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Wirtschaft - 16.11.2018

Wie Start-ups die Versicherungsbranche aufmischen

Findige Start-ups versuchen, Kunden vor Provisionen zu schützen. Sie stoßen auf Widerstand von Konzernen, CDU und SPD.

Die Versicherungsbranche wehrt sich beharrlich gegen Erneuerung.

Wer die deutsche Automobilindustrie als innovationsfeindlich tadelt, hat sich noch nicht eingehend mit der hiesigen Versicherungswirtschaft auseinandergesetzt. Die wehrt sich besonders hartnäckig gegen den Wettbewerb mit neuen Anbietern – zulasten der Versicherten. Wenn es um die Provision geht, versteht der Versicherungsvermittler nämlich keinen Spaß. Dabei gibt es Geschäftsmodelle, die Provisionen für den Verbraucher transparenter machen oder ihn sogar daran beteiligen wollen.

So wie es der Unternehmer Dieter Lendle tut. Der 55-Jährige betreibt das Versicherungsportal „GoNetto“. Das Prinzip: Überträgt ein Versicherter seine Verträge an GoNetto, kassiert er die anfallenden Bestandsprovisionen künftig selbst. „Die meisten Versicherten wissen gar nicht, dass sie jährlich Vermittlungs- und Bestandsprovisionen mit ihrer Prämie bezahlen“, erklärt Lendle. Die fallen bei „GoNetto“ weg – das Start-up kassiert lediglich eine monatliche Verwaltungsgebühr von einem Euro.

Verbraucherschützer sind erfreut

Doch dieses Prinzip überzeugt nicht jeden. Der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) hat GoNetto deshalb bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) wegen Verstoßes gegen das Provisionsabgabeverbot angezeigt. „Würden wir so etwas zulassen“, sagt BVK-Präsident Michael Heinz, „wäre dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet“. Es folgte ein Rundschreiben an alle großen Versicherer, in dem die Behörde davor warnte, weiterhin mit GoNetto zusammenzuarbeiten. Damit war Lendles Geschäftsidee vorerst kaltgestellt. Zugunsten des Verbraucherschutzes, sagt Heinz, schließlich schütze das Provisionsabgabeverbot den Versicherten vor eventuellen Fehlanreizen und gewährleiste die Qualität der Beratung.

Lassen die Konzerne zittern. Christoph Hübner (l.) und Markus Herrmann vermitteln Kinderversicherungen.

Dass sich Heinz auf den Verbraucherschutz beruft, sei eine Aussage, um das eigene Geschäft zu schützen, sagt Dorothea Mohn vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. Im Sinne eines wirksamen Verbraucherschutzes wünscht sie sich schon lange mehr Innovation in der Branche. „Die Abschaffung des Provisionsabgabeverbots würde ein Mehr an Mitbestimmung und Transparenz bringen“, erklärt Mohn. Derzeit sei es für die Verbraucher nicht nachzuvollziehen, was sie an Provisionen auf die Versicherungsleistung an wen draufzahlt. „Geschäftsmodelle wie GoNetto sind aus Verbrauchersicht also sehr begrüßenswert.“


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Aber nicht aus Sicht der Versicherungslobby. Denn es geht um sehr viel Geld. Um wie viel genau, ist schwer zu sagen. Das zuständige Bundesfinanzministerium erfasst keine Zahlen über die Höhe der jährlich gewährten Provisionen. Aus dem Evaluierungsbericht des Ministeriums zum Lebensversicherungsreformgesetz geht aber hervor, dass allein für Lebensversicherungen im Jahr 2017 insgesamt 4,7 Milliarden Euro an Provisionen bezahlt worden sind. Für private Krankenversicherungen, die nur rund ein Viertel des Gesamtmarkts ausmachen, gibt der PKV-Verband einen Gesamtbetrag für 2016 von 3,3 Milliarden Euro an. Hinzu kommen die Zahlen aus den Sachversicherungen – Rente, Haftpflicht, Kfz und andere.

GroKo bleibt lobbytreu

Mit dem Provisionsabgabeverbot soll verhindert werden, dass Versicherungsvermittler ihre Provisionen an den Versicherungsnehmer weitergeben. Also bei erfolgreicher Vertragsvermittlung die Prämie teilen. Diese Regelung gibt es so nur in der Versicherungsbranche und nur in Deutschland. Und obwohl das Verwaltungsgericht in Frankfurt am Main das Provisionsabgabeverbot bereits 2012 für verfassungswidrig erklärt hat, erlebte es im Gesetzgebungsverfahren wider Erwarten 2017 eine Renaissance.

Wie kann das sein? Verhandelt wurde die Sache in der letzten Sitzung der Legislaturperiode des damaligen Wirtschaftsausschusses unter schwarz-roter Regierung, direkt vor der Sommerpause und der Bundestagswahl. Es musste wohl noch schnell gehen. Ein möglicher Grund: Es „drohte“ eine Regierungsbeteiligung der Liberalen oder der Grünen nach der Wahl. Die Grünen hatten damals bereits einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der die Abschaffung des Provisionsabgabeverbots forderte.

„Leider hatten CDU/CSU und SPD nie vor, das Verbot abzuschaffen, sondern haben es eben gesetzlich klargestellt“, erklärt Gerhard Schick, Finanzexperte der Bundestagsfraktion der Grünen. Zuvor war das Provisionsabgabeverbot nur im Wege von aufsichtsbehördlichen Verordnungen geregelt. Auf die jetzige Regelung habe insbesondere der BVK als Lobbyverband bestanden und sich damit durchgesetzt. Das Grundproblem liege aber im System an sich, erklärt Schick. „Die Abschaffung des Provisionsabgabeverbots könnte den Wettbewerb zwischen und innerhalb verschiedener Vertriebswege stärken.“

Der CDU-Abgeordnete Andreas Laemmel, der das Thema für die Unionsfraktion federführend betreut hat, war nicht zu einer Stellungnahme bereit.

„Der BVK hat dafür gesorgt, dass das Provisionsabgabeverbot erhalten bleibt, obwohl die Politik es eigentlich kippen wollte“, lobt sich Versicherungslobbyist Heinz selbst. Man wolle nicht „in Wettbewerb mit anderen treten, wo es nur darum geht, wer am meisten abgibt“. Die Provision sei immerhin das Surrogat für die Bemühungen des Vermittlers.

In Sachen Tippgeber

Das gelte für die Provision als solche, aber nicht für deren Höhe, meint dagegen Christoph Hübner. „Schließlich ist es nur fair, wenn abhängig vom tatsächlichen Beratungsaufwand bezahlt wird.“ Zusammen mit seinem Geschäftspartner Markus Herrmann führt der 35-Jährige ein Vermittlungsunternehmen. Über „kinder-privat-versichern.de“ vermittelt das Team ausschließlich Krankenversicherungen für Kinder. Dafür arbeiten sie mit dem Tippgeber-Modell. Was das genau ist, ist rechtlich bisher kaum definiert. Aber erfunden haben es Herrmann und Hübner auch nicht. Teile der Provision werden dabei nicht an den Versicherungsnehmer, sondern an seinen „Tippgeber“ vergütet. Als Tippgeber tritt ein Dritter auf, der den Kontakt zum Vermittler hergestellt hat. „Selbstverständlich kann auch die Mutter eines Kindes unsere Expertise an den Vater empfehlen“, erklärt Hübner. „Dafür bezahlen wir dann mit vier Monatsbeiträgen gut die Hälfte unserer Abschlussprovision.“

Weil die Firma offen mit dem Tippgeber-Modell wirbt, wurde sie kürzlich von einem Konkurrenten des unlauteren Wettbewerbs bezichtigt. Hübner und Herrmann lassen die Sache in einem gerade begonnenen Verfahren jetzt gerichtlich klären, um sich endgültig von diesem Vorwurf frei zu machen. „Der Vermittlerlobby aus der Steinzeit passt unsere Arbeit natürlich nicht“, meint Hübner. „Denn wir sorgen dafür, dass aufgeklärte Eltern bei ihrem Vermittler plötzlich unangenehme Fragen stellen.“ Ein für sie positiver Verfahrensausgang scheint gut möglich. Denn Hübner und Herrmann befinden sich mit ihrer Vorgehensweise in bester Gesellschaft: Die Allianz zum Beispiel beschäftigt Tippgeber im „oberen dreistelligen Bereich“, teilt eine Unternehmenssprecherin mit. Dafür werden eigens Stellenangebote geschaltet und den Willigen sogar eine Allianz-Kontakt-App zur Verfügung gestellt, um potenzielle Kundendaten schnell und „spielerisch“ auf dem Smartphone zu erfassen.

Branche mit Modernisierungsbedarf

Das Vergleichsportal „Check24“ geht in Sachen Provisionsabgabe sogar noch einen Schritt weiter: Es warb im Rahmen der „Versicherung Jubiläums Deals“ mit zwölfmonatiger Gratis-Haftpflicht – versprach bei Abschluss eine Gutschrift von zwölf Monatsprämien. Wie das geht trotz Provisionsabgabeverbot? Nicht Check24 selbst zahlt die Prämien aus, sondern eine dazwischengeschaltete GmbH. Die Abmahnung von Check24 durch den BVK ließ nicht lange auf sich warten. Dieser hatte schon 2015/16 das Geschäftsmodell von Check24 grundlegend angegriffen und ihm auch unlauteren Wettbewerb vorgeworfen, war damit aber vor Gericht größtenteils gescheitert.

„Das alles zeigt die Absurdität des Verbotes. Wenn Check24 damit durchkommt, wäre es schwer vertretbar, das Geschäftsmodell von GoNetto auszubremsen“, meint auch der Vorsitzende des AfW-Bundesverbandes Finanzdienstleistung e.V. und Fachanwalt für Versicherungsrecht, Norman Wirth. Die Branche müsse sich dringend modernisieren. Es sei ohnehin fraglich, inwieweit das Provisionsabgabeverbot verfassungs- und europarechtskonform ist. Die jetzt gesetzlich vorhandenen Ausnahmen vom Provisionsabgabeverbot erlaubten zudem eine einfache Umgehung.

Wie die Chancen dieser Branchen-Reformer stehen, wird sich zeigen. Christoph Hübner sieht die Sache optimistisch. Er geht davon aus, dass das Provisionsabgabeverbot innerhalb der nächsten fünf Jahre wieder fallen wird. „In jeder anderen Branche ist es normal, dass Anbieter und Käufer miteinander auch über den Preis der Dienstleistung sprechen. Nur wir Versicherungsvermittler wollen vom Staat vor diesen natürlichen Preisverhandlungen geschützt werden? Völlig absurd“, meint Hübner.

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