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Wissen - 04.12.2018

Hamburg will mehr Mathe-Klassenarbeiten

Mehr Klausuren und Klassenarbeiten und garantierter Unterricht: Wie der Matheunterricht laut einer Expertenkommission in Hamburg besser werden kann.

Experten beklagen immer wieder die fehlende Qualität des Matheunterrichts.

Mangelhafte Mathematikkenntnisse von Schulabgängern gelten als gravierendes Problem des deutschen Schulsystems. Betriebe und Hochschulen beklagen, dass viele Auszubildende und Studienanfänger wegen ihrer Mathe-Defizite nicht ausbildungs- und studierfähig seien. Hinzu kommt, dass sich Deutschland seit dem Jahr 2000 zwar in den mathematischen Teilen der Pisa-Studie verbessert hatte, wobei die Leistungen seit 2015 stagnieren, es aber bei den Mathematik-Leistungen große Unterschiede unter den Bundesländern gibt. Bayern, Baden-Württemberg und die ostdeutschen Länder liegen vorn, andere Flächenländer und vor allem die Stadtstaaten hinten. Wie sie aufholen können, zeigen Empfehlungen einer Expertenkommission, die am Montag in Hamburg vorgestellt wurden.

Garantierte 21 Stunden Mathematik-Unterricht in den vier Grundschuljahren, mehr Mathematikunterricht an den Stadtteilschulen, die in 13 Jahren zum Abitur führen, mehr Klassenarbeiten und Klausuren und ein für alle Schulen verbindlicher Kernlehrplan: Das sind zentrale Punkte aus dem Gutachten der Expertenkommission zur Weiterentwicklung des Mathematik-Unterrichts, die Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) im Oktober 2017 eingesetzt hatte und deren Ergebnisse am Montag vorgestellt wurden. Gefordert wird auch, dass an weiterführenden Schulen zu hundert Prozent Fachlehrkräfte unterrichten müssten, an Grundschulen mindestens zu 50 Prozent.

Viele erreichen die Mindeststandards in Mathematik nicht

Zuvor hatten Schulleistungsstudien gezeigt, dass 21 Prozent der Viertklässler und 28 Prozent der Neuntklässler in Hamburg die Mathematik-Mindeststandards nicht erreichen. Bei den Abiturienten waren es 60 Prozent, die den Oberstufenstoff nicht beherrschten. Angesichts ähnlich schlechter Mathe-Leistungen auch in etlichen anderen Ländern, darunter in Berlin, können die Ergebnisse der Kommission unter Leitung des Bildungsforschers Olaf Köller bundesweite Geltung beanspruchen. Der Gutachtergruppe gehören insgesamt vier Expertinnen und drei Experten aus der Mathematik-Didaktik verschiedener Universitäten an. „Viele der Herausforderungen im Fach Mathematik betreffen alle 16 Länder“, sagte Köller.

Ziel der Empfehlungen sind „größere Lernerfolge der Schülerinnen und Schüler“. Insbesondere soll es darum gehen, die in standardisierten Tests erfassbaren Leistungen der Schülerinnen und Schüler zu verbessern und dabei auch „soziale und migrationsbedingte Leistungsunterschiede ebenso wie Geschlechtsdifferenzen“ zu verringern. Grundlegend für die Verbesserung der mathematischen Kompetenzen sei dabei, frühpädagogische Fachkräfte im Vorschulbereich, Lehrkräfte aller Schularten und auch das Fortbildungspersonal besser als bisher zu qualifizieren, heißt es in der Studie. Ein Fokus sollte dabei sein, sie auf die Umsetzung der bundesweiten Bildungsstandards im Unterricht vorzubereiten.

Die Kommission lobt „große Anstrengungen“

Die Mathematik-Probleme der Hamburger Schüler seien „viel zu lange ignoriert“ worden, hatte Rabe die Einsetzung der Kommission vor einem Jahr begründet. In Hamburg wurde schon 2015 eine „Mathematik-Offensive“ mit mehr Unterricht, mehr Fachlehrern und Fortbildungen für Lehrkräfte gestartet.  Die „großen Anstrengungen“ werden jetzt von der Kommission belobigt. Die Kontroversen und Probleme um das Fach Mathematik blieben aber bestehen: So sei die Nutzung von Abituraufgaben aus dem Pool des Berliner Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) weiterhin umstritten, die Frage, wie weit der Schulunterricht auf ein Studium vorbereitet, nicht beantwortet, heißt es im Gutachten.

Vor eineinhalb Jahren war die Kritik am Hamburger Mathematik-Abitur einer der Auslöser für einen Brandbrief von bundesweit 130 Professoren und Lehrkräften, die massive Defizite des Mathematik-Unterrichts beklagten. Bei einer Hamburger Probeklausur für das Abitur im Dezember 2016, in der IQB-Aufgaben für das künftige Zentralabitur verwendet wurden, schafften die Schüler lediglich eine Durchschnittsnote von 4,1. Schulsenator Rabe hatte daraufhin angeordnet, die Zensuren um eine ganze Note anzuheben.

Das Gutachten stellt sich vor die Bildungsstandards

Die Autorinnen und Autoren des offenen Briefes sahen die Abiturienten durch die komplizierte Formulierung der Aufgaben überfordert. Sie machten die Bildungsstandards dafür verantwortlich, dass Schüler heute kaum noch zum mathematischen Kern vordringen können. Beklagt wurde, dass der Schulstoff insgesamt „ausgedünnt“ worden sei. Studienanfänger beherrschten deshalb nicht mehr das in MINT- und Wirtschafts-Studiengängen verlangte mathematische Vorwissen. Es fehlten grundlegende Kenntnisse von Bruchrechnung über Potenz- und Wurzelrechnung bis zu bionomischen Formeln, hieß es. Als Grund für die „Entfachlichung“ des Unterrichts sahen die Briefschreiber vor allem die mit den Bildungsstandards einhergehende verordnete Kompetenzorientierung, nach der Schüler das Wissen nicht bloß reproduzieren, sondern auch anwenden sollen.

Im Expertengutachten heißt es dazu: „Die Implementierung der Bildungsstandards stellt sich als eine besonders große und insgesamt auch noch nicht befriedigend bewältigte Herausforderung da.“ Gleichwohl verteidigen die Gutachter die Bildungsstandards prinzipiell. Sie liegen dabei auf der Line von Mathematikerverbänden, die die Kritik in dem Brandbrief zurückgewiesen hatten, aber feststellten, dass die Standards nicht verbindlich genug und teilweise unscharf formuliert seien. Daraus leitet die Expertenkommission die Empfehlung ab, es solle „ein für alle Schulen verbindlicher Kernlehrplan“ mit Beispielaufgaben entwickelt werden. Das bisherige Hamburger Verfahren, an jeder Schule aufgrund der Bildungsstandards ein eigenes Curriculum zu entwickeln, überfordere die Lehrkräfte.

Hamburg wird für Lernstandserhebungen gelobt

„Das Kompetenzmodell der Bildungsstandards soll in präzise Unterrichtsvorschläge umgesetzt werden“, erklärte Schulsenator Rabe. Gelobt wird Hamburg für seine regelmäßigen Lernstandserhebungen in fast allen Klassenstufen unter dem griffigen Titel „Kermit“ (Kompetenzen ermitteln). Sie werden schon heute von der Schulaufsicht gemeinsam mit den Schulen ausgewertet. Kermit mache es leicht, Lernerfolge und -defizite zu beobachten, sagte Olaf Köller. „Hamburg hat hier die Primusrolle in Deutschland übernommen.“ Gleichwohl müssten die Tests jetzt ausgebaut und weiterentwickelt werden, etwa als Diagnoseinstrument, um einzelne Schüler besser zu fördern.

Die Empfehlungen verlangten „keine Revolution, sondern Reformen“ von der Schule, so Rabe. Sie bezögen sich auf bekannte Stellschrauben, um die Qualität des Unterrichts zu verbessern – „die müssen jetzt aber auch gedreht werden“. Ein Beispiel: Schwache Schüler würden schon heute am Nachmittag mit Zusatzangeboten gefördert. Nun sollen diese Nachhilfeangebote mit dem Unterricht am Vormitttag „verschränkt“ werden.

Auch ein Vorbild für Berlin

Interesse an den Empfehlungen der Expertenkommission rege sich auch schon in anderen Bundesländern, hieß es in Hamburg. Die Ergebnisse werden im kommenden Jahr auf einer Fachtagung der Kultusministerkonferenz vorgestellt.

Wie Hamburg gehört auch Berlin zu den Ländern, die bei den bundesweiten Leistungsvergleichen in Mathematik regelmäßig schlecht abschneiden. Auffällig sind in Berlin außerdem mehrfach als zu leicht kritisierte Mathematik-Aufgaben im Abitur und beim Mittleren Schulabschluss. Zuletzt hatte sich gezeigt, dass das Berliner Abitur für Leistungskursschüler leichter ist als die für alle Abiturienten in Bayern verpflichtende Mathe-Klausur. Trotz der den beiden Stadtstaaten gemeinsamen Mathe-Defizite gilt Hamburg seit einigen Jahren als bildungspolitisches Vorbild für Berlin.

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