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Wirtschaft - 19.11.2018

„Wir müssen die berufliche Bildung stärken“

Es ist begrüßenswert, dass sich eine Enquete-Kommission mit der beruflichen Bildung befasst. Zentrale Probleme bleiben aber außen vor. Eine Position.

„Gemessen an ihrer Bedeutung erfährt die duale Ausbildung zu wenig Aufmerksamkeit“, sagt Dräger.

Die duale Ausbildung ist Exportschlager und Aushängeschild: Sie erleichtert jungen Menschen den Einstieg ins Erwerbsleben und versorgt die Wirtschaft mit dringend benötigten Fachkräften. Gleichzeitig steht sie unter erheblichem Druck. Erstens sinkt seit einigen Jahren die Beteiligung sowohl aufseiten der Jugendlichen als auch bei den Ausbildungsbetrieben; zweitens erfordern die Veränderungen der Arbeitswelt eine grundsätzliche Modernisierung der Inhalte, Strukturen und Methoden der Ausbildung; und drittens erhält die berufliche Bildung gemessen an ihrer gesellschaftlichen Bedeutung viel zu wenig politische Aufmerksamkeit.

Schon allein deshalb ist es zu begrüßen, dass die Enquete-Kommission „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ jetzt ihre Arbeit aufnimmt. Ihre Arbeitsschwerpunkte – von den Passungsproblemen auf dem Ausbildungsmarkt über digitale Ausstattung von Berufsschulen bis hin zur Attraktivitätssteigerung der beruflichen Bildung – sind richtig und wichtig. Aber zentrale Zukunftsfragen fehlen in dem Auftrag an die Kommission.

Wir brauchen mehr Lehrer für Berufsschulen

Erstens der absehbare Lehrkräftemangel: Wie können genug Lehrer für berufliche Schulen ausgebildet werden? Der Personalmangel ist eklatant. Fast die Hälfte der Lehrkräfte an beruflichen Schulen ist über 50 und geht absehbar in den Ruhestand. Ausgebildet wird nur ein Bruchteil des Bedarfs, sodass Schätzungen zufolge bis 2035 bundesweit zehntausende Lehrkräfte fehlen. Hier gilt es, mehr Studienplätze für das Lehramt an beruflichen Schulen zu schaffen und Anreize für Berufsschullehrer zu setzen, ihr Lehrdeputat zu erweitern oder auch über die Altersgrenze hinaus zu unterrichten.

Zweitens eine Ausbildungsgarantie: Wie kann jedem jungen Menschen die Chance auf einen Berufsabschluss ermöglicht werden? Menschen ohne Ausbildung sind vier Mal häufiger arbeitslos als jene mit Abschluss. Trotzdem werden Jahr für Jahr mehr als 100 000 junge Menschen ohne Berufsabschluss in das Erwerbsleben entlassen – mit hohen gesellschaftlichen Folgekosten. Für den Notfall sollte der Staat mit einer Ausbildungsgarantie einspringen und zusätzliche Ausbildungsplätze in Berufen mit Fachkräftebedarf für diejenigen bereitstellen, die trotz aller Versuche leer ausgehen.


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Wir sollten mehr Teilqualifikationen anerkennen

Drittens die Anerkennung von Teilqualifikationen: Wie können möglichst viele Personen ohne Ausbildungsabschluss diesen noch nachholen? Ungefähr eine Million Menschen zwischen 25 und 35 Jahren hat keinen Berufsabschluss. Die Hürden dafür, diesen nachzuholen, sind zu hoch. Mit Anfang 30 noch mal ins erste Lehrjahr? Viele bringen aus bisherigen beruflichen Tätigkeiten im In- oder Ausland vielfältige Kenntnisse und Fähigkeiten mit, haben aber zu wenige Möglichkeiten, diese zu verwerten. Wir sollten Teilqualifikationen anerkennen, wie es in anderen europäischen Ländern üblich ist.

Mehr Menschen brauchen mehr Chancen durch berufliche Bildung. Dafür sollte die Arbeit der Kommission genutzt werden. Dazu ist es wichtig, dass die Kommission ihren Arbeitsauftrag um die angesprochenen Themen erweitert. Außerdem brauchen wir mehr Verbindlichkeit. So sollten die Empfehlungen der Kommission noch in die geplante Reform des Berufsbildungsgesetzes einfließen – was anspruchsvoll wird, weil das Gesetz bereits auf dem Weg ist; die Partner der Allianz für Aus- und Weiterbildung sollten sich zudem zum Ziel setzen, die Empfehlungen der Kommission abzuarbeiten. Die Zeit dafür wäre reif. Denn die Umbrüche durch die Digitalisierung sind ein willkommener Anlass für eine umfängliche, breit getragene Reform der beruflichen Bildung. Das hilft den vielen Menschen in beziehungsweise ohne Ausbildung – und nicht zuletzt der Zukunftsfestigkeit des Erfolgsmodells duale Ausbildung.

Der Autor ist Mitglied im Vorstand der Bertelsmann-Stiftung.

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