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Wissen - 15.11.2018

Ein anderes Bild der Muslime

Wer muslimisches Leben verstehen will, sollte sich von der Fixierung auf den Koran lösen. Die Berliner Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer plädiert in einem Gastbeitrag dafür, den Islam nicht nur als Religion, sondern als vielschichtige Kultur zu sehen.

Auch Liebesgeschichten gehören selbstverständlich zum islamischen Kulturkreis, hier eine persische Illustration zur klassischen…

Der Islam ist in aller Munde, und die Debatte kreist im Wesentlichen um ein Buch – das Buch der Bücher, den Koran. Der Islam wird weithin nur noch als Religion gesehen, nicht als Kultur, die sich zwar mit dieser Religion verknüpft, in ihr aber doch nicht aufgeht. Dementsprechend gelten als die authentischen Vertreter des Islam und der Muslime nur mehr Theologen, Juristen und Imame und, wie es scheint, auch Islamisten unterschiedlicher Couleur. Nicht aber Intellektuelle, Künstler und „ganz normale“ Gläubige, die zwar an Gott und den Propheten glauben, aber deswegen nicht jede Kleinigkeit ihres Lebens am Koran und dem Propheten ausrichten.

Ein „un-begreiflicher“ Gott

Der Islam als Religion hat eine klare Botschaft: Er spricht von dem Einen Gott als dem allmächtigen und allerbarmenden Schöpfer, dem seine Geschöpfe Dank und Gehorsam schulden. Den Namen Gottes dürfen Muslime wie Christen, aber anders als Juden, aussprechen. Und tatsächlich findet sich „Allah“ nicht nur in alltäglichen Wendungen, die hart an die Profanierung reichen können, sondern auch als häufiger Bestandteil männlicher Eigennamen. So großzügig die meisten Muslime mit dem Namen Gottes umgehen – ein Bild von ihm dürfen sie sich ebenso wenig machen wie Juden und Christen. Gott ist für sie im Wortsinn un-begreiflich, nicht darstellbar.

Gott ist sich selbst genug und bedarf seiner Geschöpfe nicht, er ist ihnen aber zugewandt. Wie der Gott der Juden und der Christen hat er Forderungen und Erwartungen an seine Geschöpfe: Er verlangt Anerkennung und Respekt, Verehrung und Gehorsam. Die Gläubigen erkennen dies an. Die wahre Religion, die aus dieser Erkenntnis erwächst, ist der Islam: Hingabe an Gott.

Überzeitliche Gültigkeit der heiligen Schrift

Gott teilt sich den Menschen nach islamischer Lehre mit, ganz allgemein durch Natur und Kosmos, im Besonderen aber durch das Wort, wobei sich Schrift und Rede in höchst interessanter Weise miteinander verbinden. Aus dem Koran selbst leitet sich die Vorstellung ab, im Himmel werde eine Urschrift verwahrt, die „Mutter aller Bücher“, die den Menschen zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Sprachen offenbart wurde. Die letzte, ultimative Offenbarung ist der Koran, der zunächst rezitiert wurde (das arabische Wort qur’an bedeutet nichts anderes) und einige Zeit nach dem Tod Muhammads als Buch niedergeschrieben wurde. Damit besaßen die Muslime, wie vor ihnen die Juden und Christen, gleichfalls eine heilige Schrift.

Wenn Muslime heute gefragt werden, worauf sich ihre Religion stützt, so werden sie in der Regel sagen: auf den Koran als unverfälschte, direkte Gottesrede und die Sunna als die Überlieferung der Aussprüche und Handlungen des Propheten Muhammad, der die göttliche Weisung vorbildlich und verbindlich umgesetzt hat. Beide sind in einen konkreten Zeit-Raum eingebettet – die Westküste der Arabischen Halbinsel in der ersten Hälfte des 7. nachchristlichen Jahrhunderts – und, ebenso wichtig, an die arabische Sprache gebunden. Dennoch sollen sie überzeitlich gültig sein, und diese Spannung zwischen historischer, von niemandem bestrittener Einbettung und überzeitlicher Gültigkeit stellt die Muslime vor eine ähnliche Herausforderung wie die Juden und Christen.

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