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Wissen - 22.05.2019

Der Preis der pestizidgestützten Landwirtschaft

Der massive Einsatz von Pestiziden trägt zum Arten- und Bienensterben bei. Ein Gastbeitrag.

Randolf Menzel ist Zoologe und Neurobiologe und erforscht Bienen seit 50 Jahren. Er ist emeritierter Professor und ehemaliger…

Unter den Hunderten Pflanzenschutzmitteln, die heute zur Insektenbekämpfung eingesetzt werden, hat sich eine Wirkstoffgruppe besonders erfolgreich auf dem Markt behauptet: Neonicotinoide. Sie gehören mit einem Anteil von weltweit mehr als 25 Prozent (in Deutschland etwa 50 Prozent) zu den am meisten eingesetzten Insektiziden.

Neonicotinoide werden vor allem in der Landwirtschaft, im Obstbau und im Weinbau angewendet, aber auch bei der Bekämpfung von Schädlingen in der Forstwirtschaft, Gartenzentren, Pflanzenschulen und Privatgärten und als Medizin gegen Läuse. Sie sind Nervengifte und wirken über einen Rezeptor im Gehirn der Insekten und anderer Nicht-Wirbeltiere. Als Insektizide eignen sie sich auch deshalb, weil sie für Menschen und andere Säugetiere nicht unmittelbar toxisch sind, während sie auf die Zielinsekten schon bei sehr geringer Dosis tödlich wirken.

Neonicotinoide beeinträchtigen Gedächtnis und Orientierung der Bienen

Allerdings unterscheiden Insektizide nicht zwischen Schädlingen und Nützlingen. Sie schädigen oder töten auch viele andere Nicht-Wirbeltiere wie etwa den Regenwurm und andere im Boden lebende Tiere, die im Wasser lebenden Planktonorganismen und Insektenlarven und nicht zuletzt bestäubende Insekten wie Bienen und Schmetterlinge.

Um die Wirkung der Neonicotinoide auf bestäubende Insekten besser zu verstehen und schädliche Langzeiteffekte zu identifizieren, habe ich meine Forschungsarbeit in den vergangenen Jahren der Frage gewidmet, wie Neonicotinoide speziell auf Honigbienen wirken. Dabei haben wir uns an der Freien Universität Berlin besonders auf das Neonicotinoid Thiacloprid konzentriert. Thiacloprid ist zurzeit der Wirkstoff in etwa 50 Prozent der landwirtschaftlich eingesetzten Insektizide und wird vom Hersteller als ungefährlich für Honigbienen bezeichnet.

Unsere Laborversuche zeigen, dass Thiacloprid die Gedächtnisbildung sowie den Gedächtnisabruf der Bienen beeinträchtigt und bereits bei sehr niedrigen Dosen zu massiven Verhaltensstörungen führt. Auf ihren Sammelflügen zur Futterquelle finden die mit Thiacloprid behandelten Tiere deutlich seltener zu ihrem Bienenstock zurück. Auch ihre Sammelmotivation und Tanzaktivität verringert sich messbar, was die Nahrungsversorgung der Bienenvölker und deren Entwicklung gefährdet. Es ist also offensichtlich nicht sachgemäß, Pflanzenschutzmittel mit dem Wirkstoff Thiacloprid als nicht bienengefährlich zu vermarkten.

Im Vergleich zu anderen Pflanzenschutzmitteln sind Neonicotinoide sehr stabil mit Halbwertszeiten von mehreren Monaten. Sie reichern sich in Pflanzen, Böden und Gewässern an. In den Wasserpfützen auf den Äckern können so tödliche Konzentrationen auftreten. Da Regenwürmer und andere Nicht-Wirbeltiere im Boden empfindlich reagieren, verarmt der Boden. Bestäubende Insekten nehmen sie über den oft stark belasteten Blütennektar und Pollen auf.

Über 400 Pestizide in Flüssen gefunden

Grundwasser, Bäche und Flüsse transportieren die Neonicotinoide auch über große Strecken dorthin, wo sie Insektenlarven und Planktonorganismen gefährden. Die indirekten Folgen schlagen sich dann als Nahrungsmangel für Fische und Vögel nieder. In Deutschland wurden mehr als 400 verschiedene Pestizide und ihre Metaboliten in Fließgewässern gefunden, wobei über 25 Prozent der Gewässer stark mit Insektiziden belastet waren.

Angesichts der dramatischen Befunde zum Artensterben erscheint es dringend geboten, genau zu überlegen, in welcher Umwelt wir leben wollen und wie viel wir bereit sind, dafür an Anstrengung und Geld aufzubringen. Der Einsatz von Insektiziden ist nur einer von mehreren menschengemachten Faktoren, die zu einer Verarmung unserer Umwelt führen. Dazu gehören auch der Flächenverbrauch für Siedlung, Verkehr und öffentliche Einrichtungen, die Überdüngung der Felder und Wiesen sowie die landwirtschaftliche Intensivnutzung. Ein tiefgreifender Strukturwandel wird nötig sein, um unsere Lebens- und Wirtschaftsweise künftig klima- und artenfreundlich zu gestalten.

Die Belastung durch Neonicotinoide zu reduzieren oder ganz abzustellen, gehört zu den eher leicht zu erreichenden Zielen, denn die Schäden sind offensichtlich und sinnvolle Alternativen leicht anzuwenden. In Studien wurde nachgewiesen, dass ein gezielter und stark reduzierter Einsatz von Pestiziden weder zu höheren Kosten noch zu geringeren Erträgen führt.

Jetzt ist die Politik gefragt

Zivilgesellschaftliche Institutionen wie die Berliner Aurelia Stiftung setzen sich politisch und aktuell auch vor europäischen Gerichten für ein Verbot der Neonicotinoide sowie eine konsequente Beschränkung des landwirtschaftlichen Pestizideinsatzes ein. Sie stellen eigene Studien an – etwa zur Pestizidbelastung von Honig – und informieren die Öffentlichkeit über Gesundheitsrisiken für Bienen und Menschen. Mit einer aktuellen Petition an den Deutschen Bundestag fordert die Aurelia Stiftung außerdem, die Sicherheits- und Zulassungsprüfungen für Pestizide grundlegend zu reformieren. Nur dadurch ist zu gewährleisten, dass künftig keine bienenschädigenden Mittel mehr auf den Markt gelangen.

Die steigende Zahl an Volksinitiativen, die sich für eine Rettung der Artenvielfalt und eine pestizidfreie Landwirtschaft starkmachen, zeigt, dass das Bewusstsein in der Bevölkerung für die Gefahren und Ursachen des Artensterbens vorhanden ist. Jetzt sind die politischen Entscheidungsträger gefragt, dem gesellschaftlichen Handlungswillen zu entsprechen und den notwendigen Strukturwandel entschlossen anzugehen. Vorbild hierfür könnte Frankreich sein. Dort werden die Neonicotinoide in den nächsten Jahren schrittweise verboten.

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