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Wissen - 22.01.2019

Das Tor zu einer neuen Heimat

Kriegsheimkehrer und Spätaussiedler: Der Historiker Christopher Spatz erinnert an das Grenzdurchgangslager Friedland.

Angekommen. Mädchen im Lager Friedland.

„Erst wenn alle zuhause sind, wird der Krieg zu Ende sein“, heißt es in Arno Surminskis Erzählung „Chor der Gefangenen“. Surminski stammt – wie auch Siegfried Lenz – aus Ostpreußen; als seine Eltern 1945 in die Sowjetunion deportiert werden, kann er als Elfjähriger nach Schleswig-Holstein entkommen. Seine Erzählung handelt von den Kriegsheimkehrern, die 1955/56 im Grenzdurchgangslager Friedland ankommen, sehnsüchtig erwartet von ihren Angehörigen. Wenn sie denn kamen. Oder eben nicht.

Vier Millionen Menschen sind im Laufe der Jahre durch das Lager „geschleust“ worden, Kriegsheimkehrer und danach und bis heute Spätaussiedler. Der Historiker Christopher Spatz hat Surminskis Erzählung an den Anfang seines Buches über Friedland gestellt, „Heimatlos. Friedland und die langen Schatten von Krieg und Vertreibung“. Bei seinen Forschungen stieß Spatz im Stadtarchiv Göttingen – Friedland liegt wenige Kilometer südlich – auf Fotografien des Berufsfotografen Fritz Paul, der jahrzehntelang für das „Göttinger Tageblatt“ gearbeitet und allein rund 6000 Negative vom Durchgangslager Friedland hinterlassen hat.

Bei der Vorstellung seines Buches in der Berliner Urania zeigte Spatz zahlreiche dieser Fotografien. Der Fotograf Fritz Paul, selbst Flüchtling aus Ostpreußen, hatte ein Auge für die Menschen, für diejenigen, die erschöpft aus sowjetischer Gefangenschaft zurückkehrten, unter ihnen zahlreiche Frauen und Kinder, wie für diejenigen, die sie bangen Herzens erwarteten, in der Hoffnung, der oder die Vermisste möge unter denen sein, die Tag für Tag auf dem Bahnhof von Friedland den polnischen Transportzügen entstiegen und zum Lager hochstiegen.

Den Begriff „Traumatisierung“ gab es noch nicht, die Symptome schon

Die heutige Kenntnis der Geschichte von NS-Regime, Krieg, Gefangenschaft und Vertreibung ist lückenhaft. Die Zeitzeugen der Erlebnisgeneration werden weniger, vor allem mochten sie über das Erlebte nicht sprechen. Spatz verweist in seinem mit Pauls Fotografien eindringlich bebilderten Buch auf den Widerstand, der „Aufforderung der Lagerleitung, sich zu den eigenen Nachkriegserlebnissen zu äußern“, nachzukommen.

Es waren die am schwersten Traumatisierten, die die Erinnerungsleistung gerade nicht erbringen wollten, wohl auch aus der nur allzu berechtigten Furcht heraus, in der bundesdeutschen Gesellschaft stigmatisiert zu werden. Im Übrigen gab es zwar die Symptome, nicht aber den Begriff der „Traumatisierung“. Bis heute wird die Geschichte insbesondere derer, die ihre Heimat im Osten verloren hatten und im Westen nicht willkommen waren – so Andreas Kossert in seinem Buch „Kalte Heimat“ – verdrängt.

Friedland, darauf wies Spatz am Montag hin, „bot der zusammengewürfelten Nachkriegsgesellschaft eine Sinnstiftung“. Die Rückkehr der letzten 10 000 Kriegsgefangenen Ende 1955/56, nach Adenauers Moskau-Reise und der Aufnahme diplomatischer Beziehungen, wurde zu einem Ereignis von nationaler Bedeutung. Fotografen drängten sich in die Menge aus wartenden und ankommenden Menschen, auch das junge Fernsehen war dabei. Die Politik verhielt sich zwiespältig, sie wollte den Anspruch auf die Reichsgrenzen von 1937 – Ältere erinnern sich der Losung, „Dreigeteilt niemals!“ – nicht durch demonstrative Freude über die Heimkehrer entwerten.

Als Adenauer, schon nicht mehr Bundeskanzler, 1966 den Grundstein zur Friedland-Gedächtnisstätte legte, war das Thema aus der Öffentlichkeit bereits verschwunden. Es war Willy Brandt, der als Kanzlerkandidat 1969 forderte, „der ganzen Nation die kulturelle und geistige Substanz der Ostgebiete zu erhalten“; nur so könne „im Inneren gewonnen werden, was draußen verloren ging“. Die Geschichte des Lagers Friedland als Spiegel der bundesdeutschen Nachkriegsmentalität bleibt auch nach dem wertvollen Beitrag des Buches von Christopher Spatz noch zu schreiben. – Christopher Spatz: Heimatlos. Friedland und die langen Schatten von Krieg und Vertreibung. Mit Fotografien von Fritz Paul. Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2018. 224 S. m. 88 Abb., 19,95 €.

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