Home Wirtschaft „So wie bei Air Berlin geht es bei uns sicher nicht zu“
Wirtschaft - 09.03.2019

„So wie bei Air Berlin geht es bei uns sicher nicht zu“

Im Interview mit dem Tagesspiegel aus Anlass der ITB blickt Oliver Lackmann, Pilot und Chef von TUI fly, zurück auf seine Zeit bei Air Berlin. Und nach vorn.

Oliver Lackmann, Chef der Airline TUI fly im Gespräch mit dem Tagesspiegel in der Pilotenschule Lufthansa Aviation Training am…

Oliver Lackmann erscheint gelöst und heiter gestimmt zum Interview in einem Besprechungsraum der Pilotenschule Lufthansa Aviation Training, die nur einen Steinwurf vom Flughafen-Schönefeld entfernt liegt – halb auf Berliner Stadtgebiet. Soeben hat der 50-Jährige seine vorerst letzte „Flugstunde“ in einem Simulator für eine Boeing 737 absolviert. Der ehemalige Berufspilot von Air Berlin hält eine gültige Fluglizenz für einen Airbus. Doch seit genau einem Jahr sitzt er in der Chefetage bei der Ferienfluggesellschaft TUI fly, die diverse verschiedene Modelle des Mittelstreckenfliegers 737 in der Flotte hat und weitere hinzukaufen will. Lackmann möchte künftig wieder regelmäßig hinter dem Steuer sitzen – und darf das nun auch.

Herr Lackmann, Glückwunsch zur bestandenen Prüfung! Was war die schwierigste Herausforderung, die sie gerade im Simulator zu bestehen hatten?

Üblicherweise werden Probleme wie der Ausfall eines Motors oder von Teilen des Hydraulik-Systems simuliert. Oder man muss spontan einen Start-Abbruch durchführen. Das ist auch bei unserem Check-Flug eben passiert. Mein Kollege und ich haben das aber soweit ganz gut abarbeiten können.

Aber kein Rauch im Cockpit? Keinen gespielten Herzanfall ihres Copiloten?


Kostenlos bestellen

Diesmal nicht. Aber tatsächlich lassen sich in diesen modernen Simulatoren hier bei LAT (Lufthansa Aviation Training) derartige kritische Situationen sehr realistisch darstellen. Dann muss man mitunter Sauerstoffmasken aufsetzen und den nächstgelegenen Flughafen ansteuern.

Was fasziniert Sie am Pilotenberuf?

Das war immer mein Wunschtraum. Ich habe zunächst angefangen zu studieren, bevor ich die Chance auf eine Pilotenausbildung bekam. Geflogen bin ich zunächst für Augsburg Airways, einem mittelständischen Unternehmen, das für die Lufthansa unterwegs war. Das hat viel Spaß gemacht – damals noch auf Turboprop-Maschinen des Typs Dash 8. 2001 bin ich zu Air Berlin gewechselt, zunächst ans Steuer der Boeing 737, für die ich jetzt gerade meine Lizenz erneuert habe.

Moderne Flieger sind stark automatisiert. Der Computer steuert immer stärker mit. Verliert der Beruf dadurch die Romantik? Ist das fliegen bald wie Bus fahren?

Das kann man kaum vergleichen. Pilot zu sein ist immer noch ein ganz besonderer Beruf. Die viele Technik, und man arbeitet dort, wo andere Urlaub machen. Der Job hat natürlich auch Kehrseiten: Man steht oft sehr früh auf und ist naturgemäß viel unterwegs. Doch so lange man die Balance halten kann und die Familie hinter einem steht, bleibt es für viele ein Traumberuf.

Speziell Air-Berlin-Piloten führten damals ein aufregendes Leben, hört man öfter. Ein Pilot berichtete uns einmal von den Weihnachtsfeiern im Hotel Estrel, wo man Piloten Hotelzimmer gebucht habe, aber nicht den Flugbegleiterinnen – in der Annahme, diese würden eh bei den Piloten die Nacht verbringen. Wie feiert man so bei TUI fly?

Ich muss mit dieser Legende aufräumen, sie stimmt leider nicht. Man hat damals sicher auch den Flugbegleiterinnen Zimmer gebucht. Was hinter den Kulissen passiert sein könnte, kann ich heute gar nicht kommentieren. Die Air Berlin war damals ein junges Unternehmen mit vielen jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Da gehörte die Feierkultur einfach dazu. Selbstverständlich feiern wir auch bei TUI fly. So wie bei Air Berlin geht es bei uns sicher nicht zu.

In diesen Wochen trudeln Airlines in die Insolvenz, andere stehen zum Verkauf. Der Markt ist in Bewegung. Haben sie als Airline-Manager überhaupt Zeit fürs Cockpit?

Die nehme ich mir. Es ist für mich sehr wichtig, zu fliegen. Selbstverständlich kann ich nicht so oft im Cockpit sitzen wie früher, aber ich nehme mir schon vor, das zwei Mal im Monat zu tun – auch um den direkten Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen zu halten. Deren Input aus dem Arbeitsalltag hilft mir bei Entscheidungen. Außerdem kann ich selbst gezielt an Orte fliegen, an denen ich mich aus erster Hand über mögliche Probleme informieren will, Konflikte mit Bodendienstleistern zum Beispiel.

Und wie halten Sie Kontakt zu den nicht fliegenden Kollegen, die sich bei einigen Airlines kaum beachtet fühlen?

Wir besuchen reihum unsere Standorte und führen ausführliche Gespräche. Zuletzt waren wir in Nürnberg, München und Köln. Auch da haben wir über die Dinge gesprochen, die gerade am Markt passieren. Und wir besprechen, wie wir unsere TUI fly näher an die TUI-Gruppe heranführen können.

TUI fly-Chef Oliver Lackmann im Cockpit eines Flugsimulators für eine Boeing 737 bei Lufthansa Aviation Training in Schönefeld.

TUIs Wettbewerber Thomas Cook geht den entgegengesetzten Weg und prüft den Verkauf seiner Ferienairline Condor.

Das ist deren Entscheidung. Die Entwicklung der letzten Wochen rund um die Germania-Insolvenz zeigt uns aber, wie wichtig es für einen Touristikkonzern ist, eine eigene Airline zu haben. Er gibt diesem Sicherheit, Stabilität und die nötige Flexibilität. Als TUI fly können wir das der TUI Deutschland bieten.

Inwieweit verändert dieses Zusammenrücken mit TUI ihre Airline? Wann verschwindet das „fly“ aus TUI fly?

Wir haben schon heute das einheitliche TUI-Design. Im Prinzip sind wir ein integrierter Reisekonzern. Veranstalter und Airline müssen möglichst eng zusammenarbeiten, um die Synergien zu heben und gemeinsame Themen zu besprechen. Und da sehen wir schon jetzt, dass der kommende Sommer für alle eine Herausforderung wird.

So wie im Flughafen-Chaos-Sommer 2018?

Ja. Die externen Faktoren haben sich seither kaum geändert. Wir haben nach wie vor Engpässe bei der Flugsicherung und sehen weiterhin logistische Schwierigkeiten an den Airports bei gleichzeitigem Wachstum des Luftverkehrs. Das lässt sich nicht von heute auf morgen ändern. Wir als TUI fly haben unsere Hausaufgaben gemacht, Ersatzkapazitäten beschafft, gemeinsam mit der TUI Deutschland Wartungsblöcke für den Sommer reserviert. Wir sind gut vorbereitet, können die externen Faktoren trotzdem nicht ausschalten.

Also die Mängel bei Flughafenbetreibern und Flugsicherung.

Genau. Wobei nachvollziehbar ist, dass Fluglotsen auch in diesem Jahr fehlen werden. Deren Ausbildung dauert drei Jahre. Daher dürfte sich die Situation auf absehbare Zeit kaum bessern.

In Berlin-Tegel gibt es ständig Ärger wegen des Chaos bei der Abfertigung und der Gepäckausgabe. Wie nehmen sie das wahr – auch wenn TUI fly hier keine Basis hat?

Wir haben sogar eine Basis in Berlin und fliegen Tegel weiter an, wenn auch etwas reduziert diesen Sommer. Wir sehen, dass es logistisch extrem herausfordernd ist an diesem Flughafen. Tegel und Schönefeld sind nicht für so viele Passagiere gebaut worden. Sie arbeiten weit oberhalb ihren eigentlichen Kapazitätsgrenzen. Also wurde dort viel provisorische Infrastruktur geschaffen. Damit kann man aber nicht dauerhaft diese große Zahl an Passagieren vernünftig abfertigen.

Zwei Maschinen des Typs Boeing 737 der Ferienfluggesellschaft TUI Fly, einer 100 Prozent Tochter des TUI Konzerns.

Ist das der Grund, warum Sie keine Maschine fest in Tegel stationiert haben?

Eher weil wir hier aktuell geringere Marktchancen sehen. Der Markt in Berlin ist sehr dynamisch. Die beiden lokalen Marktführer Eurowings und Easyjet schenken sich nichts. Für uns haben wir entschieden, dass wir Berlin über einige Flüge anbieten und nur im Winter eine Maschine stationieren, um Kreuzfahrtgäste von und nach Dubai zu bringen, aber auf den ruinösen Wettbewerb in Berlin werden wir uns nicht einlassen.

Lufthansa-Chef Carsten Spohr argumentiert, dass es sich kaum lohnt Direktflüge ab Berlin ins Ausland anzubieten, da diese Region nicht genügend zahlungskräftige Klientel bietet?

Der Umstand, dass sich Easyjet so stark in Berlin engagiert zeigt eher, dass es ein gewisses Potenzial im Europaverkehr gibt. Allerdings gibt es natürlich Regionen mit mehr potenziellen Flugreisenden, den Rhein-Ruhr-Raum zum Beispiel. Von den Flughäfen dort fliegen auch Gäste aus Belgien und Holland ab.

Wie erwähnt: Die Berliner Germania hat vor wenigen Wochen Insolvenz beantragt. Die Airline ist vergleichbar klein oder groß wie TUI fly. Wie deuten Sie den Vorgang?

Das Thema ist vielschichtig. Auf der einen Seite finde ich es als Mensch und Kollege sehr bedauerlich für die vielen Menschen, die jetzt ihren Job verlieren. Bei Germania hatten ja auch viele ehemalige Air Berliner angeheuert. Als TUI-Konzern müssen wir trotzdem nüchtern schauen, was das für unsere Airline bedeutet, ob sich Marktchancen daraus ergeben. Da bereits seit Januar klar war, dass die Germania finanzielle Schwierigkeiten hatte, konnten wir uns vorbereiten und schnell reagieren.

Wie konkret?

Zum Beispiel haben wir uns entscheiden, ein Flugzeug nach Nürnberg zu verlegen. So können wir dort etwa ein Drittel der Passagierkapazität, übernehmen, die die Germania an dem Standort bisher geflogen ist.

Planen sie weitere Schritte – übernehmen sie vielleicht gar Teile der Flotte?

Das ist für uns nicht interessant.

Können Sie Mitarbeiter von Germania gebrauchen?

Selbstverständlich! Wir haben aktuell einige Stellen ausgeschrieben – zurzeit in Düsseldorf und an unserem Hauptstandort in Hannover. Der wäre sogar für Berliner Pendler per ICE noch zu erreichen. Alle Germania-Mitarbeiter sind herzlich eingeladen, sich zu bewerben. Und Flugbegleiter wie Piloten suchen wir überdies ständig.

Luftfahrtexperten und Bankanalysten erklären, dass die Geschäftsmodelle von Germania und Air Berlin zu diffus waren, irgendwo zwischen Billigflieger und Premium-Airline. Das könnte man auch über TUI fly sagen.

Das ist nicht richtig! Wir haben ein sehr klares Konzept! Wir sind eine klassische Veranstalter-Airline mit einem sehr klaren Portfolio: Wir fliegen Warmwasserziele an. Wir fliegen für die TUI Gäste aus Mittel- und Westeuropa an die Ziele rund ums Mittelmeer, auf die Kapverdischen und Kanarischen Inseln – und im Winter auch nach Dubai, um dort Kreuzfahrtgäste von TUI Cruises zu befördern. Wir machen weder sogenannte ethnische Flüge in die Nordtürkei oder den Irak, noch fliegen wir innerdeutsch.

Mancher Fluggast macht das Image einer Airline auch vom Speiseangebot an Bord abhängig. Auch bei Ihnen bekommt man nicht automatisch ein Menü serviert.

Wir sind da in bester Gesellschaft. Die meisten touristischen Fluggesellschaften verfolgen ein Buy-on-Board-Konzept. Da können Sie entweder online ihr Menü vorbestellen – oder spontan einen Snack an Bord kaufen. So können wir eine große Vielfalt bei guter Qualität anbieten. Heute entscheidet eben der Gast, ob er auf einem Zwei-Stunden-Flug etwas essen möchte oder nicht. Dieser Trend wird sich auch nicht umkehren lassen, übrigens gehen auch die ganz großen Airlines gehen dazu über.

Doch mancher traditionell eingestellte Fluggast bleibt dabei: Wer nicht automatisch ein volles Gericht an Bord serviert, ist eine Billigairline.

Es stimmt trotzdem nicht. Diese Kunden sollten sich erinnern, zu welchen Preisen man heute fliegen kann – im Vergleich zu Zeiten vor zehn oder 20 Jahren. Gleichwohl buchen einige Reiseveranstalter bei uns für ihre Kunden auch Menüs oder Snacks an Bord. Dann liefern wir das auch.

TUI und TUI fly präsentieren sich auch auf der weltgrößten Tourismusmesse ITB, die diese Woche in Berlin beginnt. Geben Sie uns einen Ausblick auf den Markt: Wohin geht die Reise?

Wir sehen ganz klar Buchungsbewegungen vom westlichen Mittelmeer und Atlantik, also Spanien, zurück ins östliche Mittelmeer gen Türkei und Ägypten. Wir haben in den vergangenen Jahren erfahren, wie extrem volatil der Markt geworden ist. Reisende reagieren sehr schnell und sensibel auf die politische Lage. Für uns ist es wichtig, entsprechend flexibel reagieren zu können.

Gibt es in und um Europa noch Reiseziele, die bisher noch wenig entdeckt sind?

Vieles ist erschlossen. Aber wir sind zum Beispiel die einzige Fluggesellschaft, die direkt von Deutschland auf die Kapverdischen Inseln fliegt. In diesen Tagen bekommen wir unsere ersten beiden von insgesamt 25 spritsparenden Boeing 737 MAX in die Flotte. Dieser Maschinentyp ermöglicht es uns, die Kapverden mit voller Ladung und bis zu 189 Passagieren an Bord in sechs Stunden ohne Zwischenlandung zu erreichen.

Sitzen Sie dann auch am Steuer?

Ich hoffe doch.

Das Interview führte Kevin P. Hoffmann

Oliver Lackmann, geboren 1969 in Essen, ließ sich von 1998 bis 2000 in Florida und Mühlheim zum Piloten ausbilden und begann seine Karriere bei Augsburg Airways, wechselte 2001 zu Air Berlin, war zuletzt Chef der Partnerairline Niki. Im März 2018 heuerte er bei TUI fly an, seit November ist er dort Geschäftsführer. Lackmann ist verheiratet und ist Hobbykoch.

TUI fly ist eine 100prozentige Tochtergesellschaft der TUI Group, des weltweit führenden Touristikkonzerns mit Sitz in Hannover und Berlin. Die TUI Group betreibt fünf weitere Fluggesellschaften in Europa mit insgesamt 150 Flugzeugen. TUI fly (Deutschland) beförderte im vergangenen Jahr 7,9 Millionen Passagiere. In diesem Jahr soll die Flotte um drei auf 39 Maschinen wachsen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Check Also

Jens Spahn reist in den Kosovo, um Pflegekräfte anzuwerben

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU): Im Kosovo und in Albanien sei die Pflegeausbildung b…