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Wirtschaft - 22.05.2019

Sinkende Preise, steigende Passagierzahlen – und das Klima?

In der Klimaschutzdebatte ist das Fliegen verpönt. Tatsächlich boomen Billigflüge hierzulande wie nie zuvor. Kommt jetzt die Kerosinsteuer?

Landeanflug auf den Flughafen Tegel

Selten hat eine Wortschöpfung eine so rasante Karriere hingelegt wie flygskam. Von Schweden aus, der Heimat von Greta Thunberg, schaffte es die „Flugscham“ als Ausdruck des Unwohlseins über die persönliche CO2-Bilanz nach Deutschland. Fliegen ist seit Monaten hierzulande ungefähr so populär wie Eisbärenmord, oder? Der Eindruck trügt.

Die harten Zahlen zeichnen ein Bild, das gegenteiliger nicht sein könnte. Es wird mehr geflogen. Auch im Inland. Die Zahl der Passagiere stieg in Deutschland zwischen November und März im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um mehr als sechs Prozent auf knapp 86 Millionen. Auf innerdeutschen Strecken fiel das Wachstum dabei höher aus als auf der Langstrecke. Mehr als eine Million Passagiere flogen während des Winterflugplans innerhalb der Bundesrepublik. Das geht aus bislang unveröffentlichten Zahlen des Flughafenverbands ADV hervor, die dem Tagesspiegel vorliegen.


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„Das Wachstum bei Starts und Landungen liegt auf einem deutlich höheren Niveau als erwartet. Der Wunsch der Reisenden nach Mobilität durch Luftverkehr ist ungebrochen“, sagte ADV-Hauptgeschäftsführer Ralph Beisel. „Viele der größeren Flughäfen operieren an ihren Kapazitätsgrenzen. Das ist ein Signal an die Politik, die Flughafeninfrastrukturen weiterzuentwickeln.“

Klimaschutz rangiert ganz oben

Der Ausbau von Flughäfen ist für Politiker im Europa-Wahlkampf aber nicht gerade ein Gewinner-Thema. Im Gegenteil. Klimaschutz rangiert den Umfragen nach ganz oben auf der Prioritätenliste der Wähler. Der konservative EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber (CSU) und sein sozialdemokratischer Kontrahent Frans Timmermans liefern ständig neue Ideen, um Fliegen im Sinne des Klimaschutzes zu verteuern – und Kurzstreckenflüge sogar vom Flugplan zu nehmen.

In einer Fernsehdiskussion sprach sich Timmermans – Vizepräsident der EU-Kommission – vergangene Woche für die Abschaffung von Kurzstreckenflügen aus, wenn es entsprechende Bahnverbindungen gibt. In Frankreich werden teils bereits heute keine Flugverbindungen zwischen Städten angeboten, die an die Thalys-Hochgeschwindigkeitsstrecken angebunden sind. Weber lehnt zwar ein Verbot ab, will aber die steuerliche „Ungerechtigkeit“ zugunsten des Fliegens beenden.

Zuerst hatten sich die beiden Politiker im Fernsehen deshalb auf eine Kerosinsteuer geeinigt. Später steuerte Weber um und forderte die Aufnahme des Flugverkehrs in den Emissionshandel mit Zertifikaten, weil das „marktwirtschaftlich“ sei. Der Haken: Der innereuropäische Flugverkehr ist seit Jahren vom EU-Emissionshandel erfasst. Und jetzt? Doch die Kerosinsteuer? Ausweitung des Emissionshandels? Oder eine CO2-Abgabe für alle?

Fliegen ist auch im Inland weiterhin beliebt. Die Zahl der Passagiere stieg in Deutschland um mehr als sechs Prozent.

Frankreichs Präsident forderte am Dienstag eine möglichst weltweite Kerosinsteuer. „Ich möchte, dass wir bei einer gemeinsamen Besteuerung von Kerosin in Europa vorankommen und dass wir eine echte internationale Verhandlung über das Thema haben“, sagte Macron. Zuvor hatten sich in Deutschland SPD- Chefin Andrea Nahles und die Grünen- Vorsitzende Annalena Baerbock für eine Besteuerung von Flugbenzin ausgesprochen. Fortsetzung folgt.

Während mehr geflogen wird, verschärft sich gleichzeitig der Verdrängungswettbewerb zwischen den Airlines. „Mehr Passagiere, weniger Ziele: Die Marktkonsolidierung im Sommerflugplan ist spürbar“, sagt ADV-Chef Beisel. So wurden auch Strecken eingestellt – viele davon wegen der Pleite der Fluggesellschaft Germania. Die Lücke, die Germania und zuvor die viel größere Air Berlin gerissen haben, wird mit der Zeit auch von Billigfliegern wie Ryanair und Easyjet gefüllt. Eine Folge: Der Konkurrenzkampf führt zu sinkenden Preisen, die dann wiederum das Wachstum befeuern.

Billigflüge boomen

Tickets für zehn Euro? So niedrige Preise seien eine Gefahr für die gesellschaftliche Akzeptanz des Luftverkehrs, sagte Lufthansa-Chef Carsten Spohr Anfang Mai: „Ökonomisch unverantwortlich, ökologisch unverantwortlich. Und auch politisch unverantwortlich.“ Konkurrent Laudamotion, eine Ryanair-Tochter, reagierte sofort. Mit einer Verkaufskampagne, die Spohr auf die Hörner nahm. 9,99 Euro kosteten die 100.000 Tickets. Die Airline bietet auf ihrer Webseite gerade auch Flüge ab Berlin für 4,99 Euro an.

Tatsächlich boomen Billigflüge hierzulande wie nie zuvor. Zehn Prozent mehr Starts im Winterhalbjahr im Vergleich zum Vorjahr, so die Bilanz des neuen „Low Cost Monitor“ des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Die Ticketpreise seien dagegen im Sinkflug. „Trotz eines steigenden Ölpreises und anziehender Personalkosten fallen die durchschnittlichen Bruttopreise“, so die DLR-Analyse.

Ist flygskam also schon wieder out oder nie wirklich in Mode gewesen? Vielleicht hilft erneut der Blick nach Schweden, wo es für jeden Trend und Gegentrend neue Wortschöpfungen zu geben scheint. Smygflyga wird es dort genannt, wenn Leute auf die laut aufgestellte Forderung nach Flugverzicht pfeifen – und „still und heimlich“ weiterfliegen.

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