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Wissen - 12.02.2019

Dr. med. mit Kratzer

Nach der Entscheidung im Fall Leyen wird über das Urteil der Medizinischen Hochschule Hannover diskutiert – und über die Qualität medizinischer Doktorarbeiten.

Erleichtert. Ursula von der Leyen am Tag des Freispruchs – bei ihrem Vortrag zur Flüchtlingskrise und zu Sicherheitsfragen in…

Der Plagiatsfall um die Doktorarbeit von Ursula von der Leyen ist entschieden – im Sinne der Bundesverteidigungsministerin. „Fehler“ wurden im Wesentlichen in der Einleitung moniert, 32 Plagiate unterschiedlicher Stärke bestätigte die Medizinische Hochschule Hannover (MHH). Weil aber der Hauptteil mit dem wissenschaftlichen Kern ihrer Arbeit nicht zu beanstanden sei, darf Leyen wie berichtet ihren Doktortitel behalten. Die Diskussion um die Qualität medizinischer Doktorarbeiten ist damit aber keineswegs beendet. Im Gegenteil, sie wird durch den Freispruch eher beflügelt – zumal dieser viele Fragen aufwirft.

Leyen ist davongekommen, aber „mit einem blauen Auge“

Bernhard Kempen, Vorsitzender des Deutschen Hochschulverbandes, sieht zunächst „keinen Anhaltspunkt, an der Entscheidung der MHH zu zweifeln“. Das milde Urteil über Leyens Plagiate in der Einleitung der Arbeit hätten sich die Kollegen in Hannover nicht leicht gemacht, das Verfahren sei schon wegen der Prominenz der Beschuldigten sorgfältig und ordentlich gelaufen. Gleichwohl stehe Leyen jetzt „mit einem Kratzer im Lack“ da, was die wissenschaftliche Qualität ihrer Arbeit angeht. „Die Ministerin ist mit einem blauen Auge davongekommen.“

Es müsse auch klar sein, dass Leyens Arbeit in dieser Form von ihren Betreuern nicht hätte akzeptiert werden dürfen. „Sie hätten diese Fehler aufdecken müssen, da müssen sich die Kollegen selbstkritisch an die Nase fassen“, sagt Kempen.

„Man muss von wissenschaftlichem Fehlverhalten sprechen“

Verwunderung löst die Begründung der MHH aus. „Eigenartig“ nennt sie Debora Weber-Wulff, Professorin für Medieninformatik an der HTW Berlin und als Plagiatsexpertin bei der Plattform „Vroniplag Wiki“ aktiv, die die Plagiate öffentlich gemacht hatte. „Offenbar hat man versucht, eine pragmatische Lösung zu finden.“ Dass die MHH zwar Plagiate feststelle, darin aber kein Fehlverhalten, sondern nur „Fehler“, sehe, sei nicht nachvollziehbar. „Ein Fehler wäre ein Tippfehler. Wenn man aber wie Leyen zahlreiche wissenschaftliche Aussagen ohne korrekte Belege verwendet, muss man von wissenschaftlichem Fehlverhalten sprechen.“ Insgesamt habe sich die MHH womöglich einen Bärendienst erwiesen: „Studierende und Doktoranden dürften jetzt verunsichert sein, was eigentlich erlaubt ist und was nicht.“

In anderen Fällen reichten weniger als 32 Plagiate zum Titelentzug

Die Prüfer unterschieden zudem zwischen einem unwichtigen und einem wichtigen Teil der Dissertation. Die Plagiate orteten sie dabei in der Einleitung, während sie den „zentralen“ Ergebnisteil als wissenschaftlich wertvoll und fehlerfrei lobten. Diese Aufteilung „widerspricht jedoch der ständigen Rechtsprechung“, sagt Weber-Wulff. Eine Arbeit werde immer als Ganzes eingereicht, Plagiate seien aus Sicht der Gerichte in jedem Teil einer Arbeit zu ahnden. In anderen Fällen hätten weit weniger als die 32 beanstandeten Stellen zum Entzug des Doktortitels ausgereicht. Tatsächlich liegt aus juristischer Sicht eine Täuschung schon dann vor, wenn jemand es „billigend in Kauf nimmt“, dass die Quellenangaben falsch sind – also etwa, wenn ein Doktorand keine Lust hatte, sorgfältig zu arbeiten. Eine Täuschungsabsicht hat die MHH bei Leyen aber nicht gesehen.

Gerhard Dannemann, Jura-Professor an der Humboldt-Uni und ebenfalls aktiv bei „Vroniplag Wiki“, findet die Entscheidung der MHH zumindest zwiespältig. Es sei gut, dass 32 Plagiate ebenso klar benannt wurden wie die Verantwortung der Autorin. Unerwähnt bleibe aber die Verantwortlichkeit der Universität, die die Arbeit gar nicht hätte annehmen dürfen. „Jetzt könnte es für Studierende so klingen: Ihr dürft weiter plagiieren, wenn ihr es nur in der Einleitung macht.“

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