen Seite steht das staatsautoritäre Modell Chinas, das frei von Privatsphäre und Datenschutz ist. Ziel der chinesischen Regierung ist es, im Bereich KI an die internationale Spitze vorzudringen. Dafür investiert der chinesische Staat bis 2025 viele Milliarden. Beide Modelle basieren nicht auf unseren Werten. Deswegen müssen wir nun die Frage beantworten, ob Deutschland, am besten Europa, in den Wettkampf um die Künstliche Intelligenz – basierend auf unserem Wertefundament – einsteigt.

Mitte November will die Bundesregierung ihre künftige KI-Strategie vorlegen. Das vorangegangene Eckpunkte-Papier ist hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Nun braucht es einen wirklichen Aufbruch. Wir müssen rauskommen aus der Bequemlichkeit. Dafür sind folgende fünf Schritte notwendig:


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1. Den Fortschritt umarmen,…

Aus Filmen, Büchern und Zeitungen sind uns die verschiedensten Horrorszenarien zur Künstlichen Intelligenz bekannt. Und trotzdem plädiere ich dafür, dass wir begreifen, wie positiv KI unser Arbeiten, unsere Wirtschaft, unser gesellschaftliches Zusammenleben verändern kann und dass wir die Chancen dieser Entwicklung unbedingt nutzen sollten. Nur ein aktuelles Beispiel: KI-Systeme verbessern deutlich die Früherkennung von Krebs. Das ist ein klarer Fortschritt. Deshalb: Schluss mit der Angst! Wir brauchen eine positive Grundhaltung gegenüber den Veränderungen, die kommen.

2. … um die Debatte über Grenzen zu ermöglichen

Eine positive Grundhaltung ermöglicht dann auch kritische Debatten, die keine Verhinderungsdiskussionen sind. Wir müssen uns vor Augen führen: Es geht bei der Künstlichen Intelligenz nicht nur um technologische Entwicklungen, sondern vor allem um menschliche und gesellschaftliche Veränderungen. Zur Debatte gehört deshalb auch, Grenzen festzulegen. Nicht alles, was technisch möglich ist, sollte auch verwirklicht werden. Es gibt Entwicklungen, die gegen unsere ethischen Grundsätze verstoßen. Es gibt Entscheidungen, die niemals von Maschinen getroffen werden dürfen. Ich möchte nicht, dass Maschinen festlegen, was Recht und was Unrecht ist. Ich möchte nicht, dass Kriegsführung digitalisiert und von Algorithmen vorangetrieben wird. Deshalb brauchen wir eine gesellschaftliche Diskussion über Grenzen, über Kontrolle, über Transparenz und auch über die Frage der Verantwortung bei Künstlicher Intelligenz.

Lars Klingbeil, Generalsekretär der SPD

3. Eine andere Datenpolitik muss her

Künstliche Intelligenz basiert auf Daten. In Deutschland und Europa haben wir eine andere Kultur im Umgang mit Daten, als dies beispielsweise in den USA der Fall ist. Das ist gut und ermöglicht wertebasierte Entwicklungen. Diskriminierungen etwa im Bereich der Geschlechterpolitik können durch die unterschiedliche Anwendung von Daten abgebaut werden. Im Umgang mit Daten müssen wir in den kommenden Jahren gewaltige Schritte gehen. Datenpolitik muss auch Innovationspolitik sein. Es ist gut, dass die Bundesregierung endlich eine Datenethikkommission eingesetzt hat, um grundlegende Fragen der Datenpolitik zu klären. Auch rechtliche Fragen gilt es schnell zu klären. Dazu gehört auch ein besserer Zugang zu Daten. Mit dem Daten-für-alle-Gesetz liegt eine Idee auf dem Tisch, wonach Unternehmen ab einer bestimmten Größe Daten anonymisiert und repräsentativ zugänglich machen müssen. Dies sichert Wettbewerb, verhindert Monopole und sorgt vor allem für eine bessere Entwicklungsmöglichkeit europäischer Unternehmen.

4. Richtige Rahmenbedingungen setzen

Wenn die Bundesregierung Mitte November ihre KI-Strategie vorlegt, müssen aber noch weitere Kriterien erfüllt sein: Wir brauchen eine konkrete Investitionsstrategie für KI, die auf einer Milliardensumme basiert. Wir müssen den Aufbau von Forschungsclustern, den erheblichen Ausbau von Lehrstühlen an den Universitäten sowie Spezialprogramme für Startups im Bereich der KI fördern.

Gerade um die Schnittstelle zur klassischen Industrie zu fördern. Unser Bildungssystem müssen wir radikal auf Digitalisierung und damit auch Künstliche Intelligenz ausrichten. In den Fokus muss dabei das fächerübergreifende Denken rücken.

5. Alle mitnehmen – Akzeptanz schaffen

Künstliche Intelligenz wird Arbeitsplätze verändern oder sie sogar ersetzen. Es werden aber auch viele neue Arbeitsplätze entstehen, etwa im Bereich der App-Programmierer oder auch im Bereich der sozialen Dienstleistungen. Es bringt nichts, darum herumzureden: Erst mal wird es Einschnitte geben. Technischer Fortschritt hat schon in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder menschliche Arbeit durch Maschinen ersetzt. Diese Entwicklung löst Ängste bei den Betroffenen aus. Deswegen muss Politik die richtigen Rahmenbedingungen setzen, um die Gesellschaft durch diesen Wandel zu führen. Soziale Absicherung und Sozialstaatlichkeit müssen neu austariert werden, um Schutz und Freiheit zu gewährleisten. Ebenso brauchen wir endlich eine Aus- und Weiterbildungspolitik in diesem Land, die Rechtsansprüche einräumt und nicht per Zufall funktioniert. Die Arbeitswelt insgesamt steht vor einem enormen Wandel. An dessen Ende stehen Chancen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – wenn wir die Chancen rechtzeitig ergreifen.

Um diese fünf Punkte umzusetzen, braucht es politische Führung. Damit Deutschland seinen Rückstand bei der Künstlichen Intelligenz aufholt, muss die Entwicklung von ganz oben vorangetrieben werden. In den Chefinnen- und Chefetagen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft muss es das klare Bekenntnis geben: Wir wollen, dass Deutschland und Europa Vorreiter in der Künstlichen Intelligenz werden. Dieses Bekenntnis braucht dann schnelle Entscheidungen, genügend Investitionen und die richtige Grundhaltung. Für eine Entwicklung von unten nach oben ist es zu spät. In den nächsten zwei bis drei Jahren entscheidet sich, ob wir in Deutschland mithalten können oder nicht.

Ach ja, bei aller Künstlichen Intelligenz bleibt am Ende noch eins: Denken Sie weiter selbst. Das kritische Denken, das gesellschaftliche Einordnen der neuen Möglichkeiten, die durch Künstliche Intelligenz entstehen, das können Maschinen nicht. Das können nur Menschen.

Der Beitrag ist zuerst im neuen Entscheider-Briefing Tagesspiegel Background Digitalisierung erschienen: https://background.tagesspiegel.de/digitalisierung

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