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Wissen - 15.05.2019

Orbit ohne Zukunft

Scharen von Satelliten sollen das Internet schneller machen. Doch das erhöht das Risiko für mehr Weltraumschrott – und die Gefahr für Zusammenstöße.

Weltraumnot. Von unendlichen Weiten kann keine Rede mehr sein, wenn Firmen wie SpaceX Pläne umsetzen, im Erdorbit tausende…

Eine schnelle Internetverbindung, auch jenseits großer Metropolen – das sollen tausende von Satelliten ermöglichen, die künftig um die Erde kreisen sollen. Von Sibirien über das Kongobecken bis in die einsamsten Gegenden Deutschlands, überall könnten dann Daten schneller übertragen werden als je zuvor. Freude auf Erden, doch das Wohlgefallen am Himmel fällt aus. Denn je mehr aktive und vor allem ausgediente Satelliten dort kreisen, umso größer ist die Gefahr von Zusammenstößen. Die wiederum hinterlassen zig Bruchteile, die weitere Schäden anrichten können. Modellrechnungen zufolge hat diese Verschmutzungs-Kaskade bereits begonnen.

Eine Heerschar von Satelliten

Am Donnerstag (Live-Webcast hier) schickt die Firma SpaceX die ersten Satelliten der „Starlink“-Konstellation ins All. Wie viele insgesamt gestartet werden, gibt SpaceX nicht bekannt. Genehmigt sind allein für den Orbit in 550 Kilometern Höhe rund 1500 Stück, fast 3000 weitere dürfen in größerer Höhe stationiert werden. OneWeb, woran unter anderem Airbus beteiligt ist, hat im Februar die ersten gestartet und rechnet mit gut 600 Satelliten, doch es sollen mehr werden. Amazon plant ebenfalls eine Konstellation namens „Kuiper“ und hat bei den zuständigen Behörden ein Netz aus 3236 Satelliten beantragt. Auch Facebook, Boeing und weitere Unternehmen haben Pläne für eine Internetversorgung aus dem All.


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Mit einer Falcon-Heavy-Rakete will SpaceX im Laufe des Donnerstags (Berliner Zeit) eine Batterie von „Starlink“-Satelliten in eine…

Nicht alle werden es bis zur Startrampe schaffen und selbst die aktive Konkurrenz dürfte am Ende weniger Satelliten ins All schicken als sie sich jetzt zunächst genehmigen lässt. Trotzdem hat Holger Krag angesichts der geplanten Konstellationen „große Sorgen“, sagt der Leiter des Weltraum-Sicherheits-Programms bei der europäischen Raumfahrtagentur Esa. Die Zahl der geplanten Satelliten liege weit über dem, was die Menschheit bisher ins All gebracht habe, sagt Krag. „Die Maßnahmen gegen Weltraumschrott sind schon heute bei der klassischen Raumfahrt nicht wirklich effektiv.“ Es sei fraglich, ob das Firmen, die unter kommerziellem Druck stehen, besser gelinge.

„Wir laufen auf eine Katastrophe zu“

Die beste Lösung besteht darin, Satelliten nach ihrem Dienstende zu entsorgen: Jene im erdnahen Raum, wenige hundert Kilometer über der Erdoberfläche, sollen nach unten geführt werden, so dass sie in der Atmosphäre verglühen. In größeren Höhen sollten sie in Friedhofs-Orbits gebracht werden, wo sie ihre Nachfolger nicht weiter stören. Doch vielfach kommt es gar nicht zu diesen Manövern, wie Krag berichtet. Das liege selten an Treibstoffmangel, häufig reiße einfach irgendwann die Funkverbindung ab und das Gerät lasse sich nicht mehr ansteuern. Oder wichtige Komponenten wie die Lageregelung gehen kaputt, so dass der nutzlose Kasten weiter die Erde umkreist. Nur 60 Prozent aller Raumfahrtobjekte in niedrigen Umlaufbahnen werden 25 Jahre nach ihrem Einsatzende verschwunden sein, zeigen Daten der Esa. „Anders ausgedrückt: Von 100 Satelliten, die jedes Jahr in den erdnahen Raum gebracht werden, entsorgen sich ungefähr 60, 40 bleiben dort und verschärfen das Problem weiter“, rechnet Krag vor. „Wenn man diese Rate auf die geplanten Großkonstellationen anwendet, laufen wir auf eine Katastrophe zu.“

Berechnungen der Nasa stützen diese Aussage. Selbst wenn es gelingt, 90 Prozent der Satelliten in den geplanten Konstellationen nach Betriebsende zu entsorgen, wird es Zusammenstöße geben. Anfangs relativ selten, doch durch die wachsende Zahl der Fragmente immer mehr. Je nachdem, wie die Anfangsbedingungen gewählt werden, muss man in den nächsten 200 Jahren mit etlichen hundert Kollisionen im erdnahen Raum rechnen. Nach Ansicht der Studienautoren um Jer-Chyi Liou müssen 99 Prozent der Satelliten nach Betriebsende entsorgt werden, um eine weitere zunehmend gefährliche Vermüllung zu verhindern.

Um dieses Ziel zu erreichen, sollten Satelliten so gebaut werden, dass sie bis zum Ende durchhalten. „Dazu gehören etwa elektrische Antriebe, die zuverlässiger sind als treibstoffbasierte“, sagt der Esa-Experte Krag. Sinnvoll sei auch, wichtige Komponenten doppelt auszulegen oder besonders robust zu machen. Am liebsten wäre es ihm, wenn es eine Art Satelliten-Tüv gäbe, bei dem regelmäßig nachzuweisen ist, dass das Gerät entsorgungsfähig ist. Droht die Technik schlappzumachen, müsste der Betrieb eingestellt und der Satellit fortgeschafft werden. „Das erfordert natürlich viel Mut bei der Gesetzgebung“, gibt er zu bedenken. Da diese national geregelt wird, seien die Chancen aber nicht sehr hoch. Krag hofft auf internationale Richtlinien.

Selbst winzige Trümmerteile haben gewaltige Durchschlagskraft

Sein Argument und das vieler weiterer Experten: Das Müllproblem im All verschärft sich, selbst ohne die Riesenkonstellationen. Durch Zusammenstöße oder militärische Protzereien, wie jüngst der Abschuss eines Satelliten durch ein indisches Waffensystem, steigt die Zahl der umherfliegenden Teile beständig an. Aufgrund der hohen Geschwindigkeit haben sie große Zerstörungskraft. Schon Schrott von einem Zentimeter Größe hat die Gewalt einer Bowlingkugel, die mit 500 Kilometern pro Stunde auf einen Gegenstand trifft. Der Schaden kann beträchtlich sein und sogar zum Totalausfall führen. Schätzungen zufolge gibt es im Erdorbit etwa 900 000 Objekte in der Größenspanne von ein bis zehn Zentimetern und 34 000 größere Objekte.

Schon lange fürchten Fachleute, dass die als „Kessler-Syndrom“ benannten Kaskadeneffekte immer neue Kollisionen hervorrufen und dabei noch weitere Trümmer entstehen lassen. „Wir arbeiten nicht mehr an der Verhinderung des Kessler-Syndroms“, sagt Krag. Dafür sei es längst zu spät. „Wir arbeiten an der Eindämmung.“ Er hält es für möglich, dass einige Orbitregionen in Zukunft so belastet sein werden, dass sie nicht mehr nutzbar sind. „Man kann auf andere Bahnen ausweichen, doch das ist teurer und anspruchsvoller.“ Daher lohne es sich umso mehr, das Weltall möglichst sauber zu halten.

Die künftigen Flottenbetreiber müssen zeigen, dass sie die Sache im Griff haben. SpaceX erklärt auf Anfrage, dass der aktuell gewählte Orbit in 550 Kilometern Höhe besonders geeignet sei. Dort ist so viel Rest-Atmosphäre vorhanden, dass selbst jene Satelliten, die nicht mehr aktiv entsorgt werden können, längstens binnen viereinhalb bis fünf Jahren in die dichteren Luftschichten eindringen und verglühen. Bei höheren Orbits in 1150 Kilometern Höhe dauere der natürliche Abstieg mehrere hundert Jahre. In dieser Gegend werden die OneWeb-Satelliten unterwegs sein. Grundsätzlich sind alle so ausgelegt, dass sie nach Dienstende entsorgt werden, betonen die Betreiber. Sollte das aus technischen Gründen nicht gelingen, müssten sie aktiv entfernt werden. Das Konsortium unterstütze entsprechenden Entwicklungen.

Müllschlucker für Satelliten? Noch ist keine einsatzbereit

Denn einsatzbereit ist kein einziges Verfahren. Zwar gibt es bereits etliche Konzepte für himmlische Müllsammler, auch Tests wurden gemacht – doch bislang scheint das Kosten-Nutzen-Verhältnis nicht zu passen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hatte 2012 die Mission „Deos“ angekündigt, die zeigen sollte, wie ein defekter Satellit angesteuert, repariert und schließlich entsorgt werden kann. Doch über die Design-Phase kam man nicht hinaus, mehr Budget gab es nicht, wie Manuel Metz vom DLR berichtet. „Inzwischen gibt es Ansätze, dass das On-Orbit-Servicing von der Industrie selbst entwickelt und angeboten werden könnte.“ Läuft beispielsweise der von Krag vorgeschlagene Orbit-Tüv ab, kommt der Service-Satellit vorbei, greift den schwächelnden Kasten, bringt ihn in Ordnung oder montiert ein Bauteil mit einem kleinen Antrieb, um ihn in die Atmosphäre zu schicken. Der Esa-Experte Krag ist sicher, dass hier ein Markt entsteht und möchte, dass derartige Entwicklungen von der Raumfahrtagentur unterstützt werden. Er hat eine entsprechende Mission vorgeschlagen, die 2025 starten könnte, sofern die zuständigen Esa-Minister am Ende des Jahres das Programm zur „Abwehr von Weltraumgefahren“ bewilligen und finanzieren.

Das DLR investiert derzeit eher in die Überwachung, in „Gestra“ (German Experimental Space Surveillance and Tracking Radar). Das System soll die Bahndaten von Satelliten und Trümmern bis zehn Zentimeter Größe im niedrigen Erdorbit in einer Höhe zwischen 500 und 1200 Kilometer erfassen und Ende des Jahres in Betrieb gehen. „Bisher haben wir die Informationen von den Amerikanern bekommen“, sagt Metz. „Es ist aber sinnvoll, zusätzlich eigene Kapazitäten zu haben.“ Es gibt viel zu beobachten.

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