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Wissen - 24.06.2019

Hochschulen sollten auch Benimmregeln lehren

Seit Humboldt geht es an Universitäten nur noch um Wissenschaft. Doch mehr „Knigge“-Kenntnisse täten vielen Studierenden gut, meint unser Kolumnist.

Unser Kolumnist George Turner, Berliner Wissenschaftssenator a.D.

Eine Projektgruppe der FU will sich mit der Frage beschäftigen, ob Knigges „Über den Umgang mit Menschen“ von 1788 auch heute noch Hilfestellung bieten kann. Ein Anlass besteht sogar besonders für Universitäten. Dort nämlich gilt seit Humboldt, dass allein der Wissenschaft zu dienen ist; „Erziehung“ ist Sache der Hohen Schulen nicht. Man nennt das die Humboldt-Lücke.

Solange nur 3 Prozent der relevanten Altersgruppe studierten und diese ganz überwiegend aus „bürgerlichem“ Milieu stammte, gab es kaum Auffälligkeiten. Mit dem Anwachsen auf 50 Prozent (derzeit sind 2,9 Millionen Studierende an Hochschulen registriert) und einer anderen gesellschaftlichen Zusammensetzung der Studentenschaft ist manches nicht bekannt, was man zuvor zu den einzuhaltenden Regeln im Umgang untereinander hielt. Wer Zweifel hat, möge sich einmal zur Mittagszeit in eine Mensa begeben und dort beobachten, wie gefahrbringend für die nähere Umgebung von manchen Kommilitonen/innen mit Esswerkzeugen umgegangen wird. Zu beobachten ist daneben, dass Verhaltensnormen bewusst verletzt werden, weil sie für „spießig“ und überholt gehalten werden. Rücksicht scheint ein nicht bekanntes Phänomen zu sein. Aber auch mit dem – als Ergebnis einer guten Erziehung geltenden – Offenhalten einer Tür von einem männlichen Wesen für eine weibliche Passantin kann man sich einhandeln: „Lass doch die blöde Anmache.“

Helfen, die Humboldt-Lücke zu schließen

Nach dem Berufseintritt stellen Anfänger Defizite fest, die dann meist verschämt in privaten „Nachhilfe-Benimmkursen“ ausgebügelt werden sollen. Das ließe sich vermeiden und viele Regeln, die nicht um ihrer selbst willen da sind, sondern das Zusammenleben erleichtern sollen, könnte man anwenden, wenn „Knigge“ mehr Beachtung fände. Derzeit scheint es so zu sein, dass jedermann und jede Frau das macht, wie es persönlich gefällt. Wenn das alle tun und niemand daran Anstoß nimmt, scheint es auch keinen Grund zu geben, daran etwas zu ändern.

Da sollte man sich nicht täuschen. Es gibt genügend Leute, die das Regelwerk beherrschen und die Mängel bei anderen registrieren. Während Fehler in der Berufsausübung benannt werden, wird die Verletzung von Benimmregeln übergangen, aber nicht vergessen. Sie spielen bei der persönlichen Bewertung durchaus eine Rolle, nicht zuletzt bei der Rekrutierung sogenannter Eliten. Es liegt also im eigenen Interesse derjenigen, die „Knigge-Lücken“ aufweisen, diese frühzeitig zu beheben. Die Humboldtsche Universität, die sich allein der Wissenschaft verschrieben hat, könnte helfen, die Humboldt-Lücke zu schließen.

Wer mit dem Autor diskutieren möchte, kann ihm eine E-Mail senden: george.turner@t-online.de

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